Ein klassischer Entwicklungsroman

Robert Seethalers „Der Trafikant“ am Wiener Volkstheater

von Renate Wagner

© Elisabeth Haider / Volkstheater
Wien / Volkstheater:
Der Trafikant
von Robert Seethaler

Premiere am 2. Dezember 2016 im Volx/Margareten  

Als er noch Nebenrollen in Wiener Theatern spielte, hat man Robert Seethaler (trotz beträchtlicher Körpergröße) nicht so richtig wahr genommen. Seit er Romane schreibt, ist das anders. Einen davon, „Der Trafikant“ aus dem Jahre 2012, hat er nun für das Volkstheater bearbeitet. In den Alternativ-Raum Volx paßte die Premiere wohl besser hin als in die Bezirksspielstätten, in die der Abend wandern wird.
Denn wieder einmal wird dem Publikum die „unbewältigte Vergangenheit“ in aller Dichte hingeknallt. Schon zum zweiten Mal in dieser Spielzeit – gleichzeitig läuft im Haupthaus ja auch noch „Alles Walzer, alles brennt“ von Christine Eder, eine volkshochschulartige Revue österreichischer Geschichte zwischen Habsburg und Hitler, unter besonderer Berücksichtigung des Roten Wien.
Seethaler ging sein Thema weniger allgemein an, vielmehr nahm er sich ein konkretes Schicksal vor. Tatsächlich hat er einen klassischen Entwicklungsroman geschrieben. Darin kommt ein „Greenhorn“ oder „Youngblood“, wie man in amerikanischen Romanen sagen würde, aus der tiefsten Provinz in die große Stadt, und da geht es gewaltig los mit seiner Bewußtwerdung auf allen Ebenen. Wobei der Autor dem Franz Huchel vom Attersee besonderes Glück und besonderes Leid beschert.
 
Das Glück besteht darin, daß die Trafik des Otto Trsnjek, in der er arbeiten darf, in der Währinger Straße so nahe an der Berggasse liegt, daß kein Geringerer als Sigmund Freud (aller Welt als der „Teppendoktor“ bekannt) hier vorbei kommt, um seine Zigarren (er starb bekanntlich als Kettenraucher) und seine Neue Freie Presse zu kaufen. Der junge, nach dem Leben, nach Erfahrung und nach Wissen sehr begierige Franz verwickelt den großen Mann ohne Scheu in Gespräche, „besticht“ ihn auch schon mal mit einer besonderen Zigarre, und lernt aus allem, was der halb mürrische, aber letztlich immer freundliche Herr ihm zu sagen hat. Zum Beispiel schreibt der Franz alle seine Träume auf… und soll sich sagen lassen, daß mit der Liebe nicht immer alles so glatt läuft, wie man es sich wünschen würde.
Das besondere Pech des 17jährigen Franz besteht darin, daß er im Jahr 1937 nach Wien kommt und die Weltgeschichte für ihn – und auch für Otto Trsnjek – die letale Lehrmeisterin wird. Die Nazis eliminieren den Otto als nicht konform und den Professor Freud als Juden und letztendlich auch Franz selbst, wenn er sich in seinem geraden Wesen nicht verbiegen läßt.
 
Einen Roman zu dramatisieren, ist eine Sache, wenn der Autor selbst es tut, die erzählende Struktur vielfach beibehaltend (wichtig sind dabei die Briefe zwischen der Mutter am Attersee und dem Sohn in Wien), dann kann man nur akzeptieren, daß er es so will und nicht anders. Und die Geschichte überzeugt ja auch an sich so sehr, daß Widerborstigkeiten, die durch die Regie anfallen, letztlich nicht so sehr stören.
Obwohl Sebastian Schug (in einer leicht chaotischen Ausstattung von Nicole Zielke) schon absichtsvoll und angeberisch zu viel tut (etwa bei der nicht enden wollenden Schreiorgie, wenn Franz bei der Gestapo am Morzinplatz auf der Suche nach dem verhafteten Otto Trsnjek vorstellig wird), wenn da ein wüster Anfang des Stücks inszeniert wird, bei dem nur der Kenner des Romans Chancen hat, sich auszukennen (daß Franz am Ende vor der Gestapo die Hose des ermordeten Otto als Fahne hochzieht und diese dort flattert, wird zu Beginn mit einem Ventilator „inszeniert“), wenn da das Ende, statt es hart und stark dabei bewenden zu lassen, daß Franz abgeführt wird, noch in einen sentimentalen „Für immer jung“-Song mündet und solcherart verschenkt wird (oder als Beruhigung für das Publikum der Bezirke später, für die, die es über die Pause hinaus geschafft haben?) – das sind Schönheitsfehler, die durch Qualitäten aufgewogen werden.
 
Etwa durch die wilde Rollenverteilung, wo alle außer dem Franz vieles spielen, am äußersten ist dabei Lukas Watzl gefordert, der nicht nur alles können muß, sondern auch bemerkenswert kann, ein virtuoser Verwandler, der mit der Gitarre auch noch für stimmungsvolle musikalische Untermalung sorgt. Klaus Huhle beeindruckt in bemerkenswerter Maske als Sigmund Freud, spielt aber auch noch anderes, ebenso wie Stefan Suske, der der wackere, aufrechte, kriegsversehrte Trafikant aus Leidenschaft ist, detto Volk, wo es gebraucht wird. Für Elzemarieke de Vos gibt es nur zwei Rollen, die Mutter und die böhmische Geliebte von Franz, aber diese differenziert sie prächtig.
Und der Franz in seiner ganzen jugendlichen Geradheit, am Anfang entsprechend naiv, am Ende so wissend, wie man es nach seinen Erfahrungen sein kann, ist das Beste, was man von Nils Rovira-Muñoz bisher gesehen hat, man könnte sich die Rolle kaum anders, besser vorstellen als in der schlaksigen Selbstverständlichkeit, mit der er sie da auf die Bühne stellt. Großer Jubel. Das Bezirke-Pubikum muß allerdings bei dieser Anforderung tief durchatmen.
 
Die weiteren Vorstellungen finden in den Außenbezirks-Spielstätten des Volkstheaters statt
 
Renate Wagner

Eine Übernahme aus dem Online-Merker, Wien mit freundlicher Erlaubnis der Autorin