Zwei Dutzend marode Türen

Maxim Gorkis grandiose „Barbaren“ in Oberhausen

von Andreas Rehnolt

Foto © Birgit Hupfeld

Zwei Dutzend marode Türen sorgen
für ständiges Kommen und Gehen


Peter Carp inszenierte in Oberhausen
grandiose „Barbaren“ von Maxim Gorki
 
 
Oberhausen - Oberhausens Intendant Peter Carp hat am 8. April in seinem Theater eine grandiose Inszenierung des Stücks „Barbaren“ von Maxim Gorki auf die Bühne gebracht. 15 wunderbare Schauspieler und geschätzte zwei Dutzend maroder Türen sorgten auf der von Kaspar Zwimpfer verantworteten Bühne für ein ständiges Kommen und Gehen in diesem in Deutschland nur selten gespielten, frühen Stück des russischen Autors. Der Text stammt aus dem Jahr 1905 und kann durchaus als „Entdeckung“ gewertet werden. Nicht zuletzt, weil „Barbaren“ in der Übersetzung von Alice Wagner so überhaupt nicht zu dem passen, was gemeinhin von dem Revolutionsdichter zu sehen und auf der Bühne zu erleben ist, und weil die Akteure allesamt hervorragend spielen und die Charakteren der Menschen, die da in einer Kleinstadt in der russischen Provinz aufeinander treffen hervorragend rüberbringen.
 
Erstaunlich, wenn man am Abend bei der Premierenfeier erfährt, das „Barbaren“ nur deshalb zur Aufführung kam, weil wegen einer Erkrankung von Thomas Hürlimann die ursprünglich vorgesehene Uraufführung „Oostende“ nicht aufgeführt werden konnte. Die „Barbaren“ bewiesen in der Inszenierung von Carp, daß sie durchaus viel mehr sind als ein lange von den Bühnen vergessener „Lückenfüller“. Die knapp zwei Stunden Theater in Oberhausen gerieten zu einem echten Bühnen-Erlebnis.
Es geht um eine russische Kleinstadt, eine Handvoll gut betuchter Bürger, einen an nicht erwiderter Liebe erkrankten Provinzarzt, einen despotischen Bürgermeister, einige wenige adelige Damen und zwei Eisenbahn-Ingenieure, die nebst Anhang den Fortschritt auch in diese abgelegene Ecke bringen sollen. Außerdem dabei der ältere Pawlin, der mißtrauisch ist und nicht an das Gelingen des Vorhabens glaubt. Für die recht überheblich auftretenden Ingenieure sind die Kleinstädter die „Barbaren“. Die meisten von denen allerdings sehen sie in den Fremden aus Moskau.
 
Wenn da nicht die Damen wären. Eine von ihnen, die Ehefrau des Steueraufsehers und notorische Leserin von Liebesromanen, verdreht nicht nur den Männern in der Kleinstadt, sondern bald auch den beiden Ingenieuren den Kopf. Ihr Ehemann flieht in den Alkohol, der Arzt will sich das Leben nehmen, der ältere der beiden Ingenieure verspricht ihr ein Leben im Luxus - doch sie hat es auf den jüngeren und verheirateten der beiden Ingenieure abgesehen. Die Eisenbahn ist schnell egal, die Verhandlungen für Land oder Holz spielen schon nach wenigen Minuten keine Rolle mehr. Vielmehr zieht der Alltag der bürgerlichen Kleinstadt mit all seinen Korruptionen, Intrigen, Eifersüchteleien die Städter immer mehr in den Bann.
Der junge Ingenieur, der sich von seiner Frau trennen will, die adlige junge Dame im Örtchen begehrt und sich dennoch von der Frau des Steueraufsehers küssen läßt, ist die männliche Figur, um die sich alles dreht. Enorm viel Verzweiflung ist im Spiel an diesem barbarisch guten Oberhausener Theaterabend. Man wundert sich am Ende, warum nur eine Person sich ganz zum Schluß erschießt. Eigentlich hätten deutlich mehr der „Barbaren“ einen Grund dazu. Die Inszenierung ist toll, die Leistung aller Schauspieler ebenso - und daher heben wir auch keinen der Akteure besonders hervor.
 
Die rund zwei Dutzend schöner und uralter Türen jedoch, die die Theaterleute aus Oberhausen irgendwann einmal in den Niederlanden eingekauft haben, die verdienen durchaus noch eine Erwähnung. Die Wände zwischen den Türen sind in Oberhausen transparent. Sie bieten Ein- und Ausblicke mal in einen Salon, mal in den Garten oder auf die Terrasse der adligen Dame, deren Haus zum Treffpunkt der Fremden und der Einheimischen im Ort wird. So hat man als Zuschauer durch das Auf- und Zuschlagen der Türen unendlich viele Begegnungen in diesem Gorki-Stück. Die Politische Aussage? Auch hier hat Carp eine gute Idee. Er zitiert aus einem Brief von Gorki an Lenin. Dort heißt es, er, Gorki, könne eigentlich „nur erzählen“. Sehr langer, begeisterter Applaus am Ende der knapp zweistündigen Inszenierung.
 
Die nächsten Aufführungen: 30. April, 13. und 22. Mai.