Schauspieler-Erinnerungen

Joachim Meyerhoff - „Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke“

von Andreas Rehnolt

Vom schwierigen Finden einer Schauspielerpersönlichkeit
und großartig verschrobenen Großeltern
 
Der Schauspieler Joachim Meyerhoff erinnert sich

Ach diese Lücke, diese entsetzliche Lücke“ klagt Joachim Meyerhoff im Titel seines jüngsten Buches. Der Schauspieler am Wiener Burgtheater hat mit diesem 348 Seiten starken Erinnerungsband zum einen eine Abrechnung mit seiner Ausbildung an der Münchner Otto-Falckenberg-Schule und seinen Schwierigkeiten, dort seine Schauspielerpersönlichkeit zu finden geschrieben. Vor allem aber ist dieses im Kölner Verlag Kiepenheuer und Witsch erschienene Buch eine gewaltige Liebeserklärung an seine großartig verschrobenen Großeltern.
 
Welcher Opa und welche Oma würden sich nicht noch vom Paradies aus freuen, wenn ihr Enkel viele Jahre nach ihrem Tod über sie schreibt: „Kaum, daß ich an sie denk, sind sie auch schon da, sitzen in ihren Sesseln und stoßen mit mir an. Verläßlicher Besuch aus dem Totenreich. Es kommt mir so vor, als würde es sie freuen, wenn ich mich an sie erinnere. Mit offen Armen empfangen sie mich und der Unterschied zwischen einem echten Besuch bei ihnen, als sie noch am Leben waren und einem Gedankenbesuch verfliegt. Wie auch immer sie es geschafft haben, die Vergänglichkeit verschont sie und die Zeit trägt sie, wann immer ich es will, bereitwillig auf Händen zu mir. Ganz und gar lebendig.“
Meyerhoff ist 20 Jahre, als er - für ihn unerwartet - auf der Schauspielschule in München angenommen wird. Ein Zimmer findet sich nicht. Die Großeltern - Hermann und Inge - nehmen ihn bei sich auf. Was von seiner Seite als kurzfristige Zwischenlösung gedacht war, wird zu einer rund dreieinhalbjährigen Wohngemeinschaft, ohne die Meyerhoff vielleicht nie die Kraft gefunden hätte, seine Schauspielausbildung bis zum Ende durchzuhalten und auch die unendlich vielen Absagen nach Theater-Vorsprech-Terminen zu überstehen.
 
Inge - selbst eine gelernte Schauspielerin und langjährige Schauspiellehrerin - lebt mit ihrem zweiten Ehemann Hermann, einem früheren Philosophie-Professor ein Leben mit Diskussionen, Musik, Spaziergängen und nicht zuletzt einem gewaltig hohen und regelmäßigen Konsum guter alkoholischer Getränke. Champagner zum Frühstück, Whisky am Nachmittag und ab dann regelmäßig Rotwein. Die teils skurrilen Angewohnheiten, Gewohnheiten und Regeln der beiden nehmen den jungen Schauspielschüler im positiven Sinne „gefangen.“ Während er in der Schauspieler-Schmiede Kritik über Kritik einsteckt und erleidet, erlebt er mit Inge und Hermann wunderbare Jahre des Zusammenseins und überlebt Zeiten der Demütigung und des Selbstzweifels.
 
Wer Meyerhoffs ERinnerungen gelesen hat, wird lange Zeit dieses wundersame Wort „Moooahhhh...“, mit dem Inge Freude, Genuß oder Entzücken ausdrückt, lange Zeit in seinem Innern spüren. Und er wird sich hoffentlich vornehmen, die eigenen Enkel genauso ernst zu nehmen, wie es Inge und Hermann mit ihrem Joachim gemacht haben. Wunderschön übrigens auch der Name, den Inge ihm gegeben hat: „Lieberling“, sagt sie zu ihm, egal, ob sie sich mit ihm freut oder sich über ihn ärgert.
Und wer Meyerhoff - nicht erst in Wien, sondern schon in seinen Jahren im Kölner Schauspielhaus erlebt hat, der wird kaum verstehen, warum ausgerechnet er es war, auf dem die Schauspiellehrer immer herumhacken mußten. Natürlich erfährt der Leser dieses Buches so ganz nebenbei auch etwas über die Schauspielausbildung und über die auch dort bestehenden Rituale, die jeder neu aufgenommene Jahrgang an Schauspielschülern über sich ergehen lassen und ertragen muß.
Man kann sich gut vorstellen, daß Meyerhoff - vielleicht in den Theaterferien - mit dieser Hommage an seine Großeltern auch mal auf Lesereise gehen wird. Ein wunderbares Buch. Den Abend sollte man sich dann auf jeden Fall dafür freihalten.
 
Joachim Meyerhoff - „Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke“
© 2015Verlag Kiepenheuer & Witsch, 348 Seiten (Gebunden) -  ISBN: 978-3-462-04828-5
21,99 €
 
Weitere Informationen:  www.kiwi-verlag.de

Redaktion: Frank Becker