Zur Erinnerung an Thomas Beimel

Der Komponist starb vor wenigen Tagen im Alter von nur 49 Jahren

von Frank Becker

Thomas Beimel - Foto © Frank Becker
Zur Erinnerung an Thomas Beimel
 
* 30. Mai 1967 in Essen - † 29. Juni 2016 in Wuppertal


 
Er fehlt mir und allen Freunden schon jetzt so sehr,
daß wir gar nicht wissen, wie es ohne ihn weitergehen
soll. Der Kummer macht uns völlig sprachlos.

(Olaf Reitz)


Thomas Beimel begann nach dem Studium der Viola bei Prof. Konrad Grahe an der Folkwanghochschule, Essen und bei Karin Wolf, Verdi-Quartett seine musikalische Laufbahn zunächst als Interpret an der Bratsche.1988-1992 Studium der Instrumentalpädagogik an der Hochschule für Musik im Rheinland.
1989 gründet er zusammen mit befreundeten Musikerinnen das Ensemble „Partita Radicale“, das sich auf den Grenzbereich zwischen Improvisation und Komposition spezialisiert hat, alle Projekte kollektiv erarbeitet und bis heute besteht. Die Arbeit des Ensembles umfaßt Programme mit strukturierten Improvisationen, Filmmusik, Musiktheater sowie Kinderprogrammen und die Zusammenarbeit mit Komponisten. „Partita Radicale“ trat in mehreren Ländern Europas und in China auf. Ihre Musik wurde von vielen Rundfunkanstalten gesendet und auf CDs veröffentlicht. 1996 studierte „Partita Radicale“ gemeinsam traditionelle chinesische Musik am Konservatorium von Tianjin, China (Er-Hu Unterricht bei Prof. Sung Guo-Sheng).
Seit 1991 arbeitet Thomas Beimel auch als Musikwissenschaftler. Er veröffentlichte zwei Bücher über die belgische Komponstin Jacqueline Fontyn und die rumänische Komponistin Myriam Marbe und schrieb Artikel über zeitgenössische Musik, die in führenden musikwissenschaftlichen Zeitungen in der BRD, Österreich, Rumänien, Tschechien und den USA publiziert wurden. Für den Deutschlandfunk Köln war er als Autor von Komponistenportraits tätig.
Thomas Beimel wurde zu Gastvorträgen an die Wuppertaler Musikhochschule und die Universität Kassel eingeladen. Er erhielt ein Forschungsstipendium der Südosteuropagesellschaft für einen Studienaufenthalt in Bukarest, wo er u.a. mit der Ethnomusikologin Dr. Speranta Radulescu zusammenarbeitete.
Gemeinsam mit der Geigerin Gunda Gottschalk erhielt er für das Hörspielprojekt „Das Paradies“ (2000 realisiert) eine Arbeits- und Produktionsförderung der Filmstiftung NRW.
Das zunehmende Bedürfnis, die Musik stärker zu determinieren führt ihn schrittweise zur Komposition (im Sommer 1997 Studium bei Myriam Marbe in Bukarest). Seine Werke wurden u.a. bei den Bergischen Biennalen für Neue Musik und den „World Music Days 1999“ aufgeführt. Ein Werkverzeichnis ist bei Wikipedia veröffentlicht.
Im November 1999 gab es am Stadttheater Mönchengladbach die Uraufführung seiner ersten Oper „Idyllen“.
2000 erschien die HörSpiel-CD „Das Paradies“ mit Beimels Musik, und 2001 wurde Franz Kafkas „In der Strafkolonie“ mit seiner Musik im Wuppertaler Opernhaus aufgeführt.
Als „Composer in Residence“ wirke Thomas Beimel 2005/06 am Bayrischen Kammerorchester.
2012 schrieb er die Musik zu dem Musiktheater „vom guten ton – die welt ist voller geplapper“ und wirkte beim Konzept der „Wunderflunkertour“ mit, einer inszenierten kurzweiligen und musikalisch begleiteten Stadtrundfahrt durch Wuppertal
 
Thomas Beimel war einer der freundlichsten Menschen in dieser sonst oft harschen Stadt.

Am 26. August veranstalten Thomas Beimels Freunde und Kollegen ein Gedenkkonzert in der City-Kirche Wuppertal-Elberfeld.
Zur Erinnerung an den Künstler bringen wir heute noch einmal die Kritiken von „Das Paradies“ (2000) und „In der Strafkolonie“ (2001).
 
 
Schlaraffenland der Ohren
HörSpiel im U-Club: „Paradies“
 
Wenn man ihnen sagte, an einem ungemütlich regnerischen Sonntagabend seien in einem recht abgelegenen Wuppertaler Veranstaltungslokal
gut 100 Menschen zusammengekommen, um gemeinsam einem Hörspiel zu lauschen und hatten dafür sogar Eintritt entrichtet - würden sie das glauben? Nein? Und doch war es so. Die Autoren/Komponisten Gunda Gottschalk und Thomas Beimel hatten zur CD-Präsentation ihres HörSpiels „Paradies“ in den U-Club gebeten und über 100 Interessierte folgten dem Ruf. Mit Unterstützung der Filmstiftung NRW haben sie das Projekt trotz kontroverser Diskussion unzensiert verwirklichen können. Anstoß hatten ironisch collagierte erotische Texte erregt, die, sagen wir es offen, weniger pornographisch kaum hätten sein können. Betty Striewe spricht sie hörenswert.
Es gab zur Präsentation ein Rahmenprogramm, das so nötig war wie ein Kropf. Zu Beginn übten sich „Blue Point Underground“ in kakophonischer Körperverletzung - am interessantesten dabei Caroline Keufen an Eisenplatte, Nagel, Stahlrohr und Sprache. Und als peinlichen Abschluß gab es einen verlegen belachten schwulen Porno mit Live-Musik und -Ton. Was, bitte, sollte das? Das Hörspiel ist doch gut - solcher Unfug schadet nur. Aber Schwamm drüber.
Die einnehmend wohlklingende Erzähler-Stimme von Olaf Reitz entführt in ein Utopia, ein fantastisches, verwirrendes Paradies und trägt durchgehend das Gebäude der beglückenden Geschichte. Reitz gehört mittlerweile zu den profiliertesten Sprechern und Schauspielern der freien Theaterszene, weit über die Region hinaus. Geraldo Si Loureiro, bekannt als Choreograph und Regisseur leiht dem „Schlaraffenland“ seinen charmanten brasilianischen Akzent und macht humorvoll-saftig Appetit auf die kulinarischen Freuden der Ewigkeit. Claudia Gahrke schließlich setzt mit unterkühlter spröder Erotik Gänsehaut-Akzente in eingeblendeten Kosmetik-Spots. Gottschalk und Beimel haben das Buch unter geringer Verwendung von Bibel-Zitaten (1. Mose 2,15-17) und Texten aus Ingeborg Bachmanns „Melina“ geschrieben und gemeinsam eine komplexe, wunderschöne Musik komponiert, die mit erstklassiger Besetzung eingespielt die zweite Säule bildet.
Die 100 Mutigen wurden - der Applaus bewies es - Ohrenzeugen der Premiere eines akustischen Produktes von großer literarischer und moralischer Qualität. „Paradies“ ist Prosa von hohem Rang, als Hörstück brillant konzipiert, voll visionärer Hoffnung und vor allem zutiefst menschlich. Wer die empfehlenswerten 55:26 Minuten literarisch-musikalischen Genusses nun auch haben möchte: bei Valve-Records ist die CD für 30,- DM zu bekommen.
 
Frank Becker, 31.1.2000
 
 
„Macht mit der Wahrheit Lärm!“
Wuppertaler Kafka Theater (im Opernhaus):
„In der Strafkolonie“ - ein Drama in einem Akt
nach der Erzählung von Franz Kafka –
bearbeitet und inszeniert von Reinhard Schiele
musikalisch ausgestattet von Thomas Beimel

Es mutet merkwürdig an, daß Franz Kafkas vor 87 Jahren entstandene Erzählung „In der Strafkolonie“ nicht längst in einer wie nun von Reinhard Schiele (Dramatisierung), Thomas Beimel (musikalische Einrichtung und Komposition) und Manfred Feith-Umbehr (Ausstattung) vorgelegten Form gültiger Bestandteil eines internationalen Aufschreis gegen Folter und Terror geworden ist.
Die Strafkolonie ist ein „Nowhereland“, gleichzeitig ein im Kopf vorhandenes Angstbild. Der Reisende (Olaf Reitz), der offenbar auf Einladung dieses tropische Eiland besucht, ist zunächst nur Beobachter. Ein auf Liberalisierung bedachter „Kommandant“ will ihn zum neutralen Zeugen für die Brutalität eines die Szene beherrschenden Exekutions-Apparates und zum Sprecher für dessen Abschaffung machen. Dem stellt sich hingebungsvoll mit eloquenten Suaden die Offizierin (Caroline Keufen) entgegen, die - deutlich erotisch - nur dem Gedanken lebt, mit dem Tötungsapparat das Vermächtnis eines gestorbenen früheren Kommandanten und Erfinders der Maschine zu erfüllen. Die peinlich detaillierte Erläuterung der Maschine zur Hinrichtung eines wegen einer Nichtigkeit zur zwölfstündigen Todesqual Verurteilten (Wolfgang Taegert) läßt den Reisenden (und den Zuschauer) erschauern.

Mit der Dauer der etwas kürzer denkbaren Inszenierung steigt das Grauen, Musik (Indigo Quartett) und Szenerie erzeugen Atemlosigkeit, stummen Schrecken. Adrenalinschübe durchfahren den Betrachter. Wo bedeutsame Brüche oder Wandlungen entstehen, erhebt ein strahlender Countertenor (Yosemeh Adjei) als „Angelus“ mit gregorianischen Gesängen seine Stimme von einer vier Meter hohen Säule inmitten des Zuschauerraumes. Kafka gibt es nicht „light“, da muß man durch. Caroline Keufen überragt in einer wahnwitzigen Kür neben dem souveränen Olaf Reitz, und zwischendurch tapst Reinhard Schiele als Soldat, ein ins Aberwitzige gesteigerter Offenbach'scher „Frosch“.
Als sich die Offizierin schließlich nach ihrem Motto „Sei gerecht“ selbst unter die tödliche Maschine begibt, empfängt sie diese wie einen lange ersehnten Geliebten - und niemand greift ins Räderwerk. Betretener, verhaltener Applaus, bis sich die Beklommenheit löst und die vorzügliche Aufführung begeistert gefeiert wird.
 
Frank Becker, 20.6.2001

Zum Gedenken an den Künstler und sein Werk planen die Wuppertaler Bühnen,
im Rahmen des Theaterfestes am 3. September 2016 ein Musikstück von Thomas Beimel  aufzuführen.