Frieda und der Wilde Westen

von Hanns Dieter Hüsch

© André Poloczek - Archiv Musenblätter
Frieda und der Wilde Westen
 
Ohne die Frieda gehe ich fast kaum ins Kino. Und wenn, dann gehe ich immer in einen ganz hohen Literaturfilm. Aber wenn ich mit der Frieda gehe, lesen wir im Kino auf der Leinwand immer Folgendes:
Als die Armee der Südstaaten unter Andy Jackson sich der Yankeeübermacht beugen mußte, führten zahlreiche kleine und große Banden den Bürgerkrieg auf eigene Faust weiter und das oberste Gesetz hieß damals für viele: Schnell schlafen, aber noch schneller schießen. So auch in Dodge City, ein Dorado für Glücksspieler, undurchsichtige Ehrenmänner und durchsichtige Damen.
 
Als wir diese Zeilen gelesen hatten, sagte die Frieda, du, den Film haben wir doch schon gesehn. \/\/arte doch mal erst ab, sagte ich. …Aber eines Morgens - so lasen wir weiter - blieb in Dureas Saloon die Uhr um neun Uhr siebenunddreißig stehn. Ein Fremder hatte den heißen Boden von Dodge City betreten…  
 
Siehste, sagte die Frieda, und jetzt bindet er sein Pferd fest. Die Frieda hatte recht. Der Fremde band sein Pferd fest und schritt durch die halbe Klapptüre in Dureas Saloon. Dort sagte er: Wo kann ich Mister Durea finden? Yvonne de Carlo, die bekannte Büfettdame, sagte, Mister Durea ist zu seiner Kupfermine geritten. Dann sagen Sie ihm, sagte der Fremde, Richard Widmark wäre hier gewesen, vielleicht sagt ihm das was. Und der Fremde ging zur Tür zurück, drehte sich aber dort noch einmal um und sagte, es wäre besser für Sie, Madame, wenn Sie für einige Zeit hier verschwänden.  
Wäre das nicht besser für Sie, Fremder, sagte Yvonne de Carlo, bevor Sie hier kalte Fuße kriegen. Nun, Madame, sagte da der Fremde, und dabei guckte er schon auf die Straße, ich habe hier noch etwas zu erledigen, Die beiden kriegen sich, sagte die Frieda. Ruhe, sagte jemand vor uns. Guten Tag, sagte nun auf der Leinwand der einzige Redakteur des Dogde-City-Journals, womit kann ich dienen? Ich bin Richard Widmark, sagte der Fremde, und ich möchte, dass Sie von mir einen Artikel abdrucken. Der Redakteur wird umgelegt, sagte die Frieda. Und also geschah’s.
 
Ein kleiner Junge sagte auf der Straße zu seiner Mutter: Ma, wenn Pa mir zum Geburtstag einen Revolver schenkt, dann brauchen wir keine Angst mehr vor Mister Durea zu haben, nicht wahr, Ma? Der Junge wird schwer verletzt, sagte die Frieda, kommt aber durch. Die Frieda kannte sich aus und sagte: Gib mir deine Hand, dann hab ich nicht so viel Angst. Ist doch alles nur Kino, sagte ich. Ja, sagte sie; aber gleich kommt doch die Postkutsche. Ruhe, sagte nun jemand hinter uns.
Tatsächlich sah man nun eine Postkutsche in rasender Fahrt über die Prärie, verfolgt von zwei Reitern, die mit schwarzen Halstüchern maskiert waren. Windy, der alte, ewig unrasierte Postkutscher hieb auf seine Pferdchen und sagte: Wenn das meine Jenny wüßte, wenn das meine Jenny wüßte, würde sie euch noch vom Himmel aus mit ihrem Henrystutzen zur Hölle schicken. Das ganze Kino brüllte vor Lachen. Aber nicht Jenny vom Himmel, sondern der fremde Richard Widmark schoß von einem Felsen aus die beiden Reiter aus dem Sattel. Gute Fahrt, sagte er.
 
Alle Achtung, sagte ich. Und die Frieda kniff mich in den Arm und sagte: Bist du noch da? Ruhe, sagte ich nun und war ganz aufgeregt. Denn soeben war Mister Durea in seinen Saloon zurückgekehrt, stand an der Theke und belud sich mit Whisky. Aber fünf Meter hinter ihm stand Richard Widmark, und Mister Durea konnte ihn jetzt im Spiegel sehn und sagte sehr langsam: Ich wüßte nicht, warum ich nicht erst noch ein Gläschen trinken sollte. Dann drehte er sich blitzschnell um; aber Richard Widmark war schneller und schoß seelenruhig seinen Colt völlig leer. Mister Durea machte noch acht Schritte und sagte, bevor er umfiel: Nicht schlecht, Freundchen; aber deine Mine geht in einer Minute in die Luft, Das schwindelt er, rief die Frieda laut. Alle Leute im Kino drehten sich um. Auch Richard Widmark drehte sich etwas um … und sagte zu den herumstehenden Cowboys: Noch jemand einen Whisky? Ich glaube kaum, Sir, sagte da die Büfettdame Yvonne de Carlo, höchstens unser Freund Captain Forrest Tucker, der im letzten Moment mit seinen Soldaten die Mine gerettet hat.
Bravo, jubelt die Frieda.
Mir war das furchtbar peinlich, und ich war froh, als der fremde Richard Widmark nun zu Yvonne de Carlo sage: Wie wäre es, wenn wir beide den verletzten Jungen besuchten, er ist auf dem Wege der Besserung und bringt vielleicht Sie und mich auf andere Gedanken. Schon möglich, sagte Yvonne de Carlo, und die beiden stiegen in die Postkutsche des alten Windy, der schmunzelnd sagte: Wenn das meine Jenny wüsste, würde sie vor Neid vom Himmel springen.
Ende.
 
Alle Männer schlugen ihre Kragen hoch und die Damen sahen alle aus wie Yvonne de Carlo. Wildwestdeutschland ging nach Hause. Männer sind das alles, sagte ich zur Frieda, Männer, wie die alle schon heißen: Richard Widmark, Dan Durea, Forrest Tucker. An die Frauen denkst du wohl gar nicht, sage die Frieda. Nun, Madame, sagte ich, jeder denkt an seine Komplexe zuerst. Soso, sagte die Frieda, nun das nächste Mal darfst du wieder in einen hohen Literaturfilm gehen, wo die Dialoge immer so stimmen und die Kamera kein Auge zudrückt und immer so die Wirklichkeit einfängt und die Schauspieler gar nicht schön und komischerweise deshalb doch schön sind, und wenn du dann aus dem Kino kommst, weißt du auch, wo die Komplexe herkommen, und du brauchst dich nicht mehr zu schämen, wenn wir einmal dafür zusammen in einen Wildwestreißer gehn. Ja, Madame, sagte ich, und die Frieda sagte:
Weißt du, manchmal wünsche ich mir, du wärest für mich auch noch mal so ein wildfremder Mann, wie damals, und ich könnte zu dir sagen:
Schon möglich, Sir.



© Chris Rasche-Hüsch / Kiepenheuer & Witsch 2011
aus: Der Große Hüsch, Band 2
Veröffentlichung in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung