Zeremonie der Langsamkeit - Poesie der Bilder

„The Àssassin“ von Hou Hsiao-hsien

von Renate Wagner

The Assassin
(Nie yin niang - China/ Hongkong/Taiwan – 2015)

Regie: Hou Hsiao-hsien
Mit: Shu Qi, Chang Chen, Zhou Yun u.a.
 
Rein äußerlich betrachtet, etwa von der Ausstattung her, erinnert das an die großen chinesischen Kampfspektakel von „Tiger“, „Hero“ und „Flying Daggers“ – aber obwohl (wenn auch geringfügig) gekämpft wird, ist das nicht die Martial Arts der (geliebten) Hongkong-Filme, das ist vielmehr hohe Filmkunst (ein bißchen auch spürbar darauf angelegt). „The Assassin“ ist die Art von Filmen, die dann auf Festivals reüssieren – 2015 in Cannes gab es den Preis für die beste Regie. Für Fans des Arthouse-Kinos zweifellos ein Fest, ein ganzer Film wie eine Meditation. Wer allerdings im Hinblick auf die genialen Action-Wirbel früher China-Filme ins Kino kommt, läuft am Ende gar Gefahr, hier einzuschlafen…
Schon die ersten fünf Minuten sind seltsam faszinierend – in Schwarzweiß, an kostbare chinesische Tuschzeichnungen gemahnend, Kurosawa läßt grüßen. Der aus Taiwan stammende Regisseur Hou Hsiao-Hsien (vielleicht getragen ein wenig von der Weisheit des Alters – nächstes Jahr wird er 70) spinnt einen ruhigen Prolog aus scheinbar unzusammenhängenden Szenen, wobei man irgendwie begreifen muß, daß die Heldin wie ein Dämon aus dem Nichts einen Mann anspringt, der dann langsam tot vom Pferd fällt…. Aber offenbar nicht die Heldin erfüllt immer ihre „Pflicht“. „Töte!“ befiehlt die Meisterin ihrer Schülerin, töte ohne Gnade dein Opfer und seine Angehörigen.
 
Nach fünf Minuten wird es bunt, gibt es den Vorspann, man erfährt, wo man ist (im China des 9. Jahrhunderts, während der Tang Dynastie), und schnell wird auch klar, daß es vordringlich ein Film über Frauen ist. Sie mögen teilweise wie die wunderschönen, reich geschmückten Puppen aussehen, aber tatsächlich geht es um Politik – um Intrige, um Verrat, um Mord. Wenn man den Film auf Chinesisch mit Untertiteln erlebt, tut man sich nicht immer leicht, der Handlung zu folgen. Im Zentrum steht – dunkel und geheimnisvoll – Nie Yinniang (gespielt von der wunderschönen Shu Qi, die sich vielfach, u.a. in „The Transporter“, im internationalen Film umgetan hat). Daß sie die Killerin, die Assassin(a) des Titels, ist, steht außer Zweifel. Sie wird in eine Welt politischer Unruhe gestellt – nichtsdestoweniger verhandelt man mit leiser Stimme den geplanten Untergang der Dynastie (wenn es nicht ein paar blöde kichernde Beamte gibt – eine kurze Ausnahme in der unheimlichen verhaltenen Eleganz dieses Films).
Töten soll die Killerin nun einen mächtigen Provinzchef des Nordens, Gouverneur Tian Jian (Chang Chen), der allerdings einst als ihr Gatte vorgesehen war und für den sie tiefe Gefühle hegt. Stark und schön ist ihre Gegenspielerin, die nunmehrige Gattin des einstigen Geliebten, Lady Tian (Zhou Yun). Wie gesagt, es ist ein Frauenfilm… und wenn er inhaltlich nicht von überwältigender Klarheit ist, sagt man sich, daß es eben nicht in erster Linie darum geht.
Sondern um das Grundsätzliche: Pflicht, Liebe, Ehre, die schönen alten Begriffe, die man in unserer Welt den Menschen längst ausgetrieben hat, bestimmen hier das stille Handeln von so gut wie allen Beteiligten. Das ist nun tatsächlich nicht „Martial Arts“, sondern fällt in das Genre der „Wǔxiá“, wo ein stark magisches Element zum Tragen kommt (da gibt es einen Magier-Meister, da hüllt auch schon einmal grüner Nebel bedrohlich die mächtige Dame Tian ein…).
 
Hou Hsiao-hsien zaubert Landschaften von gewollt ausgesuchter Schönheit auf die Leinwand, dazu magische Momente, wenn man gefühlte Minuten lang zusieht, wie weißer Nebel über einen Hügel zieht, auf dem die unbewegte Heldin steht. Es gibt weitläufige Gebäude mit der üblichen Pracht, zitternde Flammen und wehende Vorhänge werden bisweilen manieristischen ausgestellt. Szenen von imperialer Repräsentation spiegeln die übliche chinesische Historie, aber da ist auch der traurige Blick der einsamen Heldin. Hie und da zieht sie das Schwert, aber das ist im Grunde Nebensache.
Was dieser Film letztendlich bietet, ist eine Zeremonie der Langsamkeit. Da ist die Poesie der Bilder, da ist die Stille (gesprochen wird vergleichsweise wenig). Schönheit und Geheimnis walten. Perfekt – wenn auch ein wenig geschmäcklerisch. Ein kleiner Wermutstropfen – man merkt bisweilen die Absicht zu sehr, einen Kunstfilm zu machen. Aber doch nicht so, daß man verstimmt wäre.
 
 
Renate Wagner