„Freundschaft“

Das neue Ein-Frauen-Theater-Stück von Gilla Cremer

von Andreas Greve

Foto: Arno Declair

„Freundschaft“
Das neue Ein-Frauen-Theater-Stück von Gilla Cremer
 
Ein Premierenbericht unseres norddeutschen Kulturkorrespondenten Andreas Greve
 
Vor kurzem hörte ich bei einer Laudatio, daß „undone“ der ganz neue Trend sei. Unfertigkeit als Stil. Nicht alles glattbügeln (oder kämmen), die Schweißnähte ruhig mal stehen lassen. Daran mußte ich nach der Vorstellung des Theaterstücks „Freundschaft“ denken. Nicht zuletzt das Leben selbst ist ein gutes Beispiel für undone.
Das neue Werk der wunderbaren Schauspielerin Gilla Cremer (uraufgeführt am 7. September in Hamburg) widmet sich einem uralten Thema und umspielt es von allen Seiten. Mal von der wissenschaftlichen, mal von der philosophischen, mal von der biographischen und mal auch von der musikalischen. Im Gegensatz zu ihrem letzten – zu recht sehr erfolgreichem – Stück „Die Dinge meiner Eltern“, das zwar von toten Dingen redete, aber auf eine sehr emotionalisierende Weise, weil es eben Dinge von Toten (den verstorbenen Eltern) waren – tendiert das neue Stück eher zum Essayistischen und bewegt sich auf einer relativ vorhersehbaren Zeitschiene: der Biographie dreier Freundinnen, die sich seit der frühen Schulzeit kennen. Alle drei von der Cremer in Personalunion dargestellt (Regie: Dominik Günther). Über zweieinhalb Stunden und durch knapp 50 Jahre. Die enorme Textmenge aller Handelnden oder Abgehandelten, aller gedanklichen Ausflüge und Einschübe auf einer Schulter und aus einem Mund. Wahnsinn.
 
Würde man den Begriff „Autoren-Kino“ auf das anwenden, was Gilla Cremer macht, könnte man es „Autorinnen-Theater“ nennen, hier allerdings unter der verschärften Bedingung, daß die Autorin auch immer die Haupt-Darstellerin ist, in den meisten Fällen sogar die einzige Darstellerin im Gespräch mit sich selbst und einer Anzahl fiktiver Personen. Auf die eine oder andere - und nicht selten traurige - Art, wird dabei stets Lebensgeschichte be- und verarbeitet. Man könnte es mittlerweile den Cremer-Stil nennen. Monolog – manchmal mit Musik – in minimalistischem Bühnenbild (Ausstattung: Eva Humburg). Das letztere erklärt sich auch dadurch, daß dieses Ein-Frauen-Theater häufig auf Tournee geht, oder besser gesagt: fährt, nämlich im VW-Bus und mit der Direktorin am Steuer durch die ganze Bundesrepublik und die Alpenrepubliken dazu. Anfahrt. Aufbau. Abend-Vorstellung. Abbau. Abfahrt. Raubbau möchte man fast hinzufügen. Es braucht auf jeden Fall viel Kraft, Energie und Courage.
Ernsthaftigkeit, Verständlichkeit, Vielseitigkeit – und zunehmend auch Humor sind Gilla Cremers Markenzeichen. Dabei sind weder die Autorin noch die Schauspielerin irgendwie prätentiös, exaltiert oder künstlich. Aber vor allem: Man schaut ihr einfach gerne zu. Egal in welchem ihrer Stücke: Ob als Hildegard Knef, ob als Lagerkommandantin oder als verweifelte alleinstehende Mutter. Hin und wieder steht oder sitzt ihr ein Musiker zur Seite, bei der „Freundschaft“ ist es Gerd Bellmann, der zugleich einen Freund darstellt, den sehr wortkargen, aber äußerst verläßlichen Knud. Er sagt den ganzen Abend buchstäblich nichts.


Gerd Bellmann, Gilla Cremer - Foto: Arno Declair
 
Gilla Cremer zeigt ihre ganzen darstellerischen Möglichkeiten mit allen Tönen, Farben und Facetten – bis hin zum Gesang – auch in ihrem neuen Stück. Sie kann das Publikum ohne Mühe in ihren Bann ziehen und gerade im reduzierten Spiel folgt man ihr fasziniert. Es braucht hier eigentlich nicht die gelegentlichen Ausflüge ins Revueartige oder gar in einen Potpourri der musikalischen Erinnerungen, so bedeutsam der „Soundtrack des eigenen Lebens“ für jeden einzelnen auch sein mag.
Die drei Frauenbiographien, die hier über die Bühne ziehen, dürften deutliche Ähnlichkeiten mit den Biographien der Zuschauer(innen) haben: Alle drei studiert, entweder zielstrebig und organisiert oder chaotisch durchs Leben gehend, Ärztin, Literaturwissenschaftlerin und – Schauspielerin. Erfolgreiche Frauen, die dann doch das Leben (grob) erwischt: Die Ärztin muß feststellen, daß ihr Arztgatte auch der langjährige Geliebte ihrer Kollegin ist, die Literaturwissenschaftlerin wird schwer krank und stirbt, und die Schauspielerin erlebt einen Betrug, der viel mit Freundschaft und viel auch mit den Grenzen von Freundschaft zu tun hat. Biographien, die wir kennen und die unter die Haut gehen, zumal da eine Darstellerin vor uns steht, die die eigene Verletzlichkeit fürs Publikum sichtbar machen kann und dabei so stark – und eben doch Schauspielerin bleibt. Da wird das manchmal so banale und sich ewig wiederholende Leben auf die Bühne gebracht, ohne selbst banal zu werden.
 
Und auch wenn das an dieser Stelle etwas zu privat wird: Man möchte sie gerne kennenlernen, diese Frau da vorn auf der Bühne (das gilt nicht nur für den männlichen Zuschauer, sondern auch für Zuschauerinnen, zumindest die an meiner Seite). Wahnsinn, wo hat sie nur die Power her!
Man kann jedem nur empfehlen, sich dieses oder eines der zehn anderen Stücke von und mit Gilla Cremer anzuschauen wenn sich die Gelegenheit dazu bietet. Und bis dahin hat sicher auch die nagelneue „Freundschaft“ das Mehr an Stringenz und Struktur bekommen, das bei der Premiere noch fehlte.
Oder vielleicht eignet sich diese Anmutung von undone gerade gut zum Kennenlernen dieser außergewöhnlichen und faszinierenden Schauspielerin.
  
Weitere Informationern und Tourneeplan 2016:  www.gillacremer.de