Diese „Blechtrommel“ besteht den Bühnentest

Günter Grass´ Roman als temporeiches Schelmenstück der „Schauspielbühnen in Stuttgart“

von Daniel Diekhans

Raphael Grosch - Foto © Sabine Haymann
Diese „Blechtrommel“
besteht den Bühnentest

Günter Grass´
Roman
als temporeiches Schelmenstück der

„Schauspielbühnen in Stuttgart“

Bühnenfassung und Inszenierung:
Volkmar Kamm - Bühnenbild: Alexander Roy - Kostüme: Uschi Haug - Musikalische Einrichtung: Daniel Große Boymann
Besetzung: Oskar Matzerath (Raphael Grosch) - Großmutter Anna Bronski (Stefanie Stroebele) - Großvater Joseph/ Vater Alfred Matzerath (Jens Peter Brose) - Mutter Agnes/ Maria (Juliane Köster) - Onkel Jan Bronski/ Fajngold (Ralf Grobel) - Gretchen Scheffler/ Aktmodell (Marina Lötschert) - Alexander Scheffler/ Kobyella/ Pianist (Daniel Große Boymann) - Sigismund Markus/ Albrecht Greff (Carsten Klemm) - Musikclown Bebra/ Lehrerin (Melina Schöfer)
 
Der Roman „Die Blechtrommel“ erschien 1959 und machte seinen Autor Günter Grass weltberühmt. Doch erst fünf Jahrzehnte später gab Literaturnobelpreisträger Grass seine Zustimmung für eine Theaterfassung des 800-Seiten-Wälzers. Seitdem hat man denkbar verschiedene Dramatisierungen des Jahrhundertromans gesehen. Die Handlung um den kleinwüchsigen Blechtrommler Oskar Matzerath wurde mal als Ein-Personen-Stück, mal als multimediale Theatercollage aufgeführt.
Volkmar Kamm hat sich dafür entschieden, die „Blechtrommel“ mit kleinem Ensemble in wechselnden Rollen zu inszenieren. Seine Adaption für die „Schauspielbühnen in Stuttgart“, am Mittwochabend im Remscheider Teo Otto Theater zu Gast, macht aus dem ausladenden Epos ein temporeiches Schelmenstück – mit Szenen voller derbem bis hintergründigem Humor.
 
Wie im Roman ist Oskar Hauptfigur und kommentierender Erzähler in einem. Also trat Darsteller Raphael Grosch auf dem Podest einer Drehbühne auf, von der aus er alles überblicken und alle durchschauen konnte. So groß wie er war, konnte er sich dennoch überzeugend in den Jungen verwandeln, der mit drei Jahren das Wachsen einstellt.
Was weniger daran lag, daß er seine Rolle auf den Knien spielte. Grosch packte einen vor allem mit seinem Kinderblick, in dem sich Erstaunen und Entsetzen mischten. Es war der kritische Blick auf eine Erwachsenenwelt, die sehenden Auges auf Faschismus und Weltkrieg zusteuerte.
Vom erhöhten Standpunkt aus – ironischerweise das Bett der „Heil- und Pflegeanstalt“, in der der erwachsene Oskar einsaß – setzte er die Handlung in Gang, zog seine Mitspieler mit hinein und griff in ihr Spiel ein, wann immer es ihm paßte. Und als Grosch seine Blechtrommel hatte, machte er lustvoll und lautstark von ihr Gebrauch.


Jens Peter Brose, Stefanie Stroebele - Foto © Sabine Haymann
 
Dank Ton und Requisite (Hermann Höcker und Ines Reinhard) konnte er sogar Glas zersingen – da gingen einige Glühbirnen und Bierflaschen auf der Bühne zu Bruch. Mit seinen ungewöhnlichen Gaben terrorisierte das ewige Kind nicht nur die Eltern, sondern auch den Rest der zunehmenden gleichgeschalteten Heimatstadt Danzig.
Die Zuschauer hatten ihren Spaß, als der „Little Drummer Boy“ mit einem Walzer eine Nazi-Versammlung durcheinander brachte. Dafür bauten die Darsteller eine Miniatur- Tribüne und wiegten eine Armee von Pappkameradenfiguren im Takt. Das war nur eine von vielen originellen Ideen, mit der Ausstatter Alexander Roy aufwarten konnte.
So zeigte die Drehbühne die markanten Stationen des Romans. Angefangen mit der Kirche, deren Jesusfigur Oskar magisch anzog, bis zum Polnischen Postamt, wo sein Onkel (und mutmaßlicher Vater) Jan eines der ersten Kriegsopfer wurde. Manchmal freilich übertrieben es Roy und Kostümbildnerin Uschi Haug mit ihrem Detailrealismus. Die bedrückende Atmosphäre aus Alltagsmief und Diktatur spürte man auch ohne braune Uniformen und Volksempfänger. Von laut plärrenden Naziliedern ganz zu schweigen.
 

Melina Schoefer - Foto © Sabine Haymann

Über die Darsteller dagegen konnte man sich nicht beschweren und nach zwei kurzweiligen Stunden war der Applaus fürs Ensemble groß. Da wirkten auch die zahlreichen erotischen Szenen – beispielsweise die Brausepulver-Episode mit Oskar und Hausmädchen Maria – amüsant und nicht peinlich. Neben Grosch, dem genial unangepaßten Monsterkind, konnten auch die Familienmitglieder bestehen. Glaubwürdig verkörperte Jens Peter Brose einen Vater, der sich rasant vom harmlosen Skatbruder zum Nazi entwickelte. Ralf Grobel gab den charmant-naiven polnischen Onkel Jan. Juliane Köster spielte Mutter Agnes, deren Gefühle zwischen Alfred und Jan hin und hergerissen schwankten. Eine lebenskluge Großmutter war Stefanie Stroebele, die wie Grosch die Handlung vorantrieb.
Gelungene Auftritte hatten auch Melina Schöfer als Clown Bebra – erst Außenseiter, dann Mitläufer – und Carsten Klemm als jüdischer Nachbar, der zum Opfer wurde. Daniel Große Boymann schließlich glänzte nicht nur in mehreren Nebenrollen, sondern auch als Sänger und Pianist. Ob Wagner-Parodie oder das bekannte Lied vom „Wirtschaftswunder“ – das und noch mehr beherrschte der gelernte Musicaldarsteller virtuos.
 
Weitere Informationen: www.schauspielbuehnen.de

Daniel Diekhans