Wenn du zum Weibe gehst, vergiß die Peitsche nicht!

„Lou Andreas-Salomé“ von Cordula Kablitz-Post

von Renate Wagner

Lou Andreas-Salomé
(Deutschland – 2016)

Drehbuch und Regie: Cordula Kablitz-Post
Mit: Katharina Lorenz, Nicole Heesters, Matthias Lier, Katharina Schüttler, Petra Morz, Julius Feldmeier, Alexander Scheer, Philipp Hauß, Daniel Sträßer, Merab Ninidze, Katrin Hansmeier, Harald Schrott, Ruth Reinecke u.a.
 
Man kennt ihren Namen, hat ihn zumindest vage schon gehört, wenn auch die meisten Menschen vermutlich keine konkrete Vorstellung mit ihr verbinden: Tatsächlich teilt Lou Andreas-Salomé das Schicksal vieler Frauen, nur als Anhängsel berühmter Mann im Bewußtsein zu leben. Der legendäre, von allen am liebsten zitierte Spruch Nietzsches, „Wenn du zum Weibe gehst, vergiß die Peitsche nicht!“, wurde durch ein Foto illustriert, das ihn, Lou und Paul Rée zeigt, wobei es die Dame ist, die die Peitsche hält und die beiden Herren vor ihren Karren gespannt hat. An diesem Foto erkennt man auch, warum bei der Verfilmung von Lous Schicksal durch Cordula Kablitz-Post (die vor 13 Jahren mit ihrem Spielfilm „Sophie!!!“ erfolgreich war, ohne daß man die Regisseurin in der Folge wahrgenommen hat) Burgschauspielerin Katharina Lorenz für die „mittlere Lou“ gewählt wurde, denn da besteht optische Ähnlichkeit – wenngleich die spröde Ausstrahlung der Darstellerin nicht unbedingt mit der Faszination Hand in Hand geht, die man Lou nachsagt.
Tatsächlich folgt das Drehbuch klassischerweise dem Lebensweg, wobei die „alte Lou“, die mit der schillernden Nicole Heesters ideal besetzt ist, für die relativ ausführliche Rahmenhandlung steht. Lou, in den dreißiger Jahren vergessen in Göttingen lebend, betreut von ihrer Haushälterin (verschlossen, Lou beschützend: Katharina Schüttler), die eigentlich ihre Adoptivtochter ist (der Film deutet an, sie wäre Lous Tochter, was in der Realität nicht stimmt).
 
Es ist erwiesen, daß der junge Germanist Ernst Pfeiffer damals zu Lou kam, noch in ihrer Eigenschaft als Psychoanalytikerin, aber daß er Gesprächspartner, Vertrauter, Mitarbeiter und Nachlaßverwalter wurde. Matthias Lier, der Darsteller des Pfeiffer, ist optisch und vom Talent her eine Neuausgabe von Ulrich Tukur und/oder Heino Ferch, still in der Erscheinung, stark in der Ausstrahlung. Das gibt der Rahmenhandlung zusätzlich Kraft.
Zurückgeblendet wird in die Kindheit der seltsamen, 1861 in St. Petersburg geborenen Lou von Salomé, Tochter aus wohlhabender russischer Adelsfamilie, die Eltern Immigranten-Nachkommen (Lou wuchs mit drei Sprachen auf, neben Russisch wurde in der Familie Deutsch und Französisch gesprochen) – in einer Miniszene darf Peter Simonischek den verständnisvollen Papa der seltsamen kleinen Tochter spielen, während Petra Morzé als konventionelle Generalin im Leben der Tochter bis zu ihrem eigenen Tod (1913) zumindest so weit präsent war, daß sie ihr mit reichlich Geldzuschüssen ein Leben relativer „Freiheit“ ermöglichte. (Auch das muß man bedenken, daß der Entschluß, als unabhängige Intellektuelle zu leben, erst einmal von jemandem finanziert werden mußte.)
In einer Welt, in der Sigmund Freud um die Jahrhundertwende die Existenz des Unterbewußten bewußt machte, sind frühe sexuelle Erlebnisse durch einen aufdringlichen Hauslehrer prägend, erklären den lange durchgehaltenen Abscheu vor sexueller Vereinigung. Lou, die sich nur geistigen Interessen widmen wollte und ihre persönliche, von Religion, von Männern und von gesellschaftlichen Zwängen unabhängige Freiheit entschlossen durchsetzte, ist in der Folge der Inbegriff der emanzipierten Frau, die keinerlei Schranken, die sich ihrem Geschlecht entgegenstellen, anerkennt.
 
