Einen Jux...

Hans Richter inszeniert „Häuptling Abendwind” von Johann Nepomuk Nestroy

von Frank Becker

Anja Eidinger als Atala - Foto: Claudia Rehbein

TiC: „Häuptling Abendwind”
 
Einen Jux...
 
Hans Richter (Österreich) inszeniert
Johann Nepomuk Nestroy (Österreich)
 
Ja, einen Jux hat sich Nestroy mit der seiner zeitkritischen Komödie gemacht, die unverhohlen auf die Kolonialisierung der fernen Tropen zeigt, und man muß gar nicht lange grübeln um herauszufinden, daß Frankreich insbesondere gemeint ist. Österreich war an solchen Umtrieben nicht beteiligt, begnügte sich mit seiner k.u.k. Donaumonarchie...

Nestroy läßt die Wilden vorführen, was ihm an den Zivilisierten aufstößt: Heuchelei, Smalltalk und Komplimente, Verlegenheit und Vorteilshascherei - anders als heute? Es paßt wohl immer. Ohne den Fluch der „Political correctness“ kann er 1861 Schwarze als Wilde agieren lassen, Neger als Indianer bezeichnen und seine schwarz eingefärbten Darsteller karikaturhaft überzeichnen. Hans Richter tut es ihm in bester Tradition nach in seiner „Black and White Minstrel Show“ um die Kannibalenhäuptlinge Abendwind (Hansotto Rademacher) und Biberhahn (Jörg Bodschwinna). A. erwartet B., seinen modernen Kollegen - der von der Zivilisation gesegnet mit Bermudashorts statt Bastrock, Gummilatschen statt barfuß, Getränkedosen statt Fleischklopfer als Zepterschmuck und Autoemblem statt Muschelkette um den Hals daherkommt - zum Diner, aber die Menschen aus der Speisekammer sind aufgebraucht. Woher nehmen? Ein günstiger Wind treibt den schiffbrüchigen Pariser Friseur Arthur (Andreas Wirth) ans Menschenfresserufer. Die Häuptlingstochter Atala (Anja Eidinger) verliebt sich nach überwundenem Kulturschock stantepede in den hübschen Fremdling, muß ihn aber zur Bereicherung des Speisezettels herausrücken.

Während des Essens (Achtung! Tieffliegende Rippchen) tauchen im Kochtopf auch Kamm, Uhrkette und Uhr des Haarkünstlers auf, und Biberhahn erkennt an der Melodie der Repetieruhr, daß der Verspeiste - lecker war er ja - sein lange vermißter in Frankreich erzogener Sohn gewesen sein muß. Ein harter Schlag, nachdem beide Häuptlinge schon hatten einräumen müssen, daß sie weiland gegenseitig ihre Frauen vernascht hatten - vom Grill, versteht sich. Eh es nun aber zum Stammeskrieg zwischen Papatutu und Groß-Lulu kommt, taucht Arthur quicklebendig auf. Er hatte den Koch HoGu mit einer schicken neuen Frisur bestochen und dafür gesorgt, daß der heilige Eisbär an seiner Stelle geschlachtet wurde. Ende gut, alles gut: Atala und Arthur kriegen sich und der Fortbestand wenigstens eines kleinen Teiles Polynesiens ist gesichert.
Richter hat das temporeich und rnit sprühendern Witz inszeniert und neben die Urgesteine Rademacher und Bodschwinna - der sich als stimmgewaltiger Sänger präsentierte - lauter neue junge Talente gestellt, die ihre Rollen mit Bravour spielten: Anja Eidinger, Andreas Wirth, Markus Berghaus (ein köstlicher HoGu), Cordula Borawski, Hanna Steinbach und Daniel Heydemann. Ein schöner Abend, ein rechter Jux.