Else Lasker-Schüler-Lyrikpreis
für die Dichterin Safiye Can
Unterwegs lese ich durchnässte Träume auf
und hänge sie an die Wäscheleine in meinem Herzen das Herz einer Nachtigall Safiye Can, aus: „Rose und Nachtigall“
Nach 20 Jahren hat die in Wuppertal ansässige Else Lasker-Schüler-Gesellschaft (ELS-Gesellschaft) erstmals wieder ihren Lyrikpreis verliehen, der bislang erst zweimal, nämlich 1994 an Thomas Kling und 1996 an Friederike Mayröcker vergeben wurde. Seitdem fehlten der internationalen Lyrikgesellschaft trotz ihrer 1.400 Mitglieder die notwendigen Mittel. Den mit 3.000 Euro dotierten Preis erhielt am 11. November die 1977 in Offenbach am Main geborene Dichterin Safiye Can.
Man habe sich bewußt für eine junge Poetin entschieden, die bereits zwei Lyrikbände („Rose und Nachtigall“ und „Diese Haltestelle habe ich mir gemacht“) veröffentlicht hat, hieß es bei der Preisverleihung. Ihre lyrische Bildsprache sei mit ihrer Magie und Suggestionskraft aus dem Spannungsfeld orientalischer und okzidentaler Kultur verwandt mit der der jüdischen Dichterin Else Lasker-Schüler, so die Juroren. Zentrales Thema in der Lyrik der Preisträgerin sei die verunsichernde Liebe, die das Lyrische Ich häufig zur Selbstvergewisserung treibe, kommentiert Hajo Jahn, der Vorsitzende der Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft, die Preisvergabe.
Der Rahmen war würdig, die Stadtsparkasse Wuppertal stellte ihr Forum zur Verfügung und lud im Anschluß zu einem geselligen Empfang, und man hatte hochkarätige Künstler für den musikalischen Rahmen verpflichten können. Das exzellente Saxophon-Orchester „Sax for Fun“ unter Thomas Voigt spielte in einer Uraufführung Kompositionen von Wolfgang Schmidtke, der im Auftrag der Gesellschaft zwölf ausgesuchte Gedichte von Else Lasker-Schüler einfühlsam vertont hatte. Die Jazz-Sängerin Than Mai Susann Kieu lieh den Liedern ihre hinreißende Stimme, die den Texten vor der gewaltigen Kulisse der Saxophone neues Gewicht gab.
Im Zentrum des Begleitprogramms zur Preisverleihung stand ein fesselnder Vortrag des international renommierten Germanisten und Volkskundlers Prof. Dr. Heinz Rölleke. So amüsant wie interessant baute der führende deutsche Märchenforscher vor aufmerksamem Publikum unter dem Titel „Geschwister: Poesie und Märchen“ eine tragfähige literarische Brücke zwischen den Genres. Wir werden Gelegenheit haben, Ihnen den Text des Vortrags in Kürze hier vorzustellen.
Von der Sinnhaftigkeit und Größe der Lyrik Safiye Cans, der an diesem Abend nur Zeit für ein Gedicht blieb, konnte man sich am folgenden Tag überzeugen, als sie im Rahmen des Programms „Spiel der Sinne“ Veröffentlichtes aus ihren beiden Gedichtbänden „Rose und Nachtigall“ und „Diese Haltestelle hab ich mir gemacht“ (Größenwahn Verlag, Frankfurt/M.) sowie Unveröffentliches aus dem kommenden Buchprojekt las. Ihr unverstellter Blick auf die Realitäten des Lebens, gepaart mit tiefem Humor und Empathie ist, zumal durch ihren brillanten Vortrag, ein Genuß.
Nicht da
Manchmal will man sich in die Badewanne legen
und ertrinkentrinkentrinken manchmal den Geist mit Alkohol betäubentäubentäuben manchmal möchte man einfach nichts sein sich in Luft auflösenlösenlösen. Im Fernsehen Schreckensbilder
mir ist so kaltkaltkalt ich erwärme mir die Hände mit Strophen und du bist nicht da nicht da. Dornröschen, Liebchen
Die Fender ist zertrümmert, Herzblatt
wenn du Nachhause findest bring Papers mit auch Mischtabak. Barbie ist vergiftet, Sahnehäubchen
werde mich hinlegen wenn du den Heimweg findest dreh den Gashahn ab. Mischpult ist nicht mehr, Spätzchen
tragisch, doch Unfälle passieren solltest du zur Wohnung finden darfst du die Wände neu tapezieren. Die Plattensammlung bringt’s nicht mehr
Alkohol ist auch alle, Täubchen der Verstärker – wie soll ich sagen ist in der Badewanne ersoffen. Und dein Motorrad, Liebchen
siehst du ja, wenn du kommst in der Mikrowelle steht Essen lass es dir schmecken. aus: „Rose und Nachtigall“
Safiye Can hat Philosophie, Psychoanalyse und Rechtswissenschaft an der Goethe Universität in Frankfurt am Main studiert und ihre Magisterarbeit über Friedrich Nietzsches Also sprach Zarathustra abgeschlossen. Can ist seit 2013 Kuratorin der Zwischenraum-Bibliothek für Literatur im Auftrag der Heinrich-Böll-Stiftung und seit 2010 Mitarbeiterin der Horst Bingel-Stiftung für Literatur in Frankfurt am Main. Sie ist aktives Mitglied der Vereinigung türkischsprachiger Schriftsteller Europas (ATYG), im Verband Deutscher Schriftsteller (VS), sowie im Verband deutschsprachiger Übersetzer (VdÜ). Mehrere Jahre war sie am Landestheater Burghofbühne Dinslaken Regieassistentin für ein Schauspiel nach Yüksel Pazarkaya, nachdem sie zuvor als Vertretungslehrerin in Offenbach am Main gearbeitet hat. Safiye Can leitet seit 2004 deutschlandweit Schreibwerkstätten an Schulen und ist ehrenamtliche Mitarbeiterin bei Amnesty International. Die, auch als literarische Übersetzerin tätige, Autorin studiert derzeit im Zweitstudium Germanistik und Kunstgeschichte an der Goethe Universität in Frankfurt am Main. Ihre Gedichte wurden in mehrere Sprachen übersetzt.
Weitere Informationen: http://www.safiyecan.de/
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