Ein Liedchen pfeifen

Eine Frieda-Geschichte

von Hanns Dieter Hüsch

© André Poloczek - Archiv Musenblätter
Ein Liedchen pfeifen
 
Das war, als die Frieda noch Verkäuferin in dem kleinen Spielwarenladen war und ich um sieben Uhr an der Ecke auf und ab ging und das große Plakat studierte, auf dem immer stand: Dem Quickleser gehört die Welt!
Ich wollte das gar nicht glauben. Um Himmels willen, sagte ich, das kann doch gar nicht sein.
Und die Frieda hatte mir auch gesagt, daß das wohl nur so dahingeschrieben worden wäre, weil das den Menschen imponiere.
Und die Frieda ging ja mit allerhand Menschen um in dem kleinen Spielwarenladen, und da war sie ein bißchen, wie sagt man, ein bißchen gewiefter als ich.
„Das ist eben so“ sagte sie, „wenn man hinter der Theke steht, muß man höllisch aufpassen, da sieht man tausend Hände, und wie die Leute die Spielsachen anpacken und sie dann einpacken.“
Das wußte die Frieda.
Den Blick dafür hatte sie sich zugelegt, wie sich andere ein Auto zulegen.
Ich wußte ja auch allerhand. Ich wußte zum Beispiel, wie der Lieblingssohn Tamerlans hieß.
Das wußte ich in der Schule schon. Aber wenn die Sprache darauf kam, wurde ich immer ganz rot; denn ich wußte, daß die anderen das nicht wußten, und deshalb meldete ich mich nicht.
Und dann wurde ich verlegen, und dagegen kann man nichts machen.
Wenn ich das der Frieda erzählte, sagte sie immer: „Du bist zu rücksichtsvoll, du müßtest mal sehen, wie die Leute ihr Geld auf die Theke werfen, das ist ein Klang, den du nie verstehst“.
„Das ist doch kein Klang“, sagte ich.
„Doch, das ist ein Klang“, sagte sie.
„Entschuldige mal“, sagte ich, „öh ..., Mozart, das ist Klang“.
„Mozart, den haben sie doch umgebracht“, sagte da die Frieda.
Und da wurde ich wieder rot.
Denn ich wußte, daß sie Mozart nicht umgebracht haben.
Und daß er auch immer eine Menge Schulden gehabt hatte, das wußte ich.
Und ich wußte auch, daß Mozart niemals geglaubt hatte, daß dem Quickleser die Welt gehört.
Aber da hätte ich bei der Frieda zu weit ausholen müssen, und wenn sie so etwas sagte, zitterten ihre Nasenflügel, und das war so lustig, und dann sagte ich weiter nichts.
„Mozart haben sie umgebracht“, sagte sie, „das kommt vom vielen muß nicht tun. Du bist auch so einer, du weißt zwar, wie der letzte Inka heißt, aber du weißt nicht, wie man Geld auf die Theke wirft. Das ist alles.“
Das war, als die Frieda noch Verkäuferin in dem kleinen Spielwarenladen war.
Später haben wir dann geheiratet, weil die einen sagten, wir liefen doch jetzt schon so lange zusammen, und weil die anderen sagten, es wäre doch wohl noch nichts unterwegs.
Dem wollten wir ein Ende machen, obwohl wir soviel wie gar nichts hatten. Wir liefen immer auf der Straße herum, weil vier Wände noch keinen Frühling machen, und es regnet ja immer dann, wenn man kein Geld hat.
Trotzdem sagt die Frieda, wenn ich mit der Straßenbahn fahre: „Sei vorsichtig, ja!?“
Und wenn wir heute an dem Plakat vorbeikommen, sage ich: „Dem Quickleser gehört die Welt“, und die Frieda antwortet: „Du, den Mozart haben sie umgebracht.“
Dann werde ich wieder verlegen.
Denn ich weiß, daß sie im Notfall für mich durchs Feuer geht. Und wenn man so etwas weiß, dann … dann kann man schon mal ein Liedchen vor sich hin pfeifen.
 

 
© Chris Rasche-Hüsch / Kiepenheuer & Witsch 2011
aus: Der Große Hüsch, Band 2
Veröffentlichung in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung