Selbst mit Brille...

Andreas Platthaus – „Das geht ins Auge, Geschichten der Karikatur“

von André POLOczek

Cover: Art Spiegelman
Selbst mit Brille...
 
André POLOczek über Andreas Platthaus‘ Essaysammlung
„Das geht ins Auge – Geschichten der Karikatur“
 
Schon der mehrdeutige Buchtitel, „Das geht ins Auge – Geschichten der Karikatur“, läßt vermuten, daß der Autor Andreas Platthaus durchaus aktuelle Entwicklungen berücksichtigt, wenn er einen – nein – mehrere Blicke auf die Entwicklung der kritisch-politischen Grafik wirft. Vordergründig geht die Karikatur ins Auge, weil sie ein sehr schnell wirkendes, optisches Medium ist.
Daß sie aber eben auch im metaphorischen Sinn ins Auge gehen und nicht beabsichtigte und fatale Folgen nach sich ziehen kann, das haben in jüngster Zeit die Mordanschläge gegen die Macher des französischen Satire-Magazins „Charlie Hebdo“ gezeigt. In dem Essay ‚Checkpoint „Charlie‘“ widmet sich der 1966 in Aachen geborene Autor den Ereignissen in Paris und deren Folgen.
Es ist kein Zufall, daß dieser Text den Schlußartikel der 50 Essays umfassenden Sammlung bildet. Zum einen bezieht er sich auf die aktuellste und aufsehenerregendste Begebenheit in Sachen Karikatur; und da der Band chronologisch aufgebaut ist, gehört er an den Schluß. Zum anderen setzen die Mordtaten von Paris aber auch einen dramatischen Höhepunkt in der Geschichte der politischen Karikatur.
Daß diese Geschichte nach dem Verständnis Platthaus‘ mit einer gotteslästerlichen Kritzelei eines römischen Soldaten schon in der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts nach Christus seinen (belegbaren) Anfang genommen hat, mag nur jene verwundern, die das Wesen der Karikatur unterschätzen. Daß sie nämlich sehr schnell und sehr wirksam ist.
Zwar stellt die erwähnte Grafik keine Karikatur im Sinne des Autors dar; denn für Platthaus sind nur solche Bildaussagen, die sich gegen die Machthabenden wenden, auch Karikaturen. Der römische Soldat, der in seiner in Stein geritzten Kritzelei Jesus verhöhnte, tat das ja nicht in gotteslästerlicher Absicht. Der Gott der Christen war nicht seiner, er hat also eher „nach unten getreten“. Und in diesem Sinne sind auch die antisemitischen Schmähbilder, die im „Stürmer“ erschienen, keine Karikaturen. Die NS-Propagandisten überzogen ihre Opfer schlicht und einfach mit Spott.
Christen - Juden - Muslime, um nur die Angehörigen der drei großen monotheistischen Religionen zu nennen, waren zu allen Zeiten auf den Zielscheiben der kritischen Grafiker zu finden. Hier spannt die Essay-Sammlung also einen ebenso richtigen, wie spannenden Bogen.
Unter den, wie schon erwähnt , chronologisch sortierten Essays bilden die europäischen Geschichten den Schwerpunkt; vor allem England, Italien, Frankreich und Deutschland nimmt Platthaus äußerst sachkundig unter die Lupe, und wer dazu bereit ist, kann in der Sammlung auch eine Schnellzusammenfassung der politischen Historie sehen, ... aus Sicht der jeweiligen zeichnerischen Opposition.
Daß und wie sich etwa die Französische Revolution oder der Hitler-Faschismus in der politischen Grafik ihrer Zeit spiegeln, das dokumentiert der Band in sehr angenehm lesbarer, feuilletonistischer Weise.
Daß Andreas Platthaus, seit Februar 2016 Chef des Ressorts Literatur und literarisches Leben bei der F.A.Z., in Frankfurt zu verorten ist, ist wohl kein Zufall. Hier findet sich das Caricatura Museum, hier wurden die „Pardon“ und in der Folge die „titanic“ gegründet, die Stadt am Main ist der Stammsitz der „Neuen Frankfurter Schule“; mit Vertretern wie F.K. