So ist es gewesen

„The Girl King“ von Mika Kaurismäki

von Renate Wagner

The Girl King
(Schweden, Finnland, Deutschland, Frankreich, Kanada – 2015)

Regie: Mika Kaurismäki
Mit: Malin Buska, Sarah Gadon, Michael Nyqvist, Martina Gedeck, Peter Lohmeyer, Patrick Bauchau u.a.
 
Schwedens Königin Christine (1626-1689) hat schon in hohem Maße das Interesse der Mitwelt, wie sehr erst das der Nachwelt erregt. Kunststück, ist sie doch eine „Aussteigerin“ erster Ordnung in Zeiten, als das absolut unüblich war. Sie hat schier Undenkbares unternommen: Nachdem sie als sechsjähriges Kind zur Königin von Schweden erklärt wurde, nachdem ihr Vater, der legendäre Gustav Adolf im (später so genannten) Dreißigjährigen Krieg gefallen war, entsagte sie 1654 mit Ende 20 dieser Bürde, wandte dem kalten Norden den Rücken und ging nach Italien, um dort bis zu ihrem Tod zu leben (im Palazzo Corsini in Rom kann man ihr Sterbezimmer besichtigen).
Schlimmer noch, die Frau, deren Land den rigiden Protestantismus repräsentierte, konvertierte auch noch zum Katholizismus (übrigens auf der Durchreise – in Innsbruck). Skandal schon damals, Futter nicht nur für Klatsch und Tratsch der Zeitgenossen, sondern auch später für seriöse Biographien, zahllose historische Romane und viele Filme.
Die berühmtesten davon hatten große Skandinavierinnen für die Titelrolle zu bieten: 1933 war die Schwedin Greta Garbo die Königin, hier in Liebe zum spanischen Gesandten verstrickt, während 1974 die Norwegerin Liv Ullmann in Rom einen Kardinal liebte… Mag alles sein, aber daß die Königin jedoch starke lesbische Neigungen empfand, ist bekannt, wird aber erst in dem neuesten Film über sie thematisiert. Die typisch europäische Co-Produktion, zu der sich Schweden, Finnland, Deutschland und Frankreich noch Kanada dazugeholt haben, kann mit Ausnahme von Michael Nyqvist (bekannt aus der schwedischen Verfilmung von Stieg Larssons Millennium-Trilogie) mit keinen großen Namen prunken: Co-Partner Deutschland durfte noch Peter Lohmeyer als Bischof von Stockholm, vor allem aber Martina Gedeck als Christinas deutsche Mutter Maria Eleonora von Brandenburg beisteuern, eine Studie der Hysterie, die jede Tochter nerven würde.
 
Regisseur Mika Kaurismäki, zwei Jahre älter, aber weit weniger berühmt als Bruder Ari, erzählt – entgegen der Tradition – von Christinas jungen Jahren, das kleine Mädchen, das von den mächtigen Herren am Hof auf den Thron gehievt wird, um „König“ zu sein. Mit ihrer Abreise nach Italien endet das Geschehen, das an sich als veritabler atmosphärischer Kostümfilm daherkommt (man lernt beim Zuschauen in der nordischen Kälte frieren), der aber die Psychologie der Figuren mit harter politischer Realität durchwirkt.
Nur eines, das muß man gleich sagen, gelingt auch hier nicht: Wirklich klar zu machen, warum Christina abgedankt ist. Andererseits vermochte das auch noch keine Biographie zu klären, und so mag man sich mit den vielen kleinen Steinchen begnügen, die sich zu einem Mosaik der Motivationen zusammensetzen.
Die knapp über 30jährige, dunkelhaarige schwedische Schauspielerin Malin Buska spielt, nach kurzen Kinder-Episoden der kleinen Christine, die Königin vom jungen Mädchen bis zur Abdankung. Die strengen Herren des Rates ließen sie gut erziehen, ohne zu bedenken, daß eine begabte, interessierte, intelligente junge Frau (sie holte sich doch tatsächlich René Descartes – Patrick Bauchau – an den Hof) dann auch über den Tellerrand hinaussieht. Erkennt, daß es andere Welten gibt als jene des düsteren Protestantismus bei ihnen im hohen Norden, hoffnungslos eingekreist in einer Welt, die ihr keinen Freiraum bietet. Sie erkennt auch, daß ihre Ambitionen, selbst zu regieren, immer beschränkt sein werden (vor allem von Kanzler Axel Oxenstierna – Michael Nyqvist), und daß man sie eines Tages zwingen wird, ihren Cousin zu heiraten, um das Königinnen-Schicksal der Nachfolge zu erfüllen…
 
Warum sie das nicht wollte, wird an ihrer Liebesgeschichte mit ihrer Hofdame Ebba Sparre klar (die süße blonde Kanadierin Sarah Gadon zwischen Unschuld und Weibchenhaftigkeit). Darüber gemunkelt wurde immer, wie weit sie gegangen ist, weiß niemand genau, hier wird eine veritable, ausgespielte, aber nie geschmacklose lesbische Liebesgeschichte daraus, die viel Widerstand fand und die Geliebte in eine Ehe trieb: Auch Christina weiß bei aller persönlicher Aufgeklärtheit doch nicht, wie weit sie in ihrer Stellung ihre Bedürfnisse ausleben darf…
Ja, und da kann man es dann doch verstehen: Daß eine junge, gebildete, auf die Welt neugierige junge Frau der kalten Männerwelt ihren König gibt (Abdankung zu Gunsten des Cousins) und sich selbst die Freiheit nimmt, in sonnigeren Gefilden das Leben einer reichen unabhängigen Frau zu führen.
Das, wie gesagt, zeigt dieser Film nicht. Aber er führt, vor allem dank der Hauptdarstellerin, einigermaßen glaubhaft diesen Weg vor, der immerhin einen Vorteil hat: Man weiß, so ist es gewesen. Im Detail mag es anders gelaufen sein, aber in den Grundzügen stimmt’s. Wer ein bißchen etwas für Geschichte und andere Welten übrig hat, wird das alles sehr interessant finden.
 
 
Renate Wagner