Barbara Hepworth. Sculpture for a Modern World

Arp Museum Bahnhof Rolandseck

von Rainer K. Wick

Torso, 1928 - Foto © Rainer K. Wick
Barbara Hepworth.
Sculpture for a Modern World

Arp Museum Bahnhof Rolandseck
 
Hierzulande gehört sie zu den großen Unbekannten der Bildhauerkunst des 20. Jahrhunderts, in England ist sie hingegen in jeder Kunstgeschichte der Moderne präsent: Barbara Hepworth. Im Neubau des Arp Museums in Rolandseck bei Bonn ist nun eine großartige Hepworth-Retrospektive zu sehen, die zuvor in der Tate Britain in London und dem Kröller-Müller Museum im niederländischen Otterlo gezeigt wurde und hier ihre dritte und letzte Station erreicht hat.
Die Ausstellung beginnt chronologisch mit dem Frühwerk und endet bei repräsentativen Objekten aus Holz und Bronze aus den zwei letzten Lebensjahrzehnten der Bildhauerin. Kontinuität und Wandel im Œuvre der Künstlerin werden in überzeugender Weise nachvollziehbar, und circa dreißig Arbeiten von künstlerischen Wegbegleitern – Jacob Epstein, Henry Moore und Ben Nicholson und anderen – dienen der Einbettung des Werkschaffens von Barbara Hepworth in den Kontext der Moderne.
Früh zeigte sich das Talent der 1903 in Wakefield, Yorkshire, geborenen Barbara, die sich im Rahmen ihres Kunststudiums am Royal College of Art in London in den Jahren 1920 bis 1924 eine spezifische Methode der bildhauerischen Arbeit, das „direct carving“ (engl. direktes Schneiden), aneignete, eine Methode, bei der im Unterschied zur akademischen Praxis ohne Bozzetto und vorbereitendes Ton- oder Gipsmodell die Form unmittelbar aus dem Material herausgearbeitet wird. Die zwar noch gegenständlichen, aber schon deutlich antinaturalistischen Arbeiten aus den späteren 1920er und frühen 1930er Jahren – Darstellungen von Mensch und Tier – lassen bereits den Formwillen zur Abstraktion erkennen, der sich bald noch in Richtung Gegenstandslosigkeit verstärkte.
 
In dem als „Atelier“ betitelten Raum kann der Besucher der Ausstellung sehr gut den allmählichen Übergang von der figurativen zur gegenstandslosen Plastik im Œuvre der Barbara Hepworth erleben. 1931 hatte die Künstlerin den Maler Ben Nicholson kennengelernt, ein Jahr später zog Nicholson in ihr Atelier im Norden Londons ein, das zu einem Ort des intensiven künstlerischen Austauschs wurde – ganz abgesehen davon, daß sie privat ein Paar wurden, das 1934 Drillinge bekam, 1938 heiratete, sich 1951 aber trennte. 1933 reiste das Künstlerpaar nach Frankreich und besuchte Sophie Taeuber-Arp in Meudon (Hans Arp war zum Bedauern von Barbara Hepworth nicht anwesend), auch kam es zu Begegnungen mit Constantin Brâncuşi und Pablo Picasso. Obwohl die Künstlerin Hans Arp nie persönlich begegnet ist, hat sie immer dessen Einfluß auf ihr eigenes Schaffen betont, und die Vorliebe beider Künstler für organoide Formen läßt sich geradezu als Seelenverwandtschaft deuten. Dies belegen Kleinplastiken wie etwa „Large and Small Form“ und, inspiriert von der Mutterschaft der Künstlerin, „Mother and Child“, beide 1934. Signifikant sind hier nicht nur das rhythmische Fließen der Linien, sondern auch die durch Aussparungen in der Skulptur selbst entstehenden Zwischenraumformen, die übrigens auch für Arbeiten von Henry Moore typisch sind.


Large and Small Form, 1934  (The Pier Arts Center Collection, Orkney) - Foto © Rainer K. Wick
 
Im Jahr 1933 wurden Hepworth und Nicholson Mitglieder der 1931 von Georges Vantongerloo in Paris gegründeten Gruppe „Abstraction–Création“, in der sich bedeutende Vertreter des internationalen Konstruktivismus, der geometrischen Abstraktion und der konkreten Kunst formierten. Nicholson geriet mit seinen strengen, aus Rechtecken und Kreisen aufgebauten Reliefs unter den Einfluß des sog. Neoplastizismus Piet Mondrians, Barbara Hepworth gelang die fortschreitende Klärung und Reduktion ihrer Formensprache, aus der nun alles Gegenständliche ausgeschieden wurde.
Bei Ausbruch des Zweiten Weltkrieg zog Barbara Hepworth mit ihrem Mann und ihren Kindern in den kleinen Küstenort St Ives in Cornwall. Ihr einstiges Atelier- und Wohnhaus wurde nach dem tragischen Tod der Künstlerin im Jahr 1975 – sie kam bei einem Brand ums Leben – zum „Barbara Hepworth Museum and Sculpture Garden“, ein bezaubernder Ort, reich an Erinnerungen an eine großartige Bildhauerin, dessen Besuch jedem an Kunst interessierten Südengland-Reisenden zu empfehlen ist. In St Ives gelangte das Œuvre der Barbara Hepworth zur Reife. Hier entstanden die charakteristischen, häufig aus Kugelformen oder Ellipsoiden entwickelten Holzskulpturen mit Durchbrüchen, die konkave Innenflächen bilden, die ihrerseits farbig gefaßt und oft durch Schnüre artikuliert wurden. Diese straff gespannten „Strings“, die an Saiteninstrumente oder auch an moderne Brückenkonstruktionen erinnern, ergeben einen reizvollen Material- und Formkontrast zu den kompakten Partien aus massivem Holz.


Curved Form Delphi, 1955 - Foto © Rainer K. Wick
 
1954 erreichte Barbara Hepworth eines Tages die Nachricht, im Hafen seien siebzehn Tonnen Holz angekommen, die sie bitte abholen möge. Es handelte sich um „Proben“ des Tropenholzes Guarea, die ihr eine Bekannter aus Nigeria geschickt hatte. Fasziniert von der Härte des Materials, seiner Maserung und seiner intensiven, rotbraunen Farbigkeit schuf sie aus den mächtigen Baumstämmen großformatige gegenstandslose Holzskulpturen mit den für ihr Œuvre charakteristischen Höhlungen und Durchbrüchen und dem typischen „Spiel“ mit geschlossenen und offenen Formen, mit Masse und Transparenz. Sie alle tragen  Namen griechischer Orte, so etwa „Corinthos“ (1954/55), „Delphi“ oder „Delos“ (beide 1955) – Reflexe ihrer Griechenland-Reise des Jahres 1954, die sie tief beeindruckt hatte. Doch es blieb nicht bei der Bearbeitung von Holz. Neben Stein- und Holzskulpturen traten vor allem bei größeren Formaten im Außenbereich Arbeiten in Bronze hinzu, so etwa die aus der Kugelform entwickelte Skulptur „Sphere with Inner Form“ oder „Squares with Two Circles“, beide aus dem Jahr 1963. In ihrer formalen Reduktion auf Trapez und Kreis erscheint letztere wie ein später Nachhall der neoplastischen Kompositionen ihres zweiten Ehemannes Ben Nicholson aus den 1930er Jahren.


4 Squares with Two Circles, 1963  - Foto © Rainer K. Wick
 
Das Arp Museum Bahnhof Rolandseck zeigt eine Reihe interessanter Fotomontagen von Barbara Hepworth aus dem Jahr 1938, die andeuten, wie sie sich idealerweise die Plazierung ihrer Skulpturen vorstellte, nämlich nicht als selbstbezügliche, isolierte Hervorbringungen, sondern in ganz spezifischen Kontexten, sei es in Gärten und Parks, sei es in architektonischen Zusammenhängen. So hat sie sehr geschickt ein Farbfoto ihrer Skulptur „Helicoids in Sphere“ in eine Schwarzweißabbildung einmontiert, die einen vom Boden bis zur Decke verglasten, „modernistischen“ Innenraum zeigt. Was für die Künstlerin letztlich unrealisiertes Ziel blieb, nämlich das harmonische Zusammenspiel von Skulptur, moderner Architektur und Landschaft, ist in dem lichtdurchfluteten, sich der Landschaft öffnenden  Museumsbau Richard Meiers in Remagen-Rolandseck für die Dauer dieser sehenswerten Ausstellung, die Barbara Hepworth „aus der zweiten Reihe ins Rampenlicht“ katapultiert (Julia Voss in der FAZ), Wirklichkeit geworden.

Weitere Informationen: http://arpmuseum.org/