Ironischerweise konnte sie nicht verhindern, daß Männer (noch dazu berühmte) in ihrem Leben eine besondere Rolle spielen – der Weg führte über Zürich nach Rom, wo sie bei Malwida von Meysenbug (Ruth Reinecke) erst einmal den Philosophen Paul Rée kennen lernte (Philipp Hauß, demnächst der „Tasso“ des Burgtheaters), durch diesen wiederum Friedrich Nietzsche (Alexander Scheer). Daß das Verhältnis der drei schlechtweg durch „Seltsamkeit“ gekennzeichnet war (beide Männer machten ihr Heiratsanträge, beide lehnte sie ab), wird in dem Film von Cordula Kablitz-Post gänzlich klar (sie schrieb zusammen mit Susanne Hertel das Drehbuch, ziemlich korrekt an den historischen Tatsachen entlang). Der unsexuelle Dreibund (in dessen Rahmen in Luzern das berühmte Peitschen-Foto entstand), währte nicht allzu lange, scheiterte wohl nicht zuletzt an Nietzsches berüchtigter, besitzergreifender Schwester Elisabeth (Katrin Hansmeier) – kreischender Krach zwischen den Frauen.
Zu den Rätseln von Lous Leben zählte wohl, daß sie 1887 eine Josefsehe mit dem Orientalisten Friedrich Carl Andreas einging (Merab Ninidze) macht klar, daß dieser Mann auch nicht mit gewöhnlichen Maßstäben zu messen ist). Inzwischen hatte Lou auch eine Karriere als Romanschriftstellerin eingeschlagen und kam in den Kreis von Sigmund Freud (Harald Schrott), aber über Jahre hinweg entscheidend wurde für sie 1897 die Begegnung mit dem um 14 Jahre jüngeren Rainer Maria Rilke (Julius Feldmeier) – eine Amour fou zwischen einem exzentrischen jungen Dichter und einer Frau, die mittlerweile ein Aushängeschild der Frauenbewegung war – und die offenbar erst hier sexuelle Leidenschaft entwickelte.
Mit der nur noch vage geschilderten Beziehung zu Friedrich Pineles (Daniel Sträßer) schwingt die Geschichte, die immer wieder stückweise in Rückblenden erzählt wird, langsam aus, als Lou dann als Psychoanalytikerin – dem Freud-Kreis verbunden – seßhaft und weniger interessant wird. „Schillert“ ein Frauen-Schicksal nur, wenn es im Zusammenhang mit Männern erzählt werden kann?
 
Cordula Kablitz-Post erlaubt sich keine filmischen Experimente auf Kosten ihrer Figur, der sie allen Respekt zollt (eher geraten die Männer schrullig – aber sie waren es auch!). Sie betont das „historische“ Element bei den Rückblenden höchstens durch einen formalen Trick – Postkarten von anno dazumal werden filmisch lebendig. Allerdings hat man das Gefühl, daß man zwar viel an äußerem Lebensweg mitbekommt, aber nicht zu Lous Wesen vordringt: Wie sie eigentlich war, weshalb sie so faszinierte – das wird nicht klar. (Liegt es daran, daß die Hauptdarstellerin über weite Strecken unlebendig, wie eine trübe Tasse wirkt?) Dabei haben sich alle so bemüht, sie als die besondere Frau auszustellen, die sie zweifellos gewesen sein muß.
 
 
Renate Wagner