„Wie geht's?"

von Joachim Klinger

© Joachim Klinger
„Wie geht's?"

Sagt man, wenn man sich trifft. Floskel, leere Formel oder wirklich eine Frage? Was erwartet man? Eine Stereotype wie in einem Wortspiel oder eine Antwort? „Na, es geht so." „Ich will nicht klagen." „So la la.“ Auch leere Formeln, die eine wirkliche Antwort entbehrlich machen. Brauchbar aber als Basis für ein weiteres inhaltsloses Wortgeplänkel: „Daheim alles in Butter?” „Ihre Frau auch wohlauf?” „Das gute Wetter hält sich wohl noch…“
Häufig will man sich nicht länger aufhalten / aufgehalten werden. Kleines Lächeln noch, dann „Tschüs”, „Alles Gute", „Bis bald einmal.”

Wie aber, wenn das Treffen en passant eine unerwartete Wendung nimmt?! Auf „wie geht's?” kommt die Antwort: „Saumäßig schlecht!” oder „gekündigt!” oder „Ich habe gestern meine Mutter beerdigt!”
Da stockt einem der Atem, das haut einen regelrecht um! Aber nun gibt es kein Zurück mehr: ungeschicktes Bedauern, Bestürzung, Ratlosigkeit. Dann die Frage: „Wie konnte das geschehen?” Diese Frage öffnet Schleusen! Der Andere erzählt, hastig, fast atemlos. Sein Gesicht ist plötzlich voller Sorgenfalten, Kummer und Trauer überschatten es. Du hast gefragt, nun mußt du zuhören! Aber es wird auch etwas von dir erwartet: Anteilnahme, Trost, Aufmunterung, eine Art Hilfe. Floskeln, leere Formeln sind nutzlos und fehl am Platze. Nun mußt du länger stehenbleiben, standhalten, nachdenken. Aber kann die kleine Frage: „Wie geht's?” nicht immer in ein Gespräch „verstricken”? Besteht nicht immer das Risiko, daß eine große Tür aufgestoßen wird? Daß eine schreckliche Dunkelheit über uns kommt? Besteht aber nicht immer auch die Chance, daß wir unsere Menschlichkeit beweisen und das Leid des Anderen in unserem Mitleiden annehmen und mittragen?
 
 
 
© 2016 Joachim Klinger