Nikolai Astrup mit Bildern aus dem Land der Trolle

Eine Ausstellung der Kunsthalle Emden

von Jürgen Koller

Nikolai Astrup, Rhabarber, 1911,  Kunstmuseen Bergen - Foto © Dag Fosse, KODE

Drei Jahrzehnte Sir Henris Kunsthalle in Emden – zum Jubiläum:
Nikolai Astrup mit Bildern aus dem Land der Trolle
 
Von Jürgen Koller
 
Es zeugte von einer geschickten Regie, das dreißigjährige Jubiläum der Kunsthalle Emden mit einer großen Ausstellung des Norwegers Nikolai Astrup zu verbinden, der bis dato noch nie in Deutschland zu sehen war. Die Festveranstaltung / Vernissage zum Jubiläum der Kunsthalle am 2. Oktober dieses Jahres fand wegen des großen Besucherandrangs im Neuen Theater von Emden statt. Henri Nannen, Sir Henri, wie er respektvoll von aller Welt, von Freund und Feind genannt wurde, schuf nach drei Jahrzehnten als Chefredakteur des „Stern“ in seinem letzten Lebensdrittel für seine Heimatstadt Emden und deren Bürgerinnen und Bürger mit der Kunsthalle ein Werk, das ihm im Gedächtnis der Menschen des deutschen Nord-Westens für immer einen bleibenden Platz einräumen wird.
 
Und so würdigten die Festredner, unter anderem Dr. Folkert Hinrichs als Vorstandsvorsitzender der Stiftung Henri und Eske Nannen und Schenkung Otto van de Loo, aber auch Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder sowohl die großherzige Stiftung Nannens als auch das in alter Blatt-Macher-Manie mit kraftvollem Elan und Durchhaltevermögen realisierte Bauvorhaben Kunsthalle für die Stadt Emden. Es war seinerzeit ein ungewöhnlicher Akt, daß der Stifter nicht nur seine Expressionisten-Sammlung eingebracht hatte, sondern neben dem Stiftungskapital auch noch die Baukosten für die Kunsthalle aus seinem Privatvermögen übernommen hatte – alles in allem 14,3 Mio. DM. Gegenwärtig werden 40% der notwendigen Finanzmittel aus Eigenmitteln erwirtschaftet, den großen Rest steuern der Haushalt der Stadt Emden, Fördertöpfe des Landes Niedersachsen und natürlich Zuwendungen privater und gesellschaftlicher Sponsoren bei. Der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker sprach anläßlich der Eröffnung der Kunsthalle am 3. Oktober 1986 davon, daß dieses Ereignis „Ausdruck eines alten friesischen und bodenständigen Gemeinschaftsgeistes“ sei und lobte die „menschlichen Dimensionen“ des Hauses. Die Sammlung von Nannen umfaßte vor drei Jahrzehnten 200 Werke – er hatte nie systematisch gesammelt, sondern stets das erworben, was ihm ästhetisch-sinnlichen Genuß bereitete. Heute sind 1.600 Gemälde, Grafiken, Skulpturen, Plastiken und Fotografien im Bestand. Gerhard Schröder merkte an, daß es ihm in den neunziger Jahren als niedersächsischer Ministerpräsident eine Ehre gewesen sei, sich mit darum bemüht zu haben, Otto van de Loo's Sammlung der Künstlergruppen „Cobra“ und „Spur“ sowie Werke des Deutschen Informels als Schenkung nach Emden zu holen. Es sei noch darauf verwiesen, daß beide Festredner die außerordentlichen Verdienste von Geschäftsführerin Eske Nannen bei der langjährigen Führung des Hauses hervorhoben. So bei der Sicherung der Finanzen – speziell bei der Einwerbung von Sponsorengeldern, ihre „Bettelbriefe“ für die Erweiterungsbauten sind berühmt , aber auch das leidenschaftliche Engagement bei der Förderung der Malschule für Kinder, die auf eine Idee von ihr in den 80iger Jahren zurückgeht. „Diese Malschule und die Museumspädagogik sind kein Beiwerk, sondern helfen Kindern, das Sehen und die künstlerische Wahrnehmung zu lernen.“ „Eske Nannen kann“, so Gerhard Schröder weiter, „Menschen für die Sache der Kunst begeistern.“ Die Kunsthalle zeigt sich auch nach dreißig Jahren noch modern und frisch, mit einem Ausstellungsprogramm, das immer wieder weit über die Grenzen der nordwestlichsten Stadt Deutschlands hinausweist. Emden hat 50.000 Einwohner, zählt aber jährlich rd. 70.000 Besucherinnen und Besucher in der Kunsthalle – seit 1986 um die zwei Millionen. Und deshalb hat „Sir Henri“ mit 'seiner' Kunsthalle entscheidend dazu beigetragen, daß sein Spruch „Nolde kam nur bis Oldenburg“ ad absurdum geführt wurde.
 

