Ein Denkmal

„Eine Geschichte von Liebe und Finsternis“ von Natalie Portman

von Renate Wagner

Eine Geschichte von Liebe und Finsternis
(A Tale of Love and Darkness – USA/Israel 2015)

Drehbuch und Regie: Natalie Portman
Mit: Natalie Portman, Amir Tessler, Gilad Kahana, Alexander Peleg u.a.
 
 
Man kann sehr gut verstehen, was Natalie Portman mit Mitte 30 bewogen hat, als Regisseurin erstmals einen abendfüllenden Film zu gestalten, nachdem sie schon mit einem Kurzfilm und einer Filmepisode „geübt“ hat. Sie ist ein „Oscar“-gekrönter Spitzenstar Hollywoods, wird demnächst als „Jackie“ eine Biopic-Traumrolle verkörpern, hat viel Populäres auf der Leinwand gemacht und einiges Anspruchsvolle. Geboren in Jerusalem als Tochter eines Israeli und einer jüdischen Amerikanerin, hat sie nie aufgehört, sich als Jüdin zu fühlen, spricht auch perfekt Hebräisch.
Und wenn das Erinnerungsbuch des (auch bei uns viel gelesenen) israelischen Schriftstellers Amos Oz, „Eine Geschichte von Liebe und Finsternis“ sie so fasziniert hat, mag sie manches bewegt haben: Entweder, daß das Buch gar nicht verfilmt wird. Oder daß es verfilmt wird, aber nicht mit der Liebe und Sorgfalt, die sie ihm angedeihen lassen würde. Was bleibt einem da übrig? Man macht den Film selbst. In einer gewaltigen Kraftanstrengung als Drehbuchautorin, Regisseurin und Hauptdarstellerin.
Und weil ein solches Projekt nur mit Ambition und nichts sonst zu tun hat (Massen lockt man damit auf keinen Fall ins Kino), schien es ihr auch das einzig Richtige, den Film auf Hebräisch zu machen und nur mit Untertiteln in die Welt zu schicken. Auch wenn das die Sache für alle Nicht-Hebräisch-Sprecher (permanent mitlesen) ein wenig mühsam macht.
Amos Oz (den Nachnamen gab er sich gewissermaßen als Künstlernamen selbst) wurde 1939 in Jerusalem geboren. Die Großeltern väterlicherseits waren schon 1933 mit ihrem Sohn (Amos’ Vater) aus dem Baltikum nach Palästina ausgewandert, seine Mutter Fania kam 1934 aus dem damaligen Polen (heute Ukraine). Sie war eine seelisch schwer belastete Frau, und Natalie Portman spielt sie in aller Schönheit, aber in der wohl richtigen Attitüde andauernder Bedrücktheit (sie beging ja auch 1954 Selbstmord, was in dem Film irgendwie verschwimmend dargestellt ist).
 
Amos (der hinreißende Junge Amir Tessler) ist sechs, sieben Jahre, wenn der Film beginnt (wobei der alte Amos, gespielt von Alexander Peleg, auf seinem Weg durch die Straßen von Jerusalem gewissermaßen die Rahmenhandlung darstellt). Sein Vater (der ungemein ruhige, sympathische Gilad Kahana) ist ein Mann der Bücher, die Mutter, ist zuhause, und wenn man sie manchmal in einem Kreis lockerer, vergnügter Frauen sieht, ist sie die Ernste – so, wie sie unter den kritischen Blicken der Schwiegermutter leidet (während der Schwiegervater eher stille Milde ausstrahlt).
Man lebt in einem bescheidenen Haus mit bescheidenem Hinterhof, und wenn der Vater dort ein kleines Gemüsebeet anlegt, ist das eine wunderbare Sache für den Jungen. Natürlich geht er in die religiöse Schule, und natürlich gibt es Raufereien unter den Buben dort. Und tragisch ist es, wenn Amos bei wilden Turnaktionen im Park unabsichtlich einen kleinen Araberjungen verletzt und die Eltern erschüttert versichern, selbstverständlich für alle Arztkosten aufzukommen (die einzige englischsprachige Kurz-Sequenz). Das Leben ist nicht einfach im Gelobten Land.
Politik spielt ins Leben, man sieht die Szenen, wie die jüdische Bevölkerung von Palästina 1947 am Radio hängt, als in der UNO beschlossen wird, das Land zu teilen, was die Gründung des Staates Israel ermöglichte. Und danach gehören Schüsse auf der Straße, gehören Tote zum täglichen Leben – der Junge spielt Ball, der Ball rollt auf einen toten Körper am Boden.
Entscheidend an dem Film und sicher auch an dem zugrunde liegenden Roman ist die Beziehung Mutter – Sohn, ist ihre Gewohnheit, ihm Geschichten zu erzählen (die dann natürlich filmisch illustriert werden), in denen er sich selbst dann auch als Held sieht. Manchmal sind es traurige Geschichten aus ihrer Jugend (einmal sieht sie als junges Mädchen sehnsuchtsvoll auf ein Plakat, das für Palästina wirbt), manchmal Heldenhaftes, Erfundenes. Sie war es zweifellos, die das Erfinden von Literatur als Selbsthilfe für Amos etabliert hat, die ihm gezeigt hat, daß man aus schwerer Wirklichkeit in Traumwelten flüchten kann.
Das alles ist schön, wird langsam und liebevoll erzählt, nimmt trotz einiger Dramatik aber nie jenes Tempo auf, erzielt nie jene innere Spannung, die bei einem eineinhalbstündigen Film von der Leinwand kommen müsste. So betulich war diese Jugend im bedrohten Land ja doch nicht.
Schön und traurig das Ende, wenn Amos’ Vater, unverkennbar er selbst, plötzlich auf einer staubigen Straße geht, ihm ein Traktor entgegenkommt und er zu dem schlaksigen Halbwüchsigen, der am Steuer sitzt, fragend „Amos?“ sagt. Amos war nach dem Tod seiner Mutter in einen Kibbuz gegangen. Daß er sein Leben als Erzähler ihr verdankte – der Film setzt ihr, nach Oz’ eigenem Roman, ein zweites Denkmal.
 
 
Renate Wagner