Der Spott der kleinen Dinge

Nüßchen ade!

von Lars von der Gönna

© Heiko Sakurai
Nüßchen ade!
 
Neulich hat der Nüßchenladen in meiner Stadt dichtgemacht. Der Tod eines Nüßchenladens ist immer eine traurige Sache. Andererseits war es in meinen Augen nur eine Frage der Zeit. Ein Geschäft nur mit Nüßchen, wie soll das gehen?
     Im Nüßchenladen war nie einer drin, bloß zwei ansehnliche Verkäuferinnen und natürlich etliche Nüßchen. Es gab Asia und Honig-Curry, welche im Marshmallow-Mantel und Indian-Summer-Nüßchen, solche mit Reisanteil, andere voll von Chipotle.
     Ich kannte alle. Auf dem Weg zur Arbeit muß ich umsteigen und habe dabei zehn Minuten Aufenthalt. Bei schlechtem Wetter gehe ich in naheliegende Geschäfte, um die Zeit zu überbrücken. Ich finde nicht, daß das verwerflich ist. Begreifen Sie es ruhig als Rache des kleinen Mannes am Würgegriff des Kapitals. Es macht mir nichts.
     Selbstredend sollte man dem Händler nie zu verstehen geben, daß man sein Ladenlokal nur ausbeutet, um auf den nächsten Bus zu warten. Die Rolle „gleichgültiger Kunde“ ist praktisch meine zweite Haut. An der Haltestelle sind eine Lottobude, ein Käsestand und der Nüßchenladen.
     Meist war ich im Nüßchenladen. Die Lottobude machte mich furchtbar nervös. Ich dachte immer, Geld bedeute mir nichts. Aber dann schlich sich der Jackpot in meine Seele und färbte sie schwarz. Ich dachte, was ich mit 30 Millionen täte. Ich stellte mir diabolisch lachend meinen letzten großen Auftritt in der Redaktion vor. Ich hatte Leibwachen. Ich fantasierte, wie ich meine ärgsten Feinde großmütig als Sänftenträger einstellen würde. Ich fiel in einen Rausch über den gefühlten Jackpot. Ich stieg vor lauter Reichtum in den falschen Bus.     
     Danach ging ich nur noch in den Nüßchenladen.
     Meine Haltestellen-Zukunft ist offen. Neben dem Nüßchenladen ist schon lange ein Leerstand. Man erkennt es an der vielen Post unter der Glastür, an der noch ein verblichenes Jobangebot hängt: „Intelligente Friseurin gesucht. Teilzeit“. Als Geschäftsidee war das jetzt auch nicht schlechter als Nüßchen.
 


© Lars von der Gönna - Aus dem Buch „Der Spott der kleinen Dinge“
mit freundlicher Erlaubnis des Verlags Henselowsky Boschmann und der WAZ.