Ruhr-Lyrik

Gedichte von Sigi Domke und Hubertus A. Janssen + eine Anthologie

von Frank Becker

 

         

 


 
 

Ruhr-Lyrik
 
Was verbindet sich für Otto Normalverbraucher, zumal aus der Generation Ü 50 mit dem Begriff „Ruhr-Gebiet“? Nach klar: Zechen, Kokereien, Stahlwerke, Adolf Tegmeier, Schimmi im Krimi und natürlich Fußball. Und was nicht? Lyrik. Damit wird jetzt aufgeräumt.
Der Verlag Henselowsky Boschmann wartet in seinem dem „Revier“ zwischen Ruhr, Emscher und dem Rhein-Herne-Kanal verpflichteten erlesenen Programm u.v.a. mit drei Lyrik-Bänden auf, die eben das transportieren: Lyrik. Sigi Domke tut es in „Erster Kuss und dritte Zähne“ heiter und gerne auch mal in Mundart, Hubertus A. Janssen, nicht weniger humorvoll, tut es naturverbunden in seinem Buch „Der Lurch hält durch“.
 
„Grün ist das Schwarze“ - Das kleine Gedichtbuch des Ruhrgebiets
- Joachim Wittkowski (Hg.)
Reihe: Poesiealbum Ruhrgebiet
Die Illustration auf dem Umschlag und eine im Buch stammen von H.D.Gölzenleuchter, die anderen von Michael Hüter, Paul Reding, Karl Arnold Kortum, Alber Kelterbaum, Heinz Raasch und Otto Wohlgemuth
© 2015 Verlag Henselowsky Boschmann, 96 Seiten, gebunden, 9,90 €
ISBN 978-942094-50-4
 
Joachim Wittkowski zieht die Grenzen des Reviers etwas weiter, indem er die Ränder des Bergischen Landes (das tut übrigens auch Janssen) und den Niederrhein eingemeindet, was ihm u.a. die Möglichkeit eröffnet, auch den unsterblichen Hanns Dieter Hüsch in seine Anthologie „Grün ist das Schwarze“ aufzunehmen. Und sicher hat er damit sogar Recht. Er versammelt in seinem Buch Texte von Fred Endrikat, Heinrich Kämpchen, Georg Breuker, Philipp Wittkopp, Herbert Grönemeyer, Ludwig Kessing, Paul Zech, Max von der Grün, Otto Wohlgemuth, Ilse Kibgis, Klaus-Peter Wolf, Friedrich Adolph Krummacher, Josef Voß, Hugo Ardelt, Hans Küpper, Viktor Kalinowski, Adolf Wurmbach, Hugo Ernst Käufer, Paul Polte, Johannes Esser, Erich Sieburg, H.D. Götzenleuchter, Harald Hartung, Nicolas Born, Reinhard Döhl, Ernst Meister, Ralf Thenior, Hanns Dieter Hüsch, Liselotte Rauner, Fritz Eckenga, Gerhard Tersteegen, Josef Reding, Paul Reding, Heinrich Peuckmann, Ferdinand Schulz, Willem Täpper, Kurt Küther und Werner Streletz.
Es sind Bekenntnisse zu Leben und Heimat, wenn auch manchmal bitter und in heftiger Auseinandersetzung mit der Arbeitswelt des Reviers, so doch ehrlich, aufrecht und unverklärt: „Du starrst im Rauch der Zechen, / Ein graues Häusermeer, / Und trägst den roten Himmel / Wie fließend Eisen schwer.“ (aus Adolf Wurmbachs „Die schwarze Stadt“) – oder: „Wie ein schwarzes Ungeheuer / Atmet fauchend die Fabrik. / Aus dem schreckenden Gemäuer / Glotzt der Arbeit trüber Blick.“ (aus Viktor Kalinowskis „Die Fabrik“).
 
 „Die Anthologie „Grün ist das Schwarze. Das kleine Gedichtbuch des Ruhrgebiets“ lädt zu einer literarischen Entdeckungsreise ein. Denn noch immer ist die Literaturlandschaft Ruhrgebiet unvollständig vermessen. Vielfach richtet sich der Blick auf die Arbeiter- und Industrieliteratur oder auf eine lokalkolorierte „Ruhrgebietsliteratur“. Doch die Literatur im Ruhrgebiet läßt sich nicht darauf reduzieren. Diese Anthologie spannt daher einen Bogen vom Arbeitergedicht bis zur modernen Poesie, von kabarettistischer bis zu religiöser Lyrik.“ (Verlagstext)

 
Sigi Domke – „Erster Kuss und dritte Zähne“
Ruhrpott-Gedichte für jede Gelegenheit
Reihe: Poesiealbum Ruhrgebiet - Illustriert von Michael Hüter
© 2015 Verlag Henselowsky Boschmann, 96 Seiten, gebunden, 9,90 €
ISBN 978-942094-51-1

Sigi Domke nimmt die hemmungslos knüttelnde Gelegenheitsdichtung urkomisch auf die Schippe. „Ein Ruhrpott-Gedichtband für jede Gelegenheit, wer braucht so etwas?!“, fragt der Verlag und gibt auch gleich die Antwort: „Im Prinzip wir alle! Schließlich haben wir hier im Revier dauernd was zu feiern, und da ist natürlich ein Gedicht genau das, was bei solchen Anlässen erwartet wird. Und so viel Zeit, immer selbst etwas zu schreiben, hat keiner, es sei denn, er ist Schreiber von Beruf, so wie der Autor. Wer also einen zum Besten geben will, der kann sich hier bedienen! Einfach nur lesen und sich amüsieren …“
 
