Warum bloß sagt sie nicht: „Recep, hier ist Schluß“?

Ein Kommentar

von Ulli Tückmantel

Foto © Anna Schwartz
Warum bloß sagt sie nicht:
„Recep, hier ist Schluß“?
 
Von Ulli Tückmantel
 
Im Rechtsstaat, so hat die Bundeskanzlerin am Freitag vorgetragen, sei es nicht Sache der Regierung, sondern von Staatsanwaltschaften und Gerichten, das Persönlichkeitsrecht und andere Belange gegen die Presse- und Kunstfreiheit abzuwägen. Die Feststellung ist in Bezug auf den „Majestätsbeleidigungsparagraphen“ 103 des deutschen Strafgesetzbuchs sachlich falsch. Politisch ist sie dumm.
Denn es ist nach geltendem Recht ausdrücklich und ausschließlich Sache der Regierung, die Zustimmung zu einer Strafverfolgung nach dem „Majestätsbeleidigungsparagraphen“ zu erteilen. So regelt es Paragraph 104a StGB. Die Bundeskanzlerin will die Erteilung ihrer Ermächtigung zur Strafverfolgung so verstanden wissen, „daß die rechtliche Prüfung der unabhängigen Justiz überantwortet wird und nicht die Regierung, sondern Staatsanwaltschaften und Gerichte das letzte Wort haben werden“. Das ist nun wirklich rhetorischer Unfug.
Wollte die Kanzlerin im Sinne der Gewaltenteilung wirklich Staatsanwaltschaften und Gerichten den Vortritt lassen, müsste sie den Antrag des türkischen Präsidenten ablehnen und ihn daran erinnern, daß es ihm wie jedermann frei steht, einen Strafantrag nach Paragraph 185 StGB (Beleidigung) zu stellen, was Erdogan ja bereits getan hat. Daß die Bundeskanzlerin nun erst die Strafverfolgung nach Paragraph 103 erlaubt und zugleich verkündet, ihn anschließend abschaffen zu wollen, ist reines Absurdistan.
Angela Merkels Zustimmung zur Verfolgung einer „Majestätsbeleidigung“ ist die konsequente Fortsetzung ihres seit Jahren gegenüber Erdogan eingeschlagenen Wackel-Kurses, der von der Weigerung bestimmt ist, auf den Tisch des Hauses zu hauen und endlich klar zu sagen: Jetzt reicht es mal, Recep, hier ist Schluß.

Das hätte sie schon tun sollen, als Erdogan in den vergangenen Jahren bei all seinen unerbetenen Besuchen in Deutschland lebende Türken aufforderte, vor allem Türken zu bleiben, und eine nachhaltige Integration als „Assimilation“ verunglimpfte, die ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit sei.
2011 bestellte Merkel den türkischen Botschafter nicht ein, als Erdogan im Düsseldorfer ISS Dome verlangte, türkische Kinder in Deutschland sollten zuerst ihre Muttersprache lernen (womit er Türkisch meinte). 2014 verpaßte Merkel die Chance, sich in Köln – wo Erdogan vor 10 000 Anhängern durch die Blume Bundespräsident Joachim Gauck als Lügner bezeichnete – vor die Arena zu stellen und klar zu sagen: Geh nach Hauses, Recep, das sind nicht mehr Deine Türken. Das sind jetzt meine. Dabei hätte sie sich lediglich dazu bekennen müssen, daß Deutschland ein Einwanderungsland ist – das zu seinen Einwanderern steht und sie vor politischen Anmaßungen aus ihren Herkunftsländern schützt.
In der Staatsaffäre Böhmermann fliegt Angela Merkel nun ihre wankelmütige Türkei-Politik des vergangenen Jahrzehnts um die Ohren. Ihre nicht vorhandene Haltung, ob sie Türken in Deutschland nun als willkommene Zuwanderer oder Ausländer betrachtet. Ob die Türkei nun am Katzentisch der EU („Privilegierte Partnerschaft“) bleiben oder aber in eine Wertegemeinschaft eingebunden werden soll. Daß Erdogan diese Wankelmütigkeit gerade jetzt schamlos zu einer Gaga-Inszenierung seiner Selbstherrlichkeit ausnutzt, ist keine Überraschung.
Es wird Zeit, daß Angela Merkel sich gegenüber Erdogan eine klare Haltung zulegt und mit ihm in einer Sprache spricht, die er versteht. Sie wäre angenehm überrascht, wie positiv sich die Gesprächsatmosphäre ändert, wenn sie den türkischen Präsidenten als das behandelt, was er geopolitisch betrachtet ist: Ein Bittsteller, der der EU gerade einen gut bezahlten kleinen Gefallen tut, mehr nicht. Der sein Land mit einem Beinahe-Bürgerkrieg im Innern und einer zum Scheitern verurteilten Großmachtpolitik an den Rand der Isolation führt; ohne brauchbare Verbündete in der Region, ohne Rückhalt in Europa, ohne Perspektive.
Würde die Bundeskanzlerin es mit ihrer heutigen Erklärung ernst meinen, daß sie „die Lage der Medien in der Türkei und das Schicksal einzelner Journalisten wie auch Einschränkungen des Demonstrationsrechts mit großer Sorge“ erfüllt, dann hätte sie der verfolgten demokratischen Opposition in der Türkei sowie den vielen in Deutschland lebenden Erdogan-Gegnern den Rücken stärken müssen statt ihnen mit der politischen Zustimmung zur Verfolgung einer „Majestätsbeleidigung“ in den Rücken zu fallen.
 
Mit dieser Entscheidung kann die Causa Böhmermann trotz eines absehbaren Freispruchs kein gutes Ende nehmen. Erdogan wird kein Urteil akzeptieren, das ihm nicht paßt. Was will Angela Merkel dann tun – auf die Unabhängigkeit der Justiz in Deutschland hinweisen? Nachdem Sie am Freitag eine politische Anweisung zur Strafverfolgung gegeben hat? Könnte man es Erdogan verübeln, wenn er darüber laut lacht?
 
 
Der Kommentar erschien am 16. April 2016 in der Westdeutschen Zeitung.
Übernahme des Textes mit freundlicher Erlaubnis des Autors.