Ja, so ist das Leben.

„Liebe möglicherweise“ von Michael Kreihsl

von Renate Wagner

Liebe möglicherweise
(Österreich 2016)

Drehbuch und Regie: Michael Kreihsl
Mit: Devid Striesow, Silke Bodenbender, Norman Hacker, Otto Schenk, Christine Ostermayer, Gerti Drassl, Edita Malovcic u.a.
 
Auf die Spuren des Alltags setzt sich Regisseur Michael Kreihsl in seinem Film „Liebe möglicherweise“, der eigentlich zu Unrecht als „Episodenfilm“ bezeichnet wird: Im Gegensatz zu den Patchwork-Filmen, die die Amerikaner lange Zeit einzig und allein mit dem Ziel gemacht haben, möglichst viele Stars auf einem Fleck zu verkaufen, hängen hier die einzelnen Handlungsstränge ziemlich deutlich zusammen – nur die Geschichte der Mutter, die im Spital über das Schicksal ihres 14jährigen Sohnes wacht, ist mit der Haupthandlung nicht verbunden, dafür ist das Spital als Schauplatz in mehrerer Hinsicht präsent.
Und das Ganze spielt in Wien, wenn auch in keinem spektakulären Habsburg / Ringstraße / Tourismus-für-Hollywood-Movies-Wien, sondern auf den Straßen, in der U-Bahn, rund um die Josefstadt, in Discos und Kaffeehäusern, privaten Wohnungen, im Spital. Das echte Leben sozusagen.
Und die Menschen, die vorgestellt werden, treten nicht mit der Künstlichkeit von „interessant“ gemachten Filmfiguren auf – ihre Alltäglichkeit ist bestrickend (bis gelegentlich zur Langeweile!), und „Liebe“ ist auch nicht, obwohl ganz zu Beginn ein Pärchen, das weiter keine Rolle spielt, in der U-Bahn schmust, natürlich nicht die große, romantische Liebe, die Berge versetzt. Sie funktioniert als Kitt im Alltag, und das tut sie über Generationen (oder auch nicht): Dankenswert, daß Michael Kreihsl, der auch sein eigener Drehbuchautor ist, die starke Präsenz der älteren Generation in unserer Gesellschaft einbezieht, ebenso wie eine aufmüpfige, fordernde, stets schlecht gelaunte Jugend – und dazwischen versucht das „Mittelalter“, einigermaßen durchs Leben zu kommen, gelegentlich auch mit der resignierten Frage, ob nicht ohnedies alles schon vorbei sei und man nur auf den unweigerlichen Abstieg wartet.
 
Von Michael (Devid Striesow, hier sehr gut als Alltagstyp präsent) erfährt man nur, daß er seinen Job gekündigt hat, weil er ihm keinen Spaß machte, und auch sonst ist er offenbar, ganz unpathetisch, in Aufbruchsstimmung, oder geht man heutzutage mit einer Zufallsbekanntschaft, die man an der Seite eines Freundes kennen gelernt hat, so ohne weiteres auf der Stelle ins Bett? Edita Malovcic (die wohl noch einige Zeit ihre Fehlbesetzung als filmische „Rössl“-Wirtin abarbeiten muß) spielt mit lockerer Selbstverständlichkeit diese Leila (der Name soll vielleicht ihrem leicht exotischen Aussehen Rechnung tragen), Schauspielerin am Theater in der Josefstadt, die mit leichtem Herzen und leichten Händen von einem zum nächsten eilt, ohne sich innerlich zu binden. An sich hat Michael sie seinem Freund, dem Fotografen Roland (Norman Hacker, ein düsterer, belasteter Typ) weggefischt, was diesen zwar ein wenig ärgert, aber nicht wirklich erschüttert.
An diesem Roland ist die erste „alte“ Figur des Films festgemacht, der Vater im Heim, der den Sohn immer wieder beansprucht, ihm seine eigenen Erinnerungen erzählt, ihn mit seinen Ängsten und Nöten belastet, wenn er etwa darauf besteht, eine Pistole zu kaufen und zu Schießübungen zu gehen, damit er sein Leben nach Wunsch selbst beenden kann. Otto Schenk liefert da in sturer Beharrlichkeit eine Meisterleistung, auch wenn er ganz er selbst ist.
Die andere „Alte“ ist eine Tante in Italien, zu der Michael mit seiner rebellischen Tochter (Jana Naomi McKinnon) zu Besuch hinfährt, und es ist herzzerreißend, wie Christine Ostermayer da im Rollstuhl festgeschnallt sitzt, mit leeren Augen bittet, „heimgenommen“ zu werden, und natürlich zurück gelassen wird… beklemmend auch in der alltäglichen Selbstverständlichkeit eines solchen Schicksals.
Ja, und dann gehört zu Michaels Seitensprung noch eine betrogene Ehefrau, die Ärztin Monika (Silke Bodenbender), die dies nicht hinnimmt, den fassungslosen Gatten hinauswirft und sich dem zögerlichen Roland an den Hals wirft – mit einem Hang, ihr Schicksal weinerlich zu zergliedern, was aber in unserer Welt auch nicht selten anzutreffen ist.
Eigentlich hat Michael Kreihsl, der zwischen Liebe und Nicht-Liebe das Alltägliche zeigt, nur in einen Strang der Geschichte quasi filmisch-dramaturgisch einen Knalleffekt eingefügt: Die Mutter, deren Sohn im Krankenhaus liegt (Gerti Drassl mit ihrer Fähigkeit zur intensiven Verzweiflung), wendet sich in ihrer Not dem Nächsten zu, der ihr zuhört, einem Schwarzafrikaner (Francis Okpata), der ein Ohr für ihre Sorgen und Verzweiflungen hat. Bis man am Ende erfährt, warum.
Der Film webt seine Schicksale durch ruhige eineinhalb Stunden, vielleicht zu ruhig, um wirklich intensiv unter die Haut zu gehen. Andererseits entringt sich dem Kinobesucher der Seufzer der Erkenntnis: Ja, so ist das Leben. Zumal der Regisseur keine Gnade kennt – das Ende heißt für die meisten, die man da kennen gelernt hat, ja doch: Einsamkeit.
 
 
Renate Wagner