Im Einvernehmen mit Fauna und Flora

Sue Hubbell – „Leben auf dem Land“

von Sabine Kaufmann

Umschlagmotiv: Edward Hopper, Red Barn in Autumn
Landscape, 1927

Im Einvernehmen
mit Fauna und Flora
 
Würde ich ein aufs Wesentliche reduziertes Leben in ländlicher Abgeschiedenheit, eine wetter- und jahreszeitenabhängige Einheit von Mensch und Tier, Natur und Jahreszeiten, wie sie Sue Hubbell in ihrem Buch „Leben auf dem Land“ beschreibt, gegen mein geregeltes Stadtleben eintauschen? Wohl nicht, auch nicht nach der Lektüre der durchaus beeindruckenden Aufzeichnungen von Sue Hubbell, die ein solches Leben, nachdem ihr Mann sie nach 30 Jahren Ehe verlassen hatte, seit zwölf Jahren auf ihrer Bienenfarm in den südlichen Ozark Mountains von Missouri führt. Obwohl: ein wenig neidisch bin ich schon darauf, mit welch entspannter Gelassenheit diese kluge Frau ihr arbeitsames und gewiß nicht einfaches, aber relativ freies Leben als Imkerin zu meistern scheint. Ihre 300 Bienenstöcke, die sie an Farmer vermietet, sind sehr begehrt, den Honig, den sie erntet, vermarktet sie mit Hilfe ihres 1954er Chevrolet Halfton Pickup selbst.
 
Es ist, so der Verlagstext zutreffend „eine Hymne auf das entschleunigte Leben“, geschildert „mit feinem Humor und naturwissenschaftlicher Kenntnis“. Und in der Tat ist es nicht nur äußerst unterhaltsam, wie sie mit gesundem, trockenem Humor ihr Leben schildert. Es ist nämlich auch höchst informativ und ohne schulmeisterlich zu wirken lehrreich, zu erfahren, wie viel wir von und über die Bienen und Fledermäuse, Insekten, Opossums, Schlangen, Kojoten, Wildkatzen, Hunden, Bäumen und andere Pflanzen lernen können, wie man welches Holz behandelt, dies und das am Auto selbst repariert und wie wichtig der Zusammenhalt mit den weit verstreut lebenden Nachbarn und praktische Nachbarschaftshilfe sind. Sue Hubbell vermittelt ganz nebenbei biologische Detail-Wissen über die Pflanzen und die Tiere, die das Leben in den Ozarks bestimmen, wie Kupferkopfschlangen, Frösche, Weißwedelhirsche, Rotluchse, Kojoten, Termiten oder Buschratten, eben alles was da kreucht und fleucht, flattert  und blüht. Und natürlich erfährt man auch viel Interessantes über das soziale Leben der Bienen, ihre Natur und ihren Nutzen.
 
Im Winter tage- ja wochenlang eingeschneit? Macht nichts, man hat ja vorgesorgt und muß keine „Termine“ einhalten. Außerdem sind immerhin rund 270 Zentner Honig zu verpacken und zu etikettieren und Holz für den täglichen Bedarf zu hacken. Zum Glück bleibt dann auch noch Zeit dafür übrig, Notizen über die Schönheit, die Poesie und die Skurrilitäten der Natur zu machen. Die Bilder von Landschaften, Bäumen, Blumen und Tieren, die sie mit unprätentiösen Worten zeichnet, hinterlassen tiefe Eindrücke. Man bekommt bei der Lektüre ein Gefühl dafür, wie erfüllend es wohl trotz aller Schwierigkeiten ist, ein solches Leben im Einvernehmen mit Fauna und Flora zu führen.
Die Natur zeigte Sue Hubbell, daß es in der Konsequenz einzig und allein darum geht, seinen Platz darin zu finden. Dann funktioniert die Symbiose. Das ist ihr offensichtlich gelungen, wie ihr Bericht belegt. Ein witziger Kniff der Autorin läßt aus den vier Jahreszeiten fünf werden und deutet so auf den nie endenden Kreislauf des Lebens. Man schmökert sich begierig durch das Buch – und legt es nicht zu weit weg, damit man es bald noch einmal zur Hand nehmen und vielleicht auch mal die eingestreuten Rezepte nachkochen kann. Sehr empfehlenswert und doch auch ein bißchen lockend.
 
Sue Hubbell – „Leben auf dem Land“
Aus dem Amerikanischen von Barbara Heller
 
© 2016 Diogenes Verlag, 272 Seiten, Leinen mit Schutzumschlag - ISBN 978-3-257-06960-0
22,- € / 22,70 (A) / 30,- sFr
 
Weitere Informationen: www.diogenes.de