Stolz trifft Stolz trifft Stolz

Schirin Khodadadian inszeniert „Nathan der Weise“ in Wuppertal

von Martin Hagemeyer

Stefan Walz, Lena Vogt, Julia Reznik - Foto © Klaus Lefebvre


Stolz trifft Stolz trifft Stolz
 
Nathan der Weise.
Ein dramatisches Gedicht in fünf Aufzügen von Gotthold Ephraim Lessing.
Inszenierung von Schirin Khodadadian
 
Beim Wuppertaler „Nathan“ begegnen sich die Religionen als starke Charakterköpfe
 

Regie: Schirin Khodadadian – Ausstattung: Carolin Mittler - Musikalische Leitung: Johannes Winde – Dramaturgie: Susanne Abbrederis – Regieassistenz: Tim Wittkop – Inspizienz: Charlotte Bischoff

Besetzung: Thomas Braus (Sultan Saladin) - Philippine Pachl (Sittah, dessen Schwester) - Stefan Walz (Nathan, ein reicher Jude in Jerusalem) - Lena Vogt (Recha, dessen angenommene Tochter) - Julia Reznik (Daja, eine Christin) - Lukas Mundas (Ein junger Tempelherr) - Miko Greza (Ein Derwisch / Ein Klosterbruder) - Alexander Peiler (Der Patriarch von Jerusalem)

Es wäre schön. Es ist nicht so: Man muß sich vielleicht erinnern lassen, daß  „Nathan der Weise“ sich als Utopie lesen läßt. Lesen zunächst, weil Lessing mit einer Aufführung seines Stücks zeitweise gar nicht gerechnet hatte. Gut zu wissen ist es auch für die Bühne, wie die des Theaters im Engelsgarten beim Schauspiel Wuppertal, das jetzt eine aktuelle Inszenierung von Schirin Khodadadian zeigt. 
Daß das Stück nicht gespielt würde, kann man gerade dieser Tage ja nun nicht sagen: Religiöse Konflikte sind unser täglicher Begleiter; in Hamburg, München, Berlin und überall dazwischen steht daher Nathan auf dem Spielplan. Toleranz wabert da schnell im Kopf herum, kluge Ratschläge, eine vage erinnerte Ringparabel, die irgendwie auf eitel Sonnenschein hinausläuft. Oder? So einfach ist es nicht – auch nicht so klar. Und die Wuppertaler Version trägt zur Klärung wenig bei, eher zur Verwirrung. Vielleicht ist das aber ganz gut.


Miko Greza, Stefan Walz - Foto © Klaus Lefebvre
 
Dieser „Nathan“ lädt im Ganzen nicht dazu ein, ihn allzu kulinarisch zu goutieren. Schon die Bühne ist abstrakt und verführt kaum, sich darin zu verlieren. Auch nicht für die Schauspieler vielleicht – agieren müssen sie auf einer rotierenden Riesenscheibe, silbrig-kühl wie alles, was Carolin Mittler zur Ausstattung bringt. Selbst für die Palme gilt dies, sonst das einzig konkretere Element, das mit seinem Orient-Touch auch etwas geographische Verortung bietet. Ort und Zeit (das leuchtet ein, gerade für ein „Stück der Stunde“) sind sonst ja zweitrangig.
Und ein Stefan Walz als Nathan bedient schon physisch nicht die gängigen Vorstellungen vom Weisen, kräftiger Hüne wie er ist und mit kehliger Stimme, die er heute überdies auch erhebt, um wie andere Rockklassiker zu singen. Das hilft dabei, seine Figur mehr als Kämpfer zu verstehen denn als Gelehrten (wozu das „weise“ ja verführen könnte). Schließlich ist die Ringparabel Nathans listige Antwort auf den Versuch von Sultan Saladin, ihn auf die Probe zu stellen: Welche Religion er für die wahre halte, hat der Muslim den Juden gefragt, und der verfiel schlau auf den Schlachtplan: „Nicht die Kinder bloß / speist man mit Märchen ab.“
 
Die Begegnung der Religionen: Schirin Khodadadian inszeniert sie insgesamt als Kräftemessen, freilich maßvoll und mit konstruktivem Ausgang. Seine Anführer sind drei starke Charakterköpfe, und es ist spannend, sie so kennenzulernen: Lukas Mundas gibt den Tempelherrn als jugendlichen Held und Draufgänger, der sich ziemlich blöd vergaloppiert, sobald er nicht mehr den Rock des Kreuzzüglers trägt. Bringt er doch Nathan in ernste Bedrängnis mit dem Hinweis an den Patriarchen, möglicherweise gebe es da einen Juden, der ein Christenmädchen aufgezogen habe. Und Thomas Braus ist ein durchaus charmanter Saladin, als Machthaber eher vital als dominant, der auch schon mal schmunzeln läßt beim Beiseitesprechen über Nathan: „Schachern will mit mir schon meine Schwester.“ Wenn er den schlauen Fuchs empfängt, mag sich der Sultan Herrscher wähnen, so weit er oben steht auf der schrägen Scheibe. Aber sie dreht sich ja.


Lukas Mundas, Stefan Walz - Foto © Klaus Lefebvre
 
So sind die Rollen und Fronten denn geklärt zur Pause, und fast möchte man sagen: Was dann kommt, hat aber schon ein paar Längen. Abgehandelt ist, worum es geht, verkündet die Empfehlung der Parabel: Jeder Erbe des Ringbesitzers möge sein Exemplar für das wahre halten und sich seiner dann auch bitte würdig erweisen. Stolz trifft Stolz trifft Stolz: Als Kurzfassung religiöser Konfliktlagen scheint das in der Tat eine kluge Analyse. Aber: Teil zwei bringt da kaum mehr Erkenntnis. Lessing mutet auch viel zu an verwirrenden Enthüllungen: Recha ist nicht nur Christin statt Jüdin, sondern auch Schwester des Tempelherrn, der sich eigentlich gerade in sie verlieben wollte, und Saladin obendrein beider Onkel. Hätte man da statt Länglichkeit (drei Stunden insgesamt) nicht etwas entzerren können?
 
Vielleicht aber gut so. Die über-süßliche Auflösung mag ja schon bei Lessing gerade hinweisen aufs Utopische. Wenn sich am Ende alle mit fast komischer Gestik in den Armen liegen, dann will's genau so ja auch der Dichter – wörtlich, laut Regieanweisung: „Unter stummer Wiederholung allseitiger Umarmungen fällt der Vorhang.“ Weniger als Happy End wird all das heute verstanden denn als Aufforderung – flapsig gesagt: Glaubt euer Ding, aber reißt euch am Riemen! Und da mag es dramaturgisch sogar das Beste sein, die eh unwahrscheinliche Handlung noch etwas zu dehnen, eben weil die finale Harmonie ja auch unwahrscheinlich ist. Als wollten Lessing und die Inszenierung sagen: Um im wirklichen Leben Frieden zu finden, reichen keine komplizierten Verwandtschaftsverhältnisse.

Nächste Vorstellungen: 2., 10.12.2016, 19.30 Uhr.
 
Weitere Informationen: www.schauspiel-wuppertal.de