Letztlich nur Künstlichkeit

„Toni Erdmann“ von Maren Ade

von Renate Wagner

Toni Erdmann
(Deutschland – 2016)

Drehbuch und Regie: Maren Ade
Mit: Sandra Hüller, Peter Simonischek, Michael Wittenborn u.a.
 
So viel Wirbel wie um „Toni Erdmann“ hat es für einen deutschen Film seit langem nicht gegeben, und da der umjubelte Hauptdarsteller Österreicher ist (Burgschauspieler Peter Simonischek, gebürtiger Grazer), hat die Begeisterung auch auf Österreich übergegriffen. In Cannes lag man den Filmemachern zu Füßen, es gab zwar nicht den Hauptpreis, andere und seither weitere Preise. Vielleicht ist diese Hektik um das zweidreiviertelstündige Werk doch nicht ganz berechtigt.
 
Erzählt wird die Geschichte einer Tochter und eines Vaters, welche von beiden dominiert, vermöchte man nicht zu sagen, aber immerhin ist „Toni Erdmann“ der Titelheld, also blickt alles auf ihn. Eigentlich heißt der Herr Winfried Conradi, Mitte 60, gibt Klavierstunden, tritt bei Kindergeburtstagen als Clown auf, ist für seine Familie, von der er sich weitgehend abgekoppelt hat, zu unkonventionell, und als sein Hund stirbt, hält ihn zuhause nichts mehr. Seine Tochter Ines, Ende 30, offenbar hoch erfolgreiche Erscheinung des Geschäftslebens, macht einen der schnellen Pflichtbesuche zuhause, bevor sie gleich wieder zu einem Geschäftstermin nach Bukarest abzischt.
Ines arbeitet für eine jene Unternehmensberatungen, die nur zur „Flurbereinigung“ da sind, Kündigungen, Umstrukturierungen, den reichen Konzernen Geld sparen und Gewinne maximieren, die armen Menschen dafür opfern. Im Wirtschaftsleben die Widerlichsten, Verhaßtesten von allen. Da „freut“ man sich fast zu sehen, daß diese brutale Machtausübung mit persönlicher Machtlosigkeit Hand in Hand geht, daß die Unternehmensberater peinlich denen gefallen müssen, die sie engagieren und bezahlen, daß das von außen her so chice Management eine einzige Schule der Demütigung, des Sich-Verbiegens, des Arschkriechens ist… Und dabei soll man, in immer wechselnden sündteuren Hosenanzügen, „Bella Figura“ machen und sich möglichst nichts anmerken lassen.
 
Würde Drehbuchautorin / Regisseurin Maren Ade nur diese Geschichte von Ines erzählen, mit den vielen Peinlichkeiten des Alltags, mit Chefs, Kollegen, hartem Agieren unter Tags und nötigem „Socialising“ am Abend, sie hätte einen höchst bemerkenswerten Film aus der Arbeitswelt gedreht, um den sich vermutlich niemand gekümmert hätte, so schmerzhaft wahr er auch ist. Dennoch ist dieser Teil der Rolle der Ines, ist dieser Teil des Films die Glanzleistung der Sandra Hüller und die unanfechtbare Stärke des Ganzen.
Denn wenn Papa Conradi spontan beschließt, der Tochter nach Bukarest nachzufahren, eine alberne Perücke aufsetzt, sich falsche Zähne aufsteckt (mit denen er sonst bei den Kindergeburtstagen reüssiert und das Kopfschütteln der Erwachsenen daheim erntet) und sich „Toni Erdmann“ nennt, wenn er sich nun ganz unverschämt in ihre Geschäftswelt schiebt, dann ist das natürlich ein köstlicher Drehbucheinfall – mit Realität, die auf anderer Ebene so großartig beschworen wird, hat es nichts mehr zu tun. Zumal angesichts der vielen Verrücktheiten, die sich Maren Ade ausdenkt und die letztlich nur Künstlichkeit beschwören.
Natürlich, da ist Peter Simonischek als zähnebleckender Toni, der eigentlich gar nicht weiß, was er der Tochter mit seiner peinlichen Präsenz antut. Simonischek ist gänzlich unaggressiv, er hat sogar eine leise Traurigkeit, und er versprüht zweifellos Charme, aber nicht den eines brillanten Spitzbuben – er ist einfach liebenswert. Das macht das Unmögliche dann doch möglich.
 
Was erzählt werden soll? Wie die Herausforderung des unkonventionellen Papas die Tochter nach und nach dazu bringt, sich zu verändern? Bis sie beispielsweise, am Rande des Nervenzusammenbruchs, sich ein viel zu enges Kleid wütend vom Leib zerrt und aus ihrer Abendeinladung eine „Nacktparty“ macht (was ebenso wenig zu ihr zu passen scheint wie die absolut perverse Sexszene mit einem Kollegen, bei der Petit Fours eine unappetitliche Rolle spielen). Auch das Drehbuch wird immer extremer, wenn Papa sich in einem riesigen Zottelbärfell versteckt…
Letztlich glaubt man nur die Schlußwendung: Daß Ines zwar ihren Job in ihrer derzeitigen Firma verliert, dazu ist einfach zu viel passiert, aber am Ende verkündet, sie trete demnächst in Singapur ihren Stellung bei McKinsey an – und die sind ja nun in Sachen Unternehmungsberatung die Allerschlimmsten und Allerrücksichtslosesten. Findet Maren Ade hier den Boden der Realität wieder unter den Füßen, der ihr einen großen Teil des Films hindurch einfach allzu schwankt? Denn wann ändert sich ein Mensch wirklich, was hätte man vom Auftreten des Toni Erdmann in Ines’ Leben sonst konventionellerweise erwartet? Die Einsicht, ihr Geld auf miese Art zu verdienen, hatte sie immer. Daß sie es zu ändern wünschte – das nun doch nicht.
 
Neben der absoluten Künstlichkeit der Geschichte, die so phantastisch gespielt (und solcherart gerettet) wird, leidet Maren Ade unter noch einem Fehler: Sie weiß nie, wann es genug ist. Immer wieder versäumt sie den wirkungsvollen Schnitt und setzt noch irgendetwas drauf (das dann im stummen Spiel kaum zu erspielen ist). Sie walzt und walzt und walzt, und wenn Toni Erdmann etwa bei einer Familienfeier unter heimischen Rumänen noch Klavier spielen und Ines am Ende noch singen muß – dann rast sie in jeder Hinsicht zu weit ins Kitscheck. Maren Ade vergißt auch, rechtzeitig aus der Geschichte auszusteigen – das „Nachspiel“ (wieder zuhause beim Großmutter-Begräbnis) könnte sie sich als Antiklimax total schenken, zumal ihre rätselhafte Schlußpointe nichts bringt.
Aber keine Frage, die Künstlichkeit, die dem Drehbuch in dieser Besprechung angekreidet wird (weil sie sich so stark mit der Echtheit der Berufswelt konfrontiert), hat dem Film zweifellos das allgemeine Entzücken eingetragen: Ist das der Traum, aus der Reihe zu tanzen, Leute zu brüskieren, sich gänzlich unkonventionell zu benehmen, der hier für viele Betrachter eine Art Wunscherfüllung findet?
 
 
Renate Wagner