Notizen

Aus dem Tagebuch

von Erwin Grosche

Foto © Harald Morsch
Notizen
 

1. Sie nutzte die nicht gebrauchten Hundekacktüten für die Pausenbrote ihrer Kinder. Kein Wunder, daß sie gemieden wurden.

2.
Ich traf einen alten Mann aus Bautzen, der mich fragte, was ich wohl glauben würde, wie alt er sei. Ich ahnte, daß der Mann dachte, er sehe wesentlich jünger aus, als er in Wirklichkeit war. Ich schaute ihn an. Er sah für mich aus, als wäre er 83 oder 84 Jahre alt, aber ich nahm mir vor, ihn bei meiner Schätzung für wesentlich jünger zu halten. Ich spürte, daß er dies brauchte und sagte deshalb mit aller Vorsicht, daß ich nicht gut schätzen könne, aber ich vermuten würde, er wäre in etwa so alt wie ich. Ich sah ja wesentlich jünger aus, als der Mann wohl in Wirklichkeit war und war stolz auf mein salomonisches Schmeicheln. Der Mann schaute mich nun auch in aller Ruhe an und entgegnete stolz, daß er dann ja ungefähr fünfundsechzig Jahre alt sein müsse. Ich schluckte ein wenig, weil ich gerade sechzig Jahre alt geworden war, und ärgerte mich über die Unhöflichkeit, die ich so unkommentiert hinnehmen mußte. Er vertraute mir dann stolz wie Oskar an, dass er 83 oder 84 Jahre alt wäre, was ich ja auch schon vermutet hatte, und tat dann trotzdem sehr überrascht.
 
3. Die Ordnung der Welt: Heute sah ich einen Mann in einem Trainingsanzug, der lief gar nicht. „Man muß doch nicht laufen, nur weil man einen Trainingsanzug an hat“, sagte er. „Stimmt“, sagte ich, „aber es ist schöner für die Ordnung der Welt.“
 
 
© Erwin Grosche