Der Spott der kleinen Dinge

Patchwork

von Lars von der Gönna

© Heiko Sakurai
Patchwork
 
Neulich habe ich in die ästhetischen Abgründe einer Patchworkfamilie geblickt. Frauke (ein Kind ist von ihr, eins von ihm) wollte mit den Kindern ins Hallenbad. Fraukes Anziehsachen sind aber zu drei Vierteln in Umzugskisten (Patchwork ist immer auch soziales und emotionales Nomadentum). In den Umzugskisten liegen auch die vorteilhafteren Badeanzüge. Frauke ist in letzter Zeit ein bißchen auseinandergegangen, sagt sie. Mir ist das nicht weiter aufgefallen. Sie aber sagt, sie habe einen Hintern – ich zitiere – wie ein Wohnmobil.
     Mit Hintern habe ich selten Probleme, Wohnmobile dagegen finde ich schrecklich.
Freunde von uns (Lehrer, ohne jede heikle Vorgeschichte, zwei Töchter) hätten ein Wohnmobil fast für die Patchworkgesellschaft freigegeben. Sie sind damit nach Frankreich gefahren. Vor Tours fuhren sie durch eine kleine Bahnunterführung. Die Frau hat noch gerufen: „Klaus, wir sind zu hoch.“ Dann riß das Oberlicht des rollenden Wohnzimmers ab.    
     Aus Wut hat Klaus dann besonders Gas gegeben. Dadurch ist das Wohnmobil wenig später bei der Fahrt über einen Huckel so erschüttert worden, daß der Küchenschrank aufgegangen ist. (Sagen Sie jetzt nicht: Scherben bringen Glück!) Im Dunkeln haben sie dann in Orléans einen Parkplatz gefunden. Um fünf Uhr morgens wurden sie von einer Marktfrau geweckt, weil das kein Parkplatz war, sondern die Ecke, an der sie seit 34 Jahren Gurken verkauft.
     Unsere Freunde wollten sich scheiden lassen. Klaus’ Frau erzählte mir: „Wir hatten schon alles unter uns aufgeteilt. Nur die Kinder wollte keiner haben.“ Das fällt mir zu Wohnmobil ein. Wenn der liebe Gott gewollt hätte, daß wir unser Haus immer dabei haben, hätte er uns zur Schnecke gemacht.
     Frauke hatte für ihren Ausflug nur einen ausgeleierten alten Bikini gefunden. Nicht schlimm, dachte sie: In der neuen Stadt (Patchworknomadin, s. o.) kennt mich ja sowieso keiner. Im Hallenbad stand aber der Wohnmobil-Hintern mit dem ausgeleierten Bikini plötzlich vor der gertigen echten Mutter des einen Kindes. Wenn diese Kolumne nicht so kurz wäre, könnte das vielleicht der Anfang einer wunderbaren Freundschaft sein.


© Lars von der Gönna - Aus dem Buch „Der Spott der kleinen Dinge“
mit freundlicher Erlaubnis des Verlags Henselowsky Boschmann und der WAZ.