Rummelplatz-Leben

von Hanns Dieter Hüsch
Rummelplatz-Leben

Wenn ich manchmal auf den Rummel geh
und sehe mich ein bißchen um
geh ich plötzlich nicht mehr weiter und ich steh
ganz verloren auf dem großen Platz herum

Denn da fehlt doch etwas auf dem bunten Feld
da war doch früher was, das gibt es heute nicht
das ganze war ein großes Märchenzelt
ein wunderbares Mosaikgedicht

Da riß man damals Mund und Augen auf
und war verzaubert von dem bisschen Gold und Watte
da freute man sich Wochen vorher drauf
und sparte, bis man 50 Pfennig hatte:

Wo sind die alten Karussells geblieben
die Raupe und die Pferdebahn
die alten Orgeln und der Kokosnußverkäufer
Türkischer Honig, türkischer Honig
was hat man mit dem großen Traum getan?

Heut sieht man Düsenjäger und Raketenflieger
mit Hin- und Rückfahrt bis zum falschen Mond
die Fahrt geht los! Ob sie sich lohnt?

Und will ich morgens meine Zeitung nehmen
und ich les mich so ein bißchen ein
les ich plötzlich nicht mehr weiter, denn die Themen
schwanken immer zwischen Sein und Schein

Da fehlt doch etwas zwischen all den Zeilen
da war doch früher was, das gibt es heute nicht
ein Glaube, um die Zeit zu heilen
ein optimistisches Politgedicht

Da riß man damals Herz und Ohren auf
und hoffte auf die Zukunft mit Millionen
man wartete schon viele Jahre drauf
und sparte nicht mit Illusionen:

Wenn ich dann mittags durch die Straßen geh
und ich denke so ein bißchen nach
geh ich plötzlich nicht mehr weiter und ich seh
den vielen alten Menschen lange nach

Da seh ich dann das nüchterne Ergebnis
von allen Zeiten, die man schnell durcheilt
zuletzt bleibt eben doch nur das Erlebnis
daß man die Trümmer nicht mit Träumen heilt.
 

Hanns Dieter Hüsch
 

© Chris Rasche-Hüsch
Veröffentlichung aus "Zugabe" in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung