Moral ohne Moralin

Junges Theater Bonn: „Pünktchen und Anton“ nach Erich Kästner

von Frank Becker

© Bertelsmann - Titelzeichnung: Walter Trier
Moral ohne Moralin
 
„Pünktchen und Anton“
 
Ein Musical nach dem Roman von Erich Kästner
von Marc Schubring und Wolfgang Adenberg
 
Regie: Lajos Wenzel – Bühne: Lajos Wenzel -  Kostüme: Brigitte Winter – Choreographie: Bernard Niemeyer
Besetzung: Luise Pogge (Pünktchen): Tamina Friedrich – Anton Gast: Gustavo Jochim – Herr Pogge: Christian Steinborn – Frau Pogge: Nicole Johannhanwahr – Frau Gast: Andrea Brunetti – Köchin Bertha: Giselheid Hönsch – Frl. Andacht: Katharina Felschen – Robert: Thomas Kahle – Polizist/Lehrer Bremser: Jan Hermann – Klepperbein: Frederik Stuhllemmer – Muskateller: Tim Rodenkirchen
 
Berlin, Ende der 1920er Jahre. In der pulsierenden Metropole des erst vor wenigen Jahren unter der Katastrophe des 1. Weltkriegs zusammengebrochenen Deutschen Reichs existieren Armut und Wohlstand dicht beieinander, ohne jedoch miteinander Berührung zu haben. Das unterscheidet sich kaum von der Situation heute im Jahr 2016, in dem die Schere zwischen Armut und Reichtum wieder erschreckend weit auseinander klafft. Erich Kästners Kinder-Roman „Pünktchen und Anton“ (1931 erschienen) greift das Thema auf uns läßt die Hauptfiguren, die selbstbewußte Tochter aus wohlhabendem Hause „Pünktchen“ und den patenten Jungen aus ärmlichen Verhältnissen „Anton“ über das Zauberwort der echten Freundschaft eine Brücke bauen. Wie schon ein seinem Großstadtroman für Kinder „Emil und die Detektive“ (1929) hat Kästner auch in diesem moralischen Roman starke Charaktere mit deutlichen Botschaften gezeichnet und eine spannende Kriminalgeschichte mit eingebaut.
Marc Schubring und Wolfgang Adenberg haben den Stoff dicht am Original bühnengerecht zu einem Musical umgearbeitet, Lajos Wenzel hat es für das Junge Theater Bonn inszeniert. Am Dienstag gastierte das JTB mit dem Stück im Remscheider Teo Otto Theater.
 
Mit der Besetzung steht oder fällt ein Stück. Lajos Wenzel hat mit Fingerspitzengefühl alle wesentlichen Rollen perfekt mit Leben gefüllt, ob es das hysterische altjüngferliche Kindermädchen Frl. Andacht ist, ihr Liebhaber, der Schurke Robert, der verständnisvolle Lehrer Bremser oder die resolute Köchin Bertha (Giselheid Hönsch erinnerte sehr an die köstliche Brigitte Mira). Zur Identifikationsfiguren für die jungen Zuschauer wurden aber vor allem unsere beiden jungen Helden: Tamina Friedrich gab ein liebenswertes, nicht auf den Mund gefallenes Pünktchen, eine wie aus einem Kästner-Bilderbogen geschnittene perfekte Verkörperung im Sinne des Autors, und Gustavo Jochims sympathischer Anton stand dem in bescheidener Liebenswürdigkeit in nichts nach.


Pünktchen und Anton - Foto © actorsphotography
 
Wie geht man mit Freundschaft, Anfechtung, Lüge und den eigenen Träumen um? Erich Kästner, ein Philanthrop mit Blick für die Seelen der Kinder, gibt in seinen Büchern durch klare Linien deutliche Hinweise – ohne Moralinsäure. Sich verstehen und Mißverständnisse ausräumen, indem man darüber spricht und sich gegenseitig zuhört, ist das Rezept. Lajos Wenzel ist es gelungen, Kästners Botschaft zu vermitteln, spannend, klug und durchaus auch burlesk. Dafür, daß das Geschehen auf der multifunktionellen Bühne (Lajos Wenzel) ordentlich Schwung bekam, sorgten die Songs und die Choreographien von Bernard Niemeyer, das bedeutsame i-Tüpfelchen dabei waren die brillanten Kostüme von Brigitte Winter, die das Zeitkolorit transportierten, Pünktchens Temperament, Antons solide Haltung und auch die übrigen Charaktere visualisierten. Eine durchweg gelungene Aufführung, die den Gedanken vermittelt, viel mehr auf die Stimmen der Kinder zu hören - feines Theater für Jung und Alt - und ein weiterer Beleg für die gediegene Auswahl, die das Teo Otto Theater seinen Besuchern präsentiert. Übrigens: auch das Buch sollte man ruhig mal wieder lesen.


Foto © actorsphotography
 
Informationen über das Junge Theater Bonn: www.junges-theater-bonn.de