Was die Oper vom Leben unterscheidet

Sinnfragen

von Lars von der Gönna

© Heiko Sakurai
Was die Oper
vom Leben unterscheidet
 
Während die Welt auf Bayreuths Grünen Hügel schaut, sitzen wir daheim und fragen uns nachdenklich, was Opern vom Leben unterscheidet. Vor allem ist es die familiäre Situation. Ein Reihenhaus mit Mama, Papa, zwei Kindern und einem Cockerspaniel kann nun wirklich keine bühnenfähige Tragödie gebären. Folglich ist der Opernheld, vor allem der italienische, anderes gewöhnt.
Zunächst die Frau in der Oper. Zumeist ist sie jung, 134 Kilo schwer und eine herzensgute Vollwaise. Sie wurde bereits vor der Geburt von dem ihr unbekannten Zwillingsbruder (der im zweiten Akt rein zufällig als gutaussehender obdachsuchender Kriegsheimkehrer und Tenor bei ihr anklopfen wird) getrennt. Außerdem lebt sie in der Regel in äußerst einfachen Verhältnissen bei einem selbstlosen Greis mit Keuchhusten, der sich erst im Finale (wenn er vergiftet auf dem Dorfplatz liegend eine Cavatine anstimmt) rein zufällig als ihr Großvater erklären wird.
Der Mann in der Oper hat dagegen viel Ehre, aber auch viel Ärger. Üblicherweise handelt es sich bei ihm um einen gänzlich unverschuldet zum Räuber gewordenen Hauptmann, dessen Mutter rein zufällig bei seiner Geburt vertauscht wurde und die infolge widriger Umstände vom Fürstinnenthron in ein Zigeunerlager mit angeschlossener Fechtschule gestürzt ist. Sein Onkel hat zumeist einen schönen Bart, kommt aus dem Kosovo, singt Baß und verdient seinen Unterhalt als Rächer vom Dienst.
Man muß das hohe C nicht lieben, um zu ahnen, daß aus solchen Frauen und Männern abendfüllende Stücke gemacht werden können. Und wir sitzen staunend da. Im Reihenhaus. Ob unser Spaniel das Zeug zum Rächer hätte?
 
 

© Lars von der Gönna - Aus dem Buch „Der Spott der kleinen Dinge“
mit freundlicher Erlaubnis des Verlags Henselowsky Boschmann und der WAZ.