Kein Film, den man sich im Flugzeug ansieht

„Sully“ von Clint Eastwood

von Renate Wagner

Sully
(USA 2016) 

Regie: Clint Eastwood
Mit: Tom Hanks, Laura Linney, Aaron Eckhart u.a.
 
In den Lüften kann man gut dramatische Filme drehen – von „Airport” gab es eine ganze Serie, attraktive Piloten, die schöne Stewardessen liebten, Passagiere, die ängstlich, seltsam, interessant oder bedrohlich waren, und immer „passierte“ etwas Dramatisches während des Fluges bis zum Happyend, für das die Helden an den Steuerknüppeln sorgten (damals schaltete man noch nicht den Autopiloten ein und ließ die Computer ihre Arbeit tun…).
Üblicherweise steigen heutzutage alle Beteiligten (mit den geringen Ausnahmen der „Flugangst“-Geschlagenen) ziemlich sorglos in die Flugzeuge, denn in 99,9 Prozent der Flüge kommt man problemlos vom Ausgangsflughafen zum Ziel. Aber eben nicht immer, und dann sind die Piloten gefragt. So wie Chesley Sullenberger am 15. Januar 2009, als wenige Minuten, nachdem er vom Flughafen New York LaGuardia gestartet war, ein Vogelschwarm in die Triebwerke geriet – und der seine 155 Passagiere nur retten konnte, indem er sein Flugzeug in einem Akt der „Notwasserung“ in den Hudson River setzte. Eine große Leistung – aber das allein ergäbe noch keinen Film.
 
Doch Clint Eastwood als Regisseur interessierte mehr an der Geschichte, er bekümmerte sich nämlich um das, was „Sully“ – so der allzu niedliche Spitzname des Piloten, der, in Zusammenhang mit Tom Hanks als Hauptdarsteller, am Ende gar den Eindruck erweckt, man habe es mit einer netten Tiergeschichte zu tun – danach geschah. Jeder normale Mensch würde diesem Piloten für seine Aktion höchste Hochachtung aussprechen, gratulieren und mit den Passagieren erleichtert sein. Aber ganz so einfach lief die Sache nicht ab – und als Zuschauer kommt man nicht um das Gefühl herum, daß es schlicht und einfach eine Gemeinheit war, was man Sullenberger dann antat (und was Tom Hanks die Gelegenheit gibt, Verwirrung und Leiden prächtig auf die Leinwand zu bringen und vor den Augen der Zuschauer in seiner Erschütterung geradezu zu altern).
Natürlich ging es um Geld, um Geld nämlich, das die Versicherungen nicht zahlen wollten. Also wurde der Held zum Sündenbock, der angeblich eine falsche Entscheidung getroffen hat – er hätte durchaus zum Flughafen zurückkehren können, heißt es. Und man zerrt ihn vor Gericht, wo der gute Mann verständlicherweise erschüttert ist: Er sei seit 42 Jahren Pilot, sagt er, „it has been my life“. Und er hat in einer Notsituation in Sekunden die für ihn einzig mögliche Entscheidung getroffen, um nicht das Flugzeug, sondern die Menschen zu retten.
 
Man leidet mit Sullenberger – da ist die Medienhetze, wie man sie kennt (mit ihren gnadenlosen Verhöhnungen auch), da ist die loyale Gattin (Laura Linney), die gemeinsam mit der Familie schwer unter dem Verhalten der Umwelt leidet, da sind Sullys eigene Alpträume, daß er in die Stadt New York hineinfliegt… Da ist der loyale Co-Pilot Jeff Skiles (Aaron Eckhart), der in der Verhandlung ganz auf seiner Seite ist: Sully landete nicht „in the Hudson, but on the Hudson“, stellt er klar, und wenn er den „damned rules“ gefolgt wäre, „we all would be dead“…
Clint Eastwood will einerseits eine Heldengeschichte erzählen, denn Sullenberger wurde nicht nur durch seine Leistung, sondern auch durch den Prozeß, den er durchstand, ein solcher. Andererseits drehte er auch einen hoch kritischen Amerika-Film, in dem er die Ebenen des Geschehens wild durcheinander schneidet – die Ironie kommt auch nicht zu kurz, wenn ein Barkeeper Sully erklärt, man habe einen Drink nach ihm benannt, „The Sully“ – „With a splash of water, haha“…
Tom Hanks als Sully kämpft hier um seine Karriere, um seine Reputation, um seine Existenz: Das ist geradezu schmerzlich mitanzusehen. Daß die Geschichte ihr Happyend hatte, daß man am Ende zugestand, daß es keine bessere Lösung gab, Menschenleben zu retten – das hätte man auch erkennen können, ohne Sullenberger und seine Familie durch die Hölle zu schicken.
Im übrigen: Natürlich ist das auch kein Film, den man sich im Flugzeug ansieht. Die Szenen des Unfalls, des Evakuierens der Fluggäste im Wasser… da kommt man schon ins Grübeln.
 
 
Renate Wagner