Und Sigi Domke selbst:
„Liebe Leserinnen und Leser, liebe Aufsagende,
„Schreib doch ma wat für Tante Enne ihrn neunzichsten Geburtstach, die freut sich kaputt!“ Wie oft ham wir diese Aufforderung vernommen! Egal, ob wir gez Schreiber sind oder, wie die meisten, Nich-Schreiber. Und vortragen sollten wir dat Verzapfte dann auch noch! Die „Tante Enne“ kann natürlich ersetzt werden durch en anderen Verwandten oder ein ausm Freundeskreis, und der „Geburtstach“, der könnte auch en Hochzeits- oder Todestach oder sonstwat sein. Aber wer, bitteschön, kann sich für so viele Anlässe, die et nu ma gibt, ständig wat ausse Finger saugen?! Und lustig soll et auch noch sein! Dat stresst! Oft haben wir gar keine Lust mehr, da überhaupt hinzugehn.
Und da kommt dieset Buch wie gerufen! Ich hab mir die Mühe gemacht und mir praktisch en Wolf gedichtet, und als Ergebnis findet ihr für fast alle Gelegenheiten en passendet Gedicht. Mehr Service geht nich! Na gut, vortragen müsst ihr et noch selber, da kann ich nich extra für vorbeikommen. Ich kenn die Tante Enne ja auch gar nich.
Dat Ganze is jetz allerdings sprachlich auf unsere Region beschränkt, dat muss ich dazusagen. In Schwaben funktionieren die Reime nich. Da kucken die nur doof. Aber ich mein, im Ruhrgebiet gibt et ja nu wirklich genug zu feiern! Dann ma los!
Viel Spaß wünschen der Autor, Sigi Domke, und der Illustrator, Michael Hüter.“
 
Da schließe ich mich voll inhaltlich und mit einem Domke-Vierzeiler für Fritz Eckenga an:
Isset schwarz und gelb mit Streifen
Isset entweder ne Biene
Oder die Borussia-Elf
Is denn sowat zu begreifen?!
 
 
Hubertus A. Janssen – „Der Lurch hält durch“
Gedichte aus dem landwirtschaftlichen Feuilleton und querfeldein
Illustriert von Peter Menne - Mit einem Nachwort von Jens Dirksen
Reihe: Poesiealbum Ruhrgebiet
© 2015 Verlag Henselowsky Boschmann, 96 Seiten, gebunden, 9,90 €
ISBN 978-942094-49-8

Die köstlichen Gedichte Hubertus A. Janssens haben der Verlag und Jens Dirksen so trefflich charakterisiert, daß ich, anstatt um eigenes Unvolkommenes zu ringen, zitiere:
Hubertus A. Janssen, Wortspieler, gelernter Münsterländer und westfälischer Kosmopolit, hat für literarische Notfälle immer einen Koffer dabei, angefüllt mit Versen. Seinem Motto „Kürzer ist länger“ folgend, fertigt er feine Verse oft mit spitzer Feder. Man sieht es geradezu, wie er die Wörter greift, wie er sie anschaut, anspricht, von allen Seiten, und dann plötzlich springen lässt wie das Reh am See: „In diesem Schnee denk ich an Tee, das Reh an Klee.“ Kurzum: Ein Wortmusiker. (Verlagstext)
 
„... All den Verhunzern aber, die von Glück sagen können, daß fortgesetzter Mißbrauch von schutzbefohlenen Wörtern immer noch kein Straftatbestand ist, macht Hubertus A. Janssen vor, wie schön, wie ganz anders, wie schöpferisch man mit der Sprache umgehen kann. Janssen jongliert und wendet die Wörter, ja er läßt sie vor den Lesern kleine Pirouetten drehen. (...) Wenn man auf Wörter wie „Krötenflöte“ oder Sätze wie „Neulich traf ich eine kleine Randerscheinung“ im Lesen lauscht, dann weiß man: Der Augen- und Ohrenweidenpfleger Hubertus A. Janssen hext zusammen, was nicht zusammengehört – lauter Wesen, die ihren Aberwitz entfalten, sobald man sie zusammen hört. Einmal telefonierte ich aus dem Frankreich-Urlaub mit dem Dichter, der gerade dabei war, in Polen diversen Inspirationen durch Dohlen und Fohlen nachzujagen. Gleichwohl mochte ich ihm nicht vorenthalten, daß zu den Partnerstädten der bretonischen Bezirksmetropole Quimper nicht nur das irische Limerick gehört, sondern auch – Remscheid. Und kurz nach meiner Mutmaßung, es werde wohl nie einen Limerick für Remscheid geben, weil sich darauf so gar nichts reimt, entstand die „Taube im Rennkleid“.
Die disparaten Dinge, auf die sich Janssen im Paar, überkreuz oder auch mit wonniger Umarmung einen Reim macht, werden durch seine Gedichte zu Brüdern, sie verschwistern sich. Es entsteht eine sinnfällige Einheit der Vielfalt, turbulenteste Gegensätze eingeschlossen. Und vielleicht ist es dieser sprachliche Vorschein einer Welt, die so viel wünschenswerter erscheint als die wirkliche, die in Janssens Gedichten neben der großen Heiterkeit auch einen Hauch von Glück verspüren läßt.“ (aus dem Nachwort von Jens Dirksen)
 
Der Lurch hält durch

Abendröte.
Die Erdkröte
spielt
zart
Flöte.
Spielt
lang Flöte.
Krötenflöte
quakt
die Kröte.
Quakt durch
bis zur
Morgenröte.
 
Noch Fragen? – Die drei Bücher gibt es einzeln oder aber in einem attraktiven soliden Schuber zu dritt – und in in einer limitierten, von allen dreien signierten Vorzugsausgabe. Ich finde: das Geschenk für jeden echten Ruhri.
 
Weitere Informationen:  www.vonneruhr.de