Heia Safari!

Fragmente des Deutschen Kolonialismus. Ausstellung im Deutschen historischen Museum Berlin

von Johannes Vesper

Heia Safari!

Fragmente des Deutschen Kolonialismus.
Ausstellung im Deutschen historischen Museum Berlin
 
Mit dieser Ausstellung entdeckt das Deutsche Historische Museum (DHM) die deutsche Kolonialgeschichte. Bisher habe sie nicht die ihr gebührende Beachtung gefunden, sei sie nicht ausreichend thematisiert worden und werde jetzt neu und kritisch aufgegriffen, äußert sich die Präsidentin des DHM. Enzyklopädische Vollständigkeit wird mit der Ausstellung im DHM nicht angestrebt. Mit mehr als 500 Ausstellungsstücken soll die Breite der Forschung dargestellt, sollen Fragmente des Kolonialismus gezeigt bzw. das Publikum über „ Ideologie und Herrschaftspraxis“ in den deutschen Kolonien informiert werden, wozu alltägliche Gewalt, brutales Vorgehen gegen Widerstand und Völkermord gehörten. Der Anspruch auf eine gültige oder gar endgültige Bewertung der Epoche von 1884-1918 wird aber nicht erhoben. Der Zusammenhang der deutschen Kolonialpolitik zu Entrechtung, Ausbeutung und Massenmord in Osteuropa während des 2. Weltkriegs liegt nahe. Wir müssen in Deutschland nicht nur mit dem Holocaust fertig werden.
 
Mit der Festung Groß Friedrichsburg im heutigen Ghana hatte es 1683 schon angefangen. Auch Brandenburg-Preußen hatte vom im 17. Jahrhundert beginnenden atlantischen Dreieckshandel (Sklaven aus Afrika nach Amerika und in die Karibik, Zucker, Rum und Melasse von dort nach Europa, Feuerwaffen, Tuch, Glasperlen aus Europa nach Afrika) schon profitiert und wollte an den wirtschaftlichen Erfolgen der kolonialen Entwicklung, von der andere europäische Nationen bereits in großem Stil lebten (England, Niederlande, Portugal, Spanien vor allem), teilhaben. Tatsächlich erinnert die Mohrenstraße in Berlin mit ihren preußischen Bronzestandbildern am Ziethenplatz noch heute an die Ursprünge dieser preußisch-brandenburgischen Kolonisation, die 1717 von Friedrich Wilhelm I. erst einmal beendet wurde. Zwar hatte er aus Prestigegründen einige „Mohren“ als Militärmusiker in seine Armee der langen Kerls geholt, war dann aber mehr am militärischen Aufbau derselben und an der Gewerbeentwicklung im Stammland Preußen interessiert.
 
Nach der Aufteilung Südamerikas zwischen Spanien und Portugal schon 1494 war Preußen auch im allerersten siebenjährigen Weltkrieg (1756-1763) mit dem englisch-französischem Streit um Nordamerika noch nicht in der Lage, an der europäischen Aufteilung der Welt zu partizipieren. Man stritt sich mit Österreich damals nur um Schlesien. Erst nach der Gründung des Deutschen Reiches 1871 entwickelte sich hier ein Interesse an kolonialer Erwerbung in Afrika, im Pazifik und in China. Missionarische, rassistische und sozialdarwinistische Vorstellungen hatten neben wirtschaftlichen Interessen die europäischen Staaten glauben lassen, sie seien dazu legitimiert, die Aufteilung der Welt und ihre

Berlin, Mohrenstrasse - Foto © Johannes Vesper
Europäisierung unter Ausschluß der indigenen Bevölkerung (Berliner Konferenz 1884/1885) vorzunehmen. Man fürchtete in Deutschland, wirtschaftlich zu verlieren, wenn man sich am kolonialen Wettlauf der europäischen Mächte nicht beteiligte. Deutschland „verlangte auch seinen Platz an der Sonne“ (Staatssekretär von Bülow vor dem Reichstag zur Rechtfertigung der Besetzung von Tsingtau/China 1897).
Zum wirtschaftlichen Erfolg der deutschen Kolonialgeschichte findet sich in der Ausstellung wenig Material. Das Deutsche Reich hat von seinen Kolonien wirtschaftlich wohl nicht profitiert (siehe Essay von Ulrike Lindner). Der Export europäischer, deutscher Lebensart und Kultur erfolgte vor allem durch Gewalt, die durch Missionare und ihre Mahnungen zu Brüderlichkeit und Nächstenliebe sowie ihre „Erziehung zur Arbeit“ nicht signifikant gemildert wurde. Im übrigen war sich Europa damals einiger als heute. Der große Kolonialkrieg in China (Boxeraufstand 1905) wurde gemeinsam von den imperialistischen europäischen Staaten unter Beteiligung inzwischen auch der USA und Japans niedergeschlagen. In den 35 Jahren deutscher Kolonialgeschichte wurden in Afrika 2 große Kolonialkriege von Deutschen geführt: gegen Herero und Nama in Deutsch-Südwestafrika (1904-1907) und der Maji-Maji-Krieg 1905-1907 im heutigen Tansania. Beide Kriege beruhten auf der fehlenden Akzeptanz der deutschen Fremdherrschaft, bedingt durch deren Brutalität bei der Entrechtung und Enteignung der indigenen Bevölkerung. In Deutsch-Ostafrika wurde damit Paul von Lettow-Vorbeck berühmt und der 1. Völkermord des 20. Jahrhunderts erfolgte im heutigen Namibia unter Deutschlands General Lothar von Trotha. Bei dem Vernichtungskrieg im heutigen Namibia trieben die deutschen Schutztruppen die indigenen Soldaten mit ihren Frauen und Kindern in die Wüste und damit in den Tod. Politisch wird die damalige Politik wegen Wiedergutmachungsforderungen noch heute im Bundestag diskutiert. Der Maji-Maji-Krieg in Tanganjika entstand in Folge der deutschen Plantagen- und Steuerwirtschaft mit resultierender Lebensmittelknappheit und Hungersnöten. Ca. 300.000 Todesopfer forderte er. In Deutschland schoß man derweil im Schützenverein Zehlendorf auf Schießscheiben mit idyllischen Bildern afrikanischer Dorfszenen. Sind die Kolonialdeutschen von damals schon die Vorgänger der willigen Vollstrecker Hitlers?
 
