Unlautere Werbung

Das „Opernhaus des Jahres“ - kritisch betrachtet

von Michael S. Zerban

Michael S. Zerban - Foto © Lennart Rauße
Unlautere Werbung
 
Alle Jahre wieder legt eine kleine Fachzeitschrift denselben PR-Gag auf. Das funktioniert so lange schon, weil die Opernhäuser der Republik die Aussagen einer vollkommen invaliden Umfrage zu unlauterer Werbung nutzen. Warum eigentlich?
 
Tagtäglich wird auf sie eingedroschen. Sie haben keine Ahnung, wohl eine ganz andere Aufführung besucht, vernichten hoffnungsvolle Karrieren und wollen sich auf Kosten der Opernhäuser profilieren: die Kritiker. Nur einmal im Jahr sind sie die Lieblinge der Nation. Nämlich dann, wenn eine kleine deutsche Fachzeitschrift ihren alljährlichen PR-Gag veröffentlicht. Die Opernwelt existiert seit 1960 und hat ihre besten Zeiten längst gesehen. Heute vegetiert sie nach eigenen Angaben mit einer Auflage von 10.000 Exemplaren monatlich dahin – nicht IVW-geprüft, Tendenz fallend. Zum Vergleich: Die drei großen Opernmagazine im Internet vereinen monatlich sechsstellige Besucherzahlen – auch nicht IVW-geprüft, aber mit steigender Tendenz. Ohne irgendwelche Kollegenschelte betreiben zu wollen: Die Themen der Opernwelt sind längst überholt, wenn das gedruckte Magazin einmal im Monat erscheint. Das liegt in der Natur der Druck-Sache. Aber einmal im Jahr ist ihr Name in vieler Munde. Nämlich dann, wenn sie unter anderem das „Opernhaus des Jahres“ kürt. Dazu veranstaltet die Zeitschrift mit dem eindrucksvollen Einzelheft-Preis von 14 Euro eine „Kritikerumfrage“ – und neuerdings auch eine „Leserumfrage“. Nach Angaben der Zeitschrift werden 50 Kritiker befragt, um dann nach dem Mehrheitsprinzip zu entscheiden. Das klingt doch eindrucksvoll. Da reisen also 50 Kritiker tagtäglich durch die Republik, damit ein jeder die rund 650 Premieren während einer Spielzeit begutachtet und dann – nach bestem Gewissen – sein Urteil fällt.
 
Schade, daß das schon rein rechnerisch nicht geht, vom Arbeitsaufwand ganz zu schweigen. Wenn ich im Jahr über rund 100 Aufführungen berichte, bin ich sehr stolz auf mich – und fühle mich reichlich ausgelaugt. Ich habe dann so viele großartige – und schlechte – Veranstaltungen besucht, daß ich beim besten Willen nicht sagen könnte und auch gar nicht sagen will, wer da der beste gewesen ist. Von Ausnahmen abgesehen. Die Oper Stuttgart war es jedenfalls nicht. Denn für einen Besuch dort hat die Zeit nicht gereicht. Da ging es mir wie vielen der Kritiker, die für den Spaß, den sich die Opernwelt erlaubt, ihren Namen hergeben. Die Umfrage ist also weder repräsentativ noch valide. Sie hat in ihrer Methodik eher Lotto-Charakter. Daß sich eine Zeitschrift mit einem solchen PR-Gag über Wasser hält, ist vollkommen in Ordnung. Er funktioniert ja schließlich. Für die befragten Kritiker ist es immerhin ein lohnendes Geschäft. Nach ihren Kreuzchen auf einer Liste erhalten sie als Aufwandentschädigung eine Kiste Wein. Da mag man sich entspannt zurücklehnen.
Die eigentliche Schande ist das, was nach der Veröffentlichung dieser „Umfrage“ passiert. Eigentlich sollte man Intendanten so viel Intelligenz unterstellen, daß sie die Absicht hinter dieser „Umfrage“ erkennen und sich mindestens stillschweigend davon distanzieren. Stattdessen prasseln in diesen Tagen die Pressemitteilungen in die Redaktionsstuben, die die „Ehrung“ verkünden. Das ist peinlich.
 
Oder unlauterer Wettbewerb. Wenn Intendanz und nachgeordnete PR-Abteilung wider besseres Wissen eine vollkommen ungedeckte Aussage nutzen, um ihr Haus in einem besseren Licht erscheinen zu lassen, ist das in meinen Augen irreführende Werbung. Daß öffentlich-rechtliche Sendeanstalten das auch noch unterstützen, indem sie diese PR-Meldung ungeprüft verbreiten, ist ein zusätzliches Ärgernis. Da gibt es tatsächlich Meldungen wie „Stuttgart ist Opernhaus des Jahres“. Eine Ente. Aber dafür gab es ja vermutlich auch schöne Werbeeinnahmen für die Trailer auf Arte anläßlich der Bayreuther Festspiele. Manus manum lavat. Es mag durchaus sein, daß Opernhäuser so weit im eigenen Saft schwimmen, daß sie an der eigenen Eitelkeit ersticken. Ihre Besucher freilich nicht. Und die lesen längst im Internet, welche Theater und Opernhäuser großartige Leistungen erbringen. Die brauchen solche fragwürdigen Methoden nicht. Und sind mitunter äußerst verärgert, weil es für sie ohnehin nur ein „Opernhaus des Jahres“ gibt – das eigene Stadttheater nämlich, in dem das Ensemble sich Haare und Beine ausreißt, um sein Publikum zu begeistern. Häuser übrigens, die in der Umfrage so gut wie gar nicht vorkommen. Und die auch keiner der 50 Kritiker überhaupt besucht hat.
 
In der eingangs erwähnten „Leserumfrage“ wird es dann übrigens völlig absurd. Da gibt es jetzt ein zweites „Opernhaus des Jahres“. Das immerhin hat so viel Klasse, daß es die überflüssige Auszeichnung nicht einmal erwähnt. Anders als bei der ach so objektiven Wikipedia, die den Opernhäusern kommentarlos die „Titel“ zuordnet. Hier ist nicht einmal mehr erkennbar, daß es sich um den PR-Gag eines Nischenmagazins handelt. Vermutlich hält Selbstgerechtigkeit vom Denken ab. Wie bei den 50 Kritikern, die Opernwelt zitiert. Wie kritisch sind eigentlich Leute, die ihre Kreuzchen für Aufführungen setzen, an denen sie gar nicht teilgenommen haben? Für eine Kiste Wein? Und wie peinlich sind solche Menschen für den eigenen Berufsstand, daß sie sich für einen solchen Jux hergeben? Ich jedenfalls distanziere mich von solchen Kolleginnen und Kollegen, die den journalistischen Auftrag zugunsten der eigenen Geltungssucht vernachlässigen. Und da paßt es dann auch nicht mehr mit den Lieblingen der Nation. Aber was ist das schon gegen die Lächerlichkeit, sich mit falschen Titeln zu schmücken?
 
Michael S. Zerban
 
Eine Übernahme aus dem „Opernnetz“ mit freundlicher Genehmigung