Nikolai Astrup, Freudenfeuer in der Mittsommernachtnacht, 1917 - Foto Dag Fosse, KODE 

Erstmalig wird der in Norwegen sehr geschätzte, aber in Europa nur Kunstexperten bekannte Nikolai Astrup (1880 -1928) mit einer Ausstellung von 100 Gemälden und großformatigen Holzschnitten gewürdigt. Die Schau war zuvor in London und Oslo zu sehen. Im Untertitel heißt die Ausstellung „Norwegen- Eine Entdeckung“. Eine Entdeckung. Elisabeth Walaas, eigens angereiste Botschafterin des Königreichs Norwegen, betonte in ihrem Grußwort zur Ausstellungseröffnung, daß „der Schatten von Edvard Munch für Astrup sehr groß gewesen“ sei. Und deshalb gibt es für deutsche Besucher, die Munch oder die deutschen Expressionisten im visuellen Gedächtnis haben, in der farbmächtigen Bilderschau wahrlich etwas zu entdecken. Astrup war nach eigener Aussage „auf der Suche nach einer nationalen norwegischen Kunstsprache.“ Die wichtigsten Kunstströmungen und die bedeutendsten Künstler seiner Zeit waren ihm durchaus bekannt, neben Munch etwa Picasso, die Brücke-Maler oder die Künstler der Neuen Sachlichkeit. Daß er das Werk seines norwegischen Künstlerkollegen Edvard Munch genau kannte, belegt sein Gemälde „Märzstimmung“ von 1908, wo er 15 Jahre nach Munch in den knorrigen Baum im Bildvordergrund ebenfalls einen „Schrei“ einbaute. Aber sein Anspruch war es, sich „von allem zu reinigen, was (er) von der Kunst anderer aufgenommen haben könnte, um allen Einflüssen zu entgehen und (seinen) eigenen Stil zu finden...“ Diesem Streben, einen eigenen Stil zu finden, kommt er in phantastischen Panoramen seiner westnorwegischen Heimat am nächsten. Weite, sich öffnende Täler mit Seen, mit Blumen übersäte grüne Fluren und mit schneebedeckten Bergzügen am Bildhorizont überzeugen. „Wichtige Schlüsselmotive in Astrups Werk sind die norwegischen Sommernächte, das magische Nordlicht und die Mittsommernachtsfeuer“, aber bei Letzteren geraten ihm die Figurationen oftmals zu kleinteilig. Tanzen da im Hintergrund etwa die struppigen Trolle um's Feuer? Inwieweit sich aus der Verbindung von realistischen Strukturen mit naiven Elementen und norwegischer Folklore eine charakteristische, typisch nordische Bildsprache entwickelte, muß jeder Betrachter für sich selbst beantworten. Was ihm aber gelingt, ist das Einfangen von Stimmungen, sei es in Genre-Bildern oder bei Gartenmotiven mit diversen Bäumen, Blumen oder Gemüse u.ä., obschon da ein großzügigerer malerischer Duktus vermißt wird. Manche Gartenszenen erinnern an die Arbeiten der Worpsweder Künstler-Kolonie , zum Beispiel an Heinrich Vogelers „Sommerabend im Barkenhof“ von 1905. Der höhere Sinn des detailgetreuen Nachbaus von Astrups Bildmotiv „Stillleben-Interieur: Wohnstube in Sandalstrand“ in begehbarer Originalgröße erschließt sich dem Autor dieser Zeilen allerdings nicht – diese Pseudo-Idylle rückt den Künstler, der auf der Suche nach einer „norwegischen Kunstsprache“ war, in die Nähe folkloristischen Kitsches.
Auf eine maltechnisch-gestalterische Besonderheit sei noch verwiesen: Astrup, ein fulminanter Holzschneider, hatte die Eigenart, Holzschnitte mit Ölfarbe zu ergänzen, so daß der Betrachter oftmals nicht zu unterscheiden vermag: schon Ölbild oder noch Holzschnitt.
Dank gebührt der Kuratorin MaryAnne Stevens, die die Materialfülle sinnreich geordnet und die Bilder und Grafiken in sich stimmig und ästhetisch wirkungsvoll für die Räume der Kunsthalle zusammengestellt hat. Die Ausstellung „NIKOLAI ASTRUP / Norwegen. Eine Entdeckung“ ist ein würdiger Beitrag zum dreißigjährigen Jubiläum der Emdener Kunsthalle. Diese umfängliche Bilderschau des Norwegers ist wahrlich eine 'Entdeckung' für die interessierte Kunstöffentlichkeit und wird viel Resonanz beim Publikum und bei den Medien finden. Sie fügt sich in die Reihe großartiger Ausstellungen der letzten Jahre ein – von Emil Nolde, Lyonel Feininger, Paul Klee, Alexej Jawlensky, Lothar-Günther Buchheim bis hin zu Otto Mueller.
 

Nikolai Astrup, Märzstimmung am See, vor 1908, Privat-Slg.,
Foto © Anders Bergersen 
Kunsthalle Emden
Hinter dem Rahmen 13 - 26721 Emden
Info-Tel. 49(0) 4921 97500
 
Ausstellung:
NILOLAI ASTRUP / Norwegen. Eine Entdeckung
2. Oktober 2016 bis 22. Januar 2017
Öffnungszeiten:
Di bis Fr 10 bis 17 Uhr, Sa, So/Feiertage 11 bis 17 Uhr
jeder erste Di/ Monat 10 bis 21 Uhr – (Kunstabend)
Eintritt:
Erwachsene 8 €, ermäßigt 6 €
am Kunstabend 4 €
Kinder bis 15 Jahre frei
 
Publikation: „Nikolai Astrup (1880.1928): Norwegen.“
Mit Beiträgen von Frances Carey, Ian A.C. Dejardin, Karl Greve, Tove Kårstadt Haugsbø / John Myerscough und MaryAnne Stevens. 226 Seiten mit ca. 150 Abbildungen, Paperback 28x24cm, 25 €
Dia-Schau:
Unter http://kunsthalle-emden.de/astrup/ ist eine DIA-Schau mit Bildern Nikolai Astrups hinterlegt.