Beklemmend

Louise Welsh – „V5N6 – Tödliches Fieber“

von Frank Becker

Beklemmend
 
Über London liegt eine unheilschwangere Atmosphäre, eine Stimmung, die kaum zu beschreiben, für die Fernsehmoderatorin Stevie Flint aber zu fühlen ist. Als sie ihren Freund, den Arzt Dr. Simon Sharkey tot in seinem Bett findet, scheint es ein zwar unerklärlicher, aber natürlicher Tod zu sein. Kurz danach wird sie krank. Hohes Fieber, Erbrechen, Schüttelfrost. Als sie nach Tagen wieder mühsam auf die Beine kommt, erfährt sie, daß sich in London eine meist tödlich verlaufende Virus-Infektion verbreitet: V5N6, die wohl auch für ihr „Schwitzfieber“ verantwortlich war. Und sie erfährt von einem Pathologen, daß bei Simons Tod vielleicht doch von fremder Hand „nachgeholfen“ wurde.
Als sich das Virus ohne Gegenmittel explosionsartig ausbreitet, die Betroffenen in wenigen Tagen sterben, die Krankenhäuser und Leichenhallen bereits überfüllt sind, die Polizei quasi nicht mehr existiert und das Militär London abriegelt, begibt sich Stevie, nun offenbar immun gegen die Ansteckung, auf die Suche nach der Wahrheit über Simons Tod. Es wird ein Wettlauf mit der Zeit, denn V5N6 verschont niemanden. Während um Stevie herum Freunde, Bekannte und mögliche Zeugen vom Schwitzfieber hingerafft werden, das soziale Gefüge zusammenbricht, viele Menschen versuchen, die sterbende Stadt zu verlassen und London in Gleichgültigkeit, Anarchie und Tod versinkt, versucht Stevie verbissen, die Hintergründe aufzudecken und Simons Mörder zu finden. Was sie findet, ist eine vielschichtige „Wahrheit“.

Louise Welsh legt mit „V5N6 – Tödliches Fieber“ einen raffniert gewebten Thriller mit mehreren Ebenen vor: einer handfesten Krimninal-Geschichte, einem Wissenschafts-Thriller und einer beklemmenden Social Fiction. Überaus geschickt läßt sie die Spannung bis zur Atemlosigkeit anwachsen, während sie die Stränge unter überraschenden Wendungen verknüpft. Im Kopf des Lesers entstehen Bilder, die einem Film nahekommen, da Louise Welshs Roman sich wie ein Drehbuch liest (eine baldige Verfilmung liegt förmlich in der Luft). Allerdings sind die schier endlosen Dialoge, die Stevie schließlich zur Auflösung des Mord-Rätsels führen, oft allzu quälend lang - da scheint bereits eine Drehbuch-Idee Raum zu greifen. Hier hätte aus der Sicht des Lesers eine straffere Hand gut getan.
Dennoch: „Ein Thriller, der uns an die Zerbrechlichkeit unserer Zivilisation erinnert“, schreibt der Verlag. Besser kann man es nicht formulieren.
 
Louise Welsh – „V5N6 – Tödliches Fieber“
Aus dem Englischen übersetzt von Wolfgang Müller
© 2016 Verlag Antje Kunstmann, 352 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag – ISBN: 978-3-95614-090-7
19,95 €
 
Weitere Informationen: www.kunstmann.de