Alberto Burri. Das Trauma der Malerei

Selten Gesehenes im Düsseldorfer K21

von Rainer K. Wick

Alberto Burri - Foto © Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen
Alberto Burri.
Das Trauma der Malerei
Selten Gesehenes im Düsseldorfer K21
 
Der Italiener Alberto Burri (1915–1995) zählt mit seinen Materialarbeiten aus Jute, Eisen, Holz und Plastik zu den einflussreichsten, in Deutschland jedoch weniger bekannten Künstlern der Nachkriegszeit. Schon relativ früh, 1966, erwarb die Düsseldorfer Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen unter ihrem damaligen Leiter Werner Schmalenbach ein „Sacco“ von Burri. Sie zählt damit zu den wenigen Sammlungen in Deutschland, die Werke des Künstlers besitzen. Der hundertste Geburts- und zwanzigste Todestag boten den äußeren Anlass, Alberto Burri umfassend mit einer Ausstellung im Solomon R. Guggenheim Museum in New York zu würdigen, die jetzt in erweiterter Form im K21 (Ständehaus) in Düsseldorf gezeigt wird.

Geboren im umbrischen Città di Castello, studierte Alberto Burri Medizin und war während des Zweiten Weltkriegs als Militärarzt in Nordafrika eingesetzt. 1943 geriet er in Tunesien in alliierte Kriegsgefangenschaft und kam in ein Lager im texanischen Hereford, wo er zu malen und zu zeichnen begann. Die hier und unmittelbar nach der Gefangenschaft entstandenen Zeichnungen, die in Düsseldorf erstmals gezeigt werden, lassen die furchtbaren Kriegserlebnisse Burris erahnen, insbesondere als Arzt, der zahllose schwer verwundete Soldaten der italienischen Armee zu behandeln hatte. Es sind entstellte Körper, surreal verformte Gestalten, auch verwüstete Landschaften, die umstandslos als Versuche der bildnerischen Verarbeitung schwerer traumatischer Erfahrungen zu deuten sind. Nach seiner Rückkehr nach Italien gab Burri die Medizin auf und entschied sich, obwohl Autodidakt, im Jahr 1946 für die freie Kunst. Und nicht nur das. Er brach radikal mit allen Formen der Figuration und entschloss sich, zukünftig nur noch gegenstandslos zu arbeiten. Schon 1947 hatte er eine erste Einzelausstellung in der Galleria La Margherita in Rom. 1954, in Zeiten der Hochblüte von Informel und Abstraktem Expressionismus, folgte sein internationaler Durchbruch mit einer Ausstellung im New Yorker Solomon R. Guggenheim Museum.


Alberto Burri. Rosso plastica. 1962 - © Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen
 
Burri gehört zu jenen italienischen Künstlern, denen es unter den Vorzeichen des Existenzialismus der Nachkriegszeit und vor dem Hintergrund der neu gewonnenen individuellen Freiheiten nach mehr als zwanzig Jahren Mussolini-Diktatur um die künstlerische Formulierung subjektiver Haltungen, persönlicher Befindlichkeiten und grundlegender Existenzfragen ging. Dazu bedienten sie sich einer Bildsprache ohne gegenständliche Bezüge oder figurative Konkretisierungen. Das Skripturale und Gestische spielte eine ebenso große Rolle wie das rein Stoffliche, das sich in einer neuartigen Materialästhetik äußerte, die nicht auf Repräsentation zielte, sondern oft als bloße Präsentation von Materialien oder Materialensembles erschien. So ging es bei Alberto Burri, dessen unterschiedliche Werkgruppen die beträchtliche Wandlungsfähigkeit des Künstlers belegen, vordergründig immer um die Exploration des Materials und dessen Veränderungen durch gestalterisches Eingreifen, so in den „Combustioni“ (Verbrennungsbildern) oder in den Serien „Catrami“ (Teerflächen), „Gobbi“ (Buckel), „Muffe“ (Schimmel), „Legni“ (Hölzer), „Ferri“ (Eisen), „Cretti“ (Risse) und „Plastiche“ (Plastik). Typisch sind schrundige Oberflächen, Rissbildungen, Brandspuren und kraterartige Formationen, Buckel, Löcher, Narben und Krakelüren. Untrennbar verbinden sich mit seinem Namen die berühmten „Sacchi“, die in den 1950er Jahren entstanden – Materialmontagen aus miteinander vernähtem, grobem Sackleinen (Jute), einem „armen“ Material, das hier nicht als Malgrund dient, sondern in seinem ästhetischen Eigenwert vorgeführt wird, das aber auch als Verweis auf die ökonomisch schwierigen, entbehrungsreichen Nachkriegsjahre verstanden werden kann.


Alberto Burri. Bianco, 1952 - © Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen

Insofern wäre es zu kurz gegriffen, würde man es bei einer rein formalen Betrachtung dieses in Düsseldorf in seinen vielfältigen Facetten präsentierten Œuvres bewenden lassen. Burri selbst hat sich zwar dagegen verwahrt, „etwas über Erlebnishintergründe, über milieuartige, psychologische, ideologische oder metaphysische Bedingungen seines Werkes [...] aussagen zu können“, so der Schweizer Kunsthistoriker und Schriftsteller Paul Nizon, doch bedarf es keiner sonderlichen tiefenpsychologischen Anstrengung, um die fast durchgängigen Hinweise auf Beschädigungen, Verletzungen und Zerstörungen mit der unauslöschlichen Erinnerung des Künstlers an das Grauen des Krieges in Verbindung zu bringen. Burris Materialcollagen aus alltäglichen Abfallstoffen, die implizit von Gewalt erzählen, zeugen neben ihrer destruktiven Seite zugleich von einem Aspekt der aktiven Traumabewältigung, sind sie doch das Resultat eines produktiven gestalterischen Vorgangs, der geradezu als Akt des Reparierens bzw. des Heilens gedeutet werden kann. Dies scheint in besonderem Maße für die „Sacchi“ zuzutreffen, wo Fragmentarisches in eine neue Ordnung gebracht und durch deutlich sichtbare Nähte – es drängt sich der Gedanke an die Tätigkeit des operierenden (Militär-)Arztes auf – zusammengehalten wird.


Alberto Burri, Grande sacco BS, 1956 - © Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen
 
Als eine kluge Entscheidung erweist sich der Umstand, dass die Kuratoren der Düsseldorfer Ausstellung die Präsentation von circa siebzig Arbeiten Burris, die aus europäischen und amerikanischen Museen und Privatsammlungen entliehen werden konnten, durch Werke der Materialkunst aus den Beständen der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen ergänzt haben. Durch die Kontextualisierung etwa mit Arbeiten von Lucio Fontana, Piero Manzoni, Jannis Kounellis und Mario Merz wird Alberto Burris Bedeutung für die italienische Avantgarde nach 1945 ebenso deutlich wie sich die Impulse auf die US-amerikanische Moderne, die in den 1950er Jahren aus Besuchen Cy Twomblys, Robert Rauschenbergs und Lee Bontecous in Burris römischen Atelier resultierten, ablesen lassen.

Zur Ausstellung ist ein umfangreicher Katalog in englischer Sprache erschienen: „Alberto Burri. The Trauma of Painting“ hrsg. von der Solomon R. Guggenheim Foundation, New York, Thames & Hudson, Ltd. 2015. Der Katalog kann über den Webshop der Kunstsammlung bestellt oder an den Kassen erworben werden, Preis: 49,- Euro.
 
alle Fotos © Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen
 
Alberto Burri. Das Trauma der Malerei
Düsseldorf, K21 Ständehaus - bis 03.07.2016
Weitere Informationen: www.kunstsammlung.de/