Neun Hauptrollen

Ein „Tartuffe“ á la bonheur in Wuppertal

von Frank Becker

Miko Greza ist Tartuffe - Foto © Klaus Lefebvre
Neun Hauptrollen
 
Ein „Tartuffe“ á la bonheur
 
Inszenierung: Maik Priebe - Bühne & Kostüme: Susanne Maier-Staufen - Musikalische Leitung: Jens Bingert – Dramaturgie: Susanne Abbrederis - Regieassistenz und Soufflage: Alexander Bangen, Nathalie Eckstein, Mona vom Dahl – Inspizienz: Luisa Rubel – Hospitanz: Nathalie Eckstein      
 
  
 Besetzung: Madame Pernelle: Anke Hartwig - Orgon, ihr Sohn: Stefan Walz - Elmire, seine zweite Frau: Philippine Pachl - Damis, sein Sohn: Alexander Peiler - Mariane, seine Tochter: Julia Reznik – Valère: Lukas Mundas - Cléante, Orgons Schwager: Thomas Braus – Tartuffe: Miko Greza  -  Dorine, Marianes Zofe: Tinka Fürst - Ein Kommissar: Bernd Kuschmann - Opernchor der Wuppertaler Bühnen - Chorleiter und am Cembalo: Jens Bingert 
 
Es trägt der echte Christ den Glauben nicht am Rocke
und hängt die Frömmigkeit nicht an die große Glocke.
 
Theater, wie es sein soll
 
Maik Priebes überwältigende Inszenierung von Molières Gesellschaftskomödie „Tartuffe oder Der Heuchler“, die am Samstagabend auf der großen Bühne des Wuppertaler Opernhauses ihre glanzvolle und gefeierte Premiere hatte, knüpft nahtlos an die ganz große Zeit des Wuppertaler Schauspiels an. Hier wird vom kraftvollen Beginn mit Anke Hartwigs starkem Aufgalopp als Madame Pernelle bis zum goldenen Schlußfeuerwerk nach dem Gastauftritt des Altmeisters Bernd Kuschmann Theater gemacht, wie es sein muß: mitreißend.
Molières  beißende Gesellschafts-Satire „Tartuffe“ aus dem Jahr 1664/67 zählt zu den bösesten seiner Werke, eine Abrechnung mit Bigotterie, Schmeichelei, Heuchelei, Habgier und Lüge. Scharf und äußerst kritisch beobachtend, höchst sarkastisch und zugleich enorm unterhaltsam entlarvt das Stück geheuchelte Gefühle, verlogene Religiosität und brodelnde Geilheit der barocken großbürgerlichen Gesellschaft – hier an der Figur des Tartuffe, der sich als moralischer Mineur ins Vertrauen des reichen Orgon einschleicht, bis dieser ihm sein Vermögen überschreibt und sogar seine Tochter zur Frau geben will. Tartuffe dankt es ihm, indem er ihn politische erpreßt, Orgons Frau Elmire zu nahe tritt und Orgon gar aus dem Haus treiben will. Gibt es Rettung in letzter Minute?
 
Die Frage nach der Aktualität dieser wie anderer bitterböser Komödien Molières ist obsolet. Es gibt wohl kaum einen Bühnenautor, der mit seiner Gesellschaftskritik über die Jahrhunderte so gültig geblieben ist wie Molière (d.i. Jean-Baptiste Poquelin, 1622-1673). Zur spritzig-eleganten deutschen Übersetzung des Molièreschen Textes aus dem Jahr 1667 von Wolfgang Wiens hat Maik Priebe dem Ensemble von neun Darstellern neun Hauptrollen auf den Leib geschneidert – und jede/r einzelne füllt sie in Perfektion aus.