Das Titelbild des Katalogs zur Ausstellung mit dem unterspülten Bahndamm in Deutsch Süd-West weist darauf hin, daß der Aufbau einer nützlichen Infrastruktur in deutschen Kolonien wohl nicht immer gelungen ist, obwohl in Namibia noch viel an die deutsche koloniale Vergangenheit erinnert, man in Ruanda sogar überwiegend positive Erinnerungen an die Deutschen pflegt und jetzt dort eine Ausstellung zur Geschichte der deutschen Kolonie Ruanda plant. Ruhm und Ehre Deutschlands beruhen in China auf dem legendären Kanalsystem in der von Deutschen um 1900 neu gebauten Stadt Tsingtau mit Trennung von Regen und Abwasser. Von wegen Land der Dichter, Denker und Musiker. Das deutsche Abwasserkanalsystem wird geschätzt.
 
Die Beurteilung deutscher Kolonialpolitik wurde noch bis 1952 stark beeinflußt durch Jugendbücher wie „Heia Safari!“ des ehemals sehr populären Lettow-Vorbeck, der während des 1. Weltkriegs im Kampf um Deutsch-Ostafrika mit Belgien und England auch gegen indigenen Widerstand brutal vorging und als einziger nicht geschlagener deutscher General berühmt wurde. Nach ihm wurden  etliche Straßen in Deutschland benannt. In Wuppertal wurde kürzlich die nach ihm benannte Straße in Edith von Stein-Straße umbenannt. Ob dadurch die Auseinandersetzung mit der problematischen kolonialen Vergangenheit in Deutschland gefördert oder verdrängt wird, bleibt offen. Jedenfalls gibt es inzwischen neue empfehlenswerte deutsche Literatur (auch Jugendliteratur) zur Kolonialgeschichte (z.B. Alex Capus: „Eine Frage der Zeit“ oder vom in Tansania geborenen Hermann Schulz: „Lady Happy und der Zauberer von Ukerewe“, 2016).
Nur wenige Aspekte der Ausstellung konnten hier gestreift werden. Material zu indigenem Widerstand, zu den Askari, zu Denkmälern und ihrer Geschichte, zur Rolle der Mission, zur kolonialen Frauenfrage, zur Dekolonisation und vieles andere wird gezeigt und diskutiert.
 
Zu der komplexen und umfangreichen Ausstellung ist ein Katalog mit reichhaltigem Bildmaterial und zahlreichen Essays erschienen. Hervorragende Bilder werden authentisch, ausführlich und  sachkundig beschrieben. In den Essays kommt mehr die pädagogische Motivation der Ausstellungsmacher zur Geltung. Immerhin beschreiben aber auch indigene Autoren ihre Sicht der deutschen kolonialen Epoche. Für den an den Kolonien und der Kolonialpolitik Interessierten stellt der sorgfältig editierte, voluminöse Katalog eine unverzichtbare Quellen- und Materialsammlung dar.

Der Katalog:
Deutscher Kolonialismus - Fragmente seiner Geschichte und Gegenwart
© 2016 Theiss Verlag / WBG 334 Seiten, 21 x 28 cm, geb. mit Schutzumschlag, etwa 220 Abbildungen, durchgehend vierfarbig  -  ISBN: 978-3-8062-3369-8

Schießscheibe, Schützenverein Zehlendorf - Foto © Joh. Vesper
Preis: € 29,95[D]
Weitere Informationen: http://www.wbg-verlage.de
 
Ausstellung:
Deutscher Kolonialismus Fragmente seiner Geschichte und Gegenwart
Deutsches Historisches Museum Berlin
14. Oktober 2016 bis 14. Mai 2017
Weitere Informationen:  https://www.dhm.de
 
Literatur:
Ottomar Beta – „Das Buch von unseren Kolonien“, 1908 Ferdinand Hitr & Sohn, Leipzig
Dr. W. Scheel - „Deutschlands Kolonien“, 1914 Verlag für Farbenphotographie Carl Weller
Joachim Zeller – „Koloniale Bilderwelten“, 2008 Christoph Links Verlag
Jean-Pierre Mara – „Oser les changements en Afrique, 2008 L´Harmattan, Paris
Joachim Zeller – „Weiße Blicke - Schwarze Körper“, 2010 Sutton Verlag

(Redaktion: Frank Becker)