Venedig-
Die „Serenissima“ in der Lagune
Porträtiert von Miroslav Sasek
Venedig
An der Brücke stand jüngst ich in brauner Nacht.
Fernher kam Gesang: goldener Tropfen quoll´s über die zitternde Fläche weg. Gondeln, Lichter, Musik - trunken schwamm´s in die Dämmerung hinaus... Meine Seele, ein Saitenspiel, sang sich, unsichtbar berührt, heimlich ein Gondellied dazu, zitternd vor bunter Seligkeit. - Hörte jemand ihr zu?... (Friedrich Nietzsche)
Ende der 1950er, Anfang der 60er Jahre hat der in Prag geborene Tscheche Miroslav Sasek (1916-1980) mit seinen Büchern der Welt eine völlig neue Form der Reiseliteratur geschenkt, die mit Sympathie, Einfühlungsvermögen und sehr viel Charme Städte und Landschaften rund um die Erde sowie ihre Menschen vorstellte. Das eindrucksvoll schlichte Layout, Saseks brillante Farbwahl, sein unverkennbarer Strich und freundlicher Witz sowie seine Liebe zum genau richtigen Detail, um die Botschaft zu vermitteln, haben heute, ein gutes halbes Jahrhundert danach, den gleichen Reiz wie damals. Die meisten seiner Bücher haben international Furore gemacht und wurden, wenn die Welt sich auch zwischenzeitlich erheblich verändert hat, in den vergangenen zehn Jahren von Verlagen wiederentdeckt und verschiedenen Orts neu aufgelegt. Die von unwiderstehlichem, zeittypisch nostalgischem Reiz geprägten Städte-Portraits sind eben noch genauso liebenswert, hinreißend und überdies sogar noch fast genauso informativ wie damals. Mehr noch: sie öffnen ein Fenster zu einer verloren geglaubten, weniger hektischen Welt.
Der Münchner Antje Kunstmann Verlag hat in seiner zauberhaften Fasksimile-Reihe der Reisebücher Saseks nach „München“, „Paris“ „London“, „Rom“ und „New York“ nun auch Saseks geliebtes „Venedig“ wieder aufgelegt. Ein Appendix bringt die im Original von 1961 enthaltenen sachlichen Informationen á jour.
Wer je seinen Fuß auf den Boden der Serenissima gesetzt und dieses einzigartige, seit dem 6. Jahrhundert auf 117 Inseln und Inselchen und ungezählten Stelzen im Morast und Brackwasser der Bucht vor Mestre errichtete Gebilde gesehen hat, ist ihm verfallen. Das ging Friedrich Nietzsche, Rainer Maria Rilke und Thomas Mann so - dem Bann dieses wunderbaren Traumgebildes, das auf der Welt einmalig ist, konnten sich Lord Byron, Richard Wagner, Marcel Proust, William Turner, Auguste Renoir und ungezählte andere Maler und Dichter nicht entziehen. Millionen von Touristen und ungezählte Liebespaare tun es ihnen jährlich nach – überwiegend im Frühling und Sommer – und besuchen die Stadt Canalettos, Guardis und Tiepolos, Casanovas und Goldonis, um ihren Duft zu atmen. Im Dämmer der Gassen, auf den 400 Brücken über 177 Kanäle, den stillen Plätzen abseits der Piazetta und in den kleinen Bars, Bacaris und „Caffés“ lassen sie sich in ihren Zauber einhüllen, im Versuch, das unlösbare Geheimnis ihres Charmes zu ergründen.
In der morbiden Stimmung der kalten Jahreszeit hat Robert Browning am 12. Dezember 1889 seinen letzten Seufzer getan, Rilke hat die „Eisige Ruh“ bedichtet und Joseph Brodsky (1940-1996) reiste seit 1972 jedes Jahr nach Venedig, wohlgemerkt im Winter, wenn die Luft klar ist und nachts „König Nebel“ die Stadt einhüllt. Es ist fast eine Haßliebe, doch er wäre niemals im Sommer hingefahren, „nicht einmal, wenn man mir ein Gewehr auf die Brust setzte“. In kalten Wintern friert sogar die Lagune zu, wie es Ende des 18. Jahrhunderts ein Schüler Francesco Battagliolis auf einem Gemälde zeigt, und man kann das Festland zu Fuß erreichen. Die Zeit von Kälte und Nebel regt Autoren nicht minder an als das Flimmern der Sommerhitze. Patricia Highsmith läßt ihren Kriminalroman „Venedig kann sehr kalt sein“ in der winterlichen Lagunenstadt spielen und Donna Leon, der wir den Commissario Brunetti in ihren mittlerweile 23 Venedig-Romanen verdanken, führt auf der Suche nach den Tätern wie durch die flirrende Hitze und das „Aqua alta“ auch durch die klirrende Kälte der Calle, Rive, Ponte und Fondamente. Richard Wagner vollendet im venezianischen Winter 1858/59 den zweiten Akt seiner Oper Tristan und Isolde – 24 Jahre später kehrt er, wieder im Winter, dorthin zurück und stirbt am 13. Februar 1883 im Palazzo Vendramin. Die Literaturen über Venedig sind ebenso Legion wie die von allen Großen der Malerei festgehaltenen Bilder der Stadt.
Konrad Beikircher: Venezia
Venedig ist ein Fisch, man muß nur auf den Stadtplan schauen. Du kannst dich vom Piazzale Roma oder vom Bahnhof aus Richtung
© 2013 Konrad Beikircher
Redaktion: Frank Becker
Miroslav Sasek - Venedig
© 2015 Antje Kunstmann Verlag, 66 farbig illustrierte Seiten, gebunden mit Schutzumschlag, Fadenheftung, 22,5 x 32 cm - ISBN 978-3-95614-032-7
16,95 €
Weitere Informationen: www.kunstmann.de - www.miroslavsasek.com
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