...folgt nicht errötend ihren Spuren - MIko Greza, Philippine Pachl - Foto © Klaus Lefebvre
 
Neun Hauptrollen - ein Ensemble von Rang
 
Da ist zunächst und vor allem einmal Tartuffe, dem Miko Greza, kurzfristig für den erkrankten Uwe Dreysel eingesprungen, so glaubhaft niederträchtig Gestalt gibt, daß man ihm alles Böse wünscht – so intensiv nimmt er den Zuschauer mit. Er ist Tartuffe. Daß am Ende, will sagen beim Schlußapplaus, der Fiesling Ovationen erhält, spricht für sich. Sein Opfer Orgon, in unbelehrbarer Verblendung saftig von Stefan Walz stolzierend auf die Bühne gebracht, steht ihm in seiner blasierten Arroganz in nicht nach.
Der erste Szenenapplaus galt Anke Hartwig, deren herrlich bornierte Mme. Pernelle zu Beginn versprach, was dann die gesamte Inszenierung einlöste, den brillanten Umgang mit dem Wort, mit Vermaß, Metrik und Enjambement. Man klebte bei den köstlichen Streitgesprächen, Mono- und Dialogen förmlich an den Lippen der Schauspieler, denen man das eigene Vergnügen am Spiel deutlich anmerkte, um nicht ein einziges Wort zu versäumen. Dank der gepflegten Sprache aller ging auch keiner der kostbaren Verse verloren.


v.l.: Stefan Walz, Thomas Braus - Foto © Klaus Lefebvre
 
Da ist alles drin

Tinka Fürst als Dorine - Foto Klaus Lefebvre
 
Thomas Braus, profiliert wie stets, gab mit körperlicher wie sprachlicher Eleganz den scharfsinnig argumentierenden Cléante, Orgons Schwager – ein Vergnügen, seinen gezierten Schritten und Gesten zu folgen. Orgons aufbrausender Sohn Damis, dem Alexander Peiler schäumende Wut bei gleichzeitiger Dummheit verlieh, war ebenso eine Perle wie Lukas Mundas als gleichermaßen tumber wie eingeschnappter Bräutigam der Tochter Orgons, von Julia Reznik zuckersüß verkörpert. Erst unter vollem Körpereinsatz von Orgons Ehefrau Elmire gelingt es, den Betrüger vor dem Betrogenen zu entlarven. Philippine Pachl überzeugt dabei mit der gewissen Koketterie und weiblichen Berechnung, die es mitunter braucht, um die Herren der Schöpfung vorzuführen.
Und dann Dorine, die Zofe: Tinka Fürst brilliert charmant und frech in dieser ihr wie auf den Leib geschriebenen Rolle, in der sie die ganze Palette ihrer Bühnenkunst zeigen kann – mit Wort und Ausdruck, Sprache, Körpersprache und Mimik. Als Gegenintrigantin zu Tartuffe und dem ihm hörigen Orgon galten ihr etliche Lacher und manch einer der an diesem Abend nicht seltenen Szenenapplause.
 
Geniestreich Bühnenkonzept + Musik
 
Großen Anteil am Erfolg hatten die genial minimalistische Gestaltung der Bühne und die dagegen opulenten Kostüme, ein Hochgenuß fürs Auge – beides Susanne Maier-Staufen zu verdanken, die damit ihr Vorbild Ariane Mnouchkine deutlich überflügelte. Die originäre Idee, das Stück musikalisch mit zeitgenössischen barocken Werken von Rameau, Lully und Goudimel anzufüttern, machte die Sache um ein weiteres runder: der Opernchor und sein Leiter Jens Bingert am Cembalo gaben Molière eine neue Dimension.

Das spürbar und schließlich unüberhörbar begeisterte Publikum gab jubelnden Beifall, weit über die geprobte Applausordnung hinaus – das sichtbar glückliche Ensemble bedankte sich für soviel liebevollen Zuspruch mit strahlendem Lächeln. Ein ganz wunderbarer Abend, dessen zwei delikate Stunden Sie sich unbedingt gönnen sollten!


Ende gut... v.l.; Hartwig, Pachl, Braus, Mundas, Walz, Reznik, Peiler, Fürst - Foto © Klaus Lefebvre
 

Maik Priebe und Susanne Maier-Staufen - Foto © Klaus Lefebvre

Die Neider sterben wohl, doch nimmermehr der Neid.
 
 
Termine, Karten und weitere Informationen: www.wuppertaler-buehnen.de