Fantasy-Spektakel im TTT

„Die Piraten der Sparrow“

von Frank Becker

Nana: Erika Klein Ejupi, NN - Foto: TTT
Fantasy-Spektakel im TTT
 
„Die Piraten der Sparrow“

Musical von Rebecca Westkott
nach einer Idee von David Meister und Jens Kalkhorst
(besuchte Vorstellung: 28.10.2016)
           
Regie: Jens Kalkhorst – Bühne: Rüdiger Tepel - Musik: (s.u.) - Choreographie: David Meister - Kostüme: Michael Stratmann, Sara Kinze, Maria del Vecchio, Doris Hartmann, Annou Reiners - Maske: Sandra Kremer
Personen: Prinzessin Allora: Polly Olszak - Kapitän Strongblood: Ralf Poniewas - Prinzessin Belinda/Ben: Stefanie Gindler - Monsieur Genewiève: Maurice Kaeber - Lady Lydia Laverne: Karolin Blumenstengel - Zofe Lillibelle/Joe: Marlene Meissner - Königin Mutter: Nicole Sieper - Page: Nadine Mehler - Madame du Pommes: Sigrid Möllmer - Naila Darkface: Stephanie Spichala - Erster Steuermann Bill: Jens Kalkhorst - Korkenzieher Joe: Moritz Stursberg - Scully/Shutter: Thomas Stratmann - Zweiter Steuermann Jaenna: David Meister - Leichtmatrose Gimpy: Svenja Dee - Smutje: Robin Schmale - Nana: Erika Klein Ejupi - Lilli: Stina Schnickmann
Dauer: 180 Minuten inkl. Pause
 
Verwicklungen Shakespeareschen Ausmaßes
 
Empfinden Sie das auch so, daß Bühnen-Aufführungen von mehr als zwei Stunden auf dem Sektor „leichte Unterhaltung“ oftmals die Tendenz haben, ermüdend zu wirken? „Oha!“, ging es mir im Stillen durch den Kopf, als ich auf dem Programmzettel zu „Die Piraten der Sparrow“ im TTT die Spieldauer von 170 Minuten entdeckte. Als es aber am guten Ende 180 Minuten und sogar ein bißchen mehr waren, hatte ich es vor Kurzweil gar nicht gemerkt – und mich blendend unterhalten.
 
Worum geht es? Die wüste Piratencrew der „Sparrow“ unter ihrem furchtlosen Kapitän Strongblood (Ralf Poniewas) kapert ein britisches Schiff und nimmt als Überlebende eine Prinzessin (Stefanie Gindler), ihre beleibte Hausdame (Sigrid Möllmer), ihre Zofe Lillibelle (Marlene Meissner) und die verführerische Lady Lydia Laverne (Karolin Blumenstengel) gefangen. Da sich die Prinzessin und Lillibelle in Uniformen als Männer ausgeben, die Zofe in die Rolle der Prinzessin schlüpft und die bildschöne Lady Lydia der gesamten Besatzung mit den Waffen einer Frau lasziv den Kopf verdreht, sind Verwechslungen und Kabalen Shakespeareschen Ausmaßes programmiert. Was ihr wollt läßt grüßen. Als die kunterbunte Bande aus schrägen Vögeln (Schotten, Zeitreisende, Berserker, Elben und Katzenmenschen) sich darauf einläßt, die ebenfalls entführte zweite Prinzessin Allore (Polly Olszak) im Auftrag der handfesten Königin (Nicole Sieper) aus der unterseeischen Verbannung und dem Schicksal als Nixe zu befreien, geht es erst richtig los.


Polly Olszak - Foto: TTT
 
Mit Selbstironie und Augenzwinkern
 
Jens Kalkhorst, der auch den Part des ewig betrunkenen Ersten Steuermanns übernommen hat, ist eine irrwitzige Inszenierung, ein  kunterbuntes Fantasy-Spektakel gelungen, in dem mit viel Augenzwinkern, gehöriger Selbstironie, Tempo, Spielfreude und veritablen Fechtszenen Elemente aus „Fluch der Karibik“, „Peter Pan“, „Der Widerspenstigen Zähmung / Kiss me Kate“ (und sämtlichen anderen Verwechslungskomödien William Shakespeares), Disneys „Arielle“ (und anderen Trickfilm-Ikonen), Homers „Odyssee“ und der Muppet-Show zu einem amüsanten und hochmusikalischen Abend verschmolzen. Apropos Musik: hier wurde mit offensichtlich diebischer Freude der reiche Schatz von Musical, Film- und Pop-Musik ganz nach Piratenart geplündert. Aus Songs von „Annie get your gun“ über „The Wizard of Oz“ und „Girls, Girls, Girls“ von Sailor bis Elvis Presleys Hit „Devil in disguise“ (Tanz mit Gemüse) und vielen anderen wurde ein bekömmlicher karibischer Cocktail gemixt, der dem Publikum offensichtlich mundete. Glanzlichter sind der witzige Muppet-Chor im Krähennest der „Sparrow“, der schon erwähnte „Tanz mit Gemüse“ (einer von etlichen überaus gelungenen Gags) und vor allem die phantastische Polly Olszak mit  klangvollem Mezzo und „Somewhere over the rainbow“ aus dem zeitlosen Film „The Wizard of Oz“. Unmöglich hier alles aufzuzählen, die Liste ist lang. Unbedingt zu erwähnen aber sind einige Dienste „hinter den Kulissen“, wie das ideenreiche Maskenbild von Sandra Kremer, die detailverliebte Bühnenausstattung von Rüdiger Tepel und die Kostüme, die Michael Stratmann, Sara Kinze, Maria del Vecchio, Doris Hartmann und Annou Reiners entworfen haben.
 

David Meister Stefanie Gindler - Foto: TTT

Typen, Töne, Temperamente
 
Ein besonderes Lob den choreographischen Einstudierungen von David Meister, der auch als Zweiter Steuermann Jaenna eingesetzt, mit der zauberhaften Stefanie Gindler ein temperamentvoll-romantisches Liebespaar abgibt, so wie der Smutje (Robin Schmale) mit Marlene Meissner. Überhaupt zeigten sich alle Akteure, einschließlich dem sensiblen Katzenmann (Maurice Kaeber), dem deftigen Schotten (Moritz Stursberg) und dem eloquenten Barbaren mit ganz leichtem Überbiß (Thomas Stratmann) auch sanglich als Individualisten und als ein  brillant funktionierendes Team – die Rahmenhandelnden Nana (Erika Klein Ejupi) und Lilli (Stina Schnickmann) nicht zu vergessen.
Das Medley „Over The Rainbow & What A Wonderful World“ in der Version von Israel Kamakawiwo'ole und die Reprise von „Tanz mit Gemüse“ machte als Zugaben die Sache endgültig rund – nach drei vergnüglichen Stunden.

 
 1. Reihe v.l.: Ralf Poniewas, Polly Olszak, David Meister, Stefanie Gindler, Robin Schmale, Marlene Meissner - Foto: TTT
 
 
Weitere Informationen und Termine: http://taltontheater.de