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Huhuhu, Kinder sind tabuuhu! - Über Hartmut Engler von PUR

von Wolfgang Nitschke

Wolfgang Nitschke - © Manfred Linke / laif
Huhuhu, Kinder sind tabuuhu!
Über Hartmut Engler von PUR
 
Meine Damen und Herren!
Ich bin relativ hart im Nehmen. Deshalb kann ich z.B. ein Buch von Jürgen Fliege auch so runterlesen. Ich bin sogar in der Lage, im Fern­sehen Jürgen Fliege, Beckmann und Johannes B. Kerner fast bis zum Ende auszuhalten. (Wenn ich den Ton ganz, ganz leise schalte.)
Jetzt gibt es aber – und das seit über 20 Jahren – eine sogenannte Musikgruppe, die die Texte von Fliege, Beckmann und Kerner vertont und singt. Und das ist selbst für mich, der ich schon in reichlich üble Kübel geschaut habe, um es mal zivil und zurückhaltend auszudrücken, wenig erbaulich, ja, schwer verdaulich.
Werte Leser! Seit der umstrittenen Schleyer-Entführung hat der Staat alle Möglichkeiten der Welt, auch gegen musizierende Terrorgruppen vorzu­gehen. Aber wie immer ist die deutsche Justiz blind, diesmal sogar auf beiden Augen, und taub obendrein: Man muß „Pur“ nicht kennen; man sollte aber wissen, daß so was wie „Pur“ in einer angeblichen Zivilgesell­schaft möglich ist. Ein albernes Land wie Afghanistan wird bombardiert, nur weil die Frauen von ihren Talibans behandelt werden wie noch in den 50er Jahren hier von der CDU! Aber eine deutsche menschenverachten­de Popgruppe darf öffentlich auftreten – wann und wo sie will, ohne daß die Nato bisher auch nur eine einzige Sitzung einberufen hätte.

Und doch gibt es Widerstand, und zwar sogar – man glaubt es kaum - von ganz offizieller Seite: vom deutschen Doofdudelfunk Radio Gaga höchstpersönlich! Landauf und landab weigern sich nämlich seit Jahren praktisch alle Dudel-Sender der Republik, ihrem Dudelvolk auch nur ein „Pur“-Stück vorzududeln. Der „Playboy“, berühmt u.a. für seine dicken Interviews, fragte den Hartmut am 16. 11. 2001:
„Warum werden Sie von vielen großen Popsendern nicht gespielt?“
Und der Hartmut antwortete:
„Das kann ich Ihnen auch nicht sagen. Es gibt bei SWR 3 einen Redaktionsbeschluß, daß Musik von PUR nicht gespielt werden darf. Das geht so weit, daß Lieder von uns in Wunschsendungen ausdrücklich von Hörern gewünscht werden und trotzdem nicht gespielt werden. Das ist schon ziemlich frech. Auch bei VIVA hat man uns kommentarlos aus dem Programm geworfen. Ich weiß nicht, was wir den Leuten getan haben.“
Ach was! Echt nicht? Lieber Hartmut, komm, wissen wir das wirklich nicht? Haben wir nicht vor geraumer Zeit mal ein Lied geschrieben über ... äh, „große Buckelwale“? Und nicht einfach nur über „große Buckelwale“, sondern über „gewaltige und friedvolle, mächtige und liebevolle große Buckelwale“? Über „große Buckelwale, die heimtückischen Menschen entfliehen müssen? Über „große Buckelwale, die sich menschenfern im Schutz der Tiefe zum Liebesspiel treffen“ und wenn se zum Atmen nach oben kommen „Verletzbarkeit riskieren“? Und bist du’s nicht selbst da im Refrain, wo es heißt: „Er träumt jede Nacht von großen Buckelwalen“?
Lieber Hartmut, selbstverständlich hast du Recht, wenn du sagst, daß viele, viele Menschen solche Lieder hören wollen. Aber ist nicht gerade das das große Problem in unserer heutigen Zeit? Ich mein’, haben die Amerikaner und Engländer und vor allem die russischen Bürger unter unsäglichen Opfern denn damals Deutschland aus der Dunkelheit befreit, damit solche Lieder gesendet werden können? Ich weiß, ich weiß! Diese Frage, lieber Hartmut, kann man nur sehr schwer beantworten. Und man kann sie eigentlich auch nur beantworten, wenn man weiß, daß du nicht nur „große Buckelwale“ besingst, sondern auch „wahre, echte Freunde“, „herbe Tiefschläge“ und Leute, „die ganz allein vorm Spiegel stehen“, zudem auch noch „die Vergänglichkeit unseres Daseins“, „Träume, Hoffnung, Mut und Lebenslust“ und „den Verlust eines geliebten Menschen“, also „echte Trennungs- und Berührungsängste“. Und natürlich immer wieder Liebeslieder und „wie schwer es Frauen oft haben, die Absichten und Beweggründe maskulinen Handelns richtig zu deuten, für das wir von unserer Seite ein klein wenig Verständnis signalisie­ren möchten.“

Hör mal, Hartmut! Du schreibst irgendwo, daß du jahre­lang „EMMA abonniert hast.“
Ähm … Gut, hier kann jeder abonnieren, was er will. (Auch das übrigens Dank der Alliierten.) Und daß es einer Alice Schwarzer extrem wurscht ist, von welcher minderbemittelten, einfach strukturierten, männlichen Nasenpfeife ihr kaputtes Sexualorgan gekauft wird, ist auch wurscht. (Wobei es, gelinde gesagt, schon etwas merkwürdig anmutet, wenn ein Hedwig-Courths-Mahlender Muschi-Liedermacher wie du EMMA abonniert!) Aber kann es sein, daß diese jahrelange, anstrengende Lektüre bei dir von A bis Z völlig für die Katz war? Glaubst du im Ernst, daß ausgerechnet du bei den Frauen, ob sie nun EMMA lesen oder EMMA nicht mal buchstabieren können, „Verständnis für unser masku­lines Handeln“ erreichen wirst, und dann noch mit solchen Zeilen!
„Ich lieb’ Dich, egal wie das klingt.
Ich lieb’ Dich, ich weiß, daß es stimmt.
Denn ich lieb’ mich bei Dir.
Ich lieb’ mich an Dir.
Ich lieb mich in Dir fest,
Wenn du mich nur läßt.“


Werte Leser,
über den Erfolg, 1,5 Mill. Exemplare der CD „Seiltänzertraum“ verscheuert zu haben, heißt es im Beiheft zu der abenteuerlichen Groteske namens „Abenteuerland“, die nur ein Jahr danach über uns herein­brach:
„Wer uns kennt, weiß, daß wir uns darüber wirklich gefreut, gefreuter, am gefreutesten haben.“
Gesungene Jürgen-Fliege-Texte sind das eine. Gedruckter Schleim incl. Vergewaltigung der deutschen Sprache aber noch einer drauf. Apropos „Abenteuerland“! Hier nur der Refrain:
„Komm mit mir ins Abenteuerland.
Und tu’s auf Deine Weise.
Deine Phantasie schenkt Dir ein Land.
Komm auf deine eig’ne Reise.
Der Eintritt kostet den Verstand.
Komm ins Abenteuerland.“


Nachtrag:
Auch wenn das Liedgut von „Pur“ in den Radio-Stationen als das „Spät­werk Roberto Blancos“ abgewiegelt wird, heißt das noch lange nicht, daß ARD und die Dritten Programme diese Meinung teilen! So war denn auch folgerichtig das Konzert, das „Pur“ in der randvollen neuen Schalke-Arena den 70.000 fanatischen Puristen geliefert hatten, kurz drauf in öffentlich-rechtlichen Anstalten zu sehen - u.a. auch das sog. „Lied gegen Kindermißbrauch“. Und körperlich zu spüren waren durch den Apparat hindurch 70 Tausend kleine Bürger, die folgendes voller Inbrunst und Erregung mitsangen:
„Kinder sind tabuuh … tabuuh ... uh ...
uh … uh … uh
Uh … uh … uh ...
Wenn ich als Vater an die Opfer denke,
mir das Mitleid für die Täter fehlt,
dann geb ich zu, ich will es nicht versteh’n.

Wie man einem kleinen, schwachen Mann,
einer kleinen Frau so was antun kann.
Jeder ist mir zuwider, der Kinder so benutzt
Sie brauchen unsern Schutz.

Wenn der ‚gute Onkel’, der den Kitzel vermißt
Zu ganz kleinen Mädchen ganz ‚lieb’ ist,
Faßt sie nicht an, laßt sie in Ruh’,
dann reicht es, wir drücken kein Auge mehr zu.
Denn Kinder sind tabuuh ...
tabuuh ... uh … uh … uh.“


Als dieses alternative Otto-Normal-Pack mit seinem militanten Kitschdreck fertig, das letzte „Tabuuuuh“ mithin verklungen war, dacht ich nur, „Mensch, was'n Glück für mich und mein polizeiliches Führungszeugnis, daß ich da nicht dabei gewesen bin!“

Sep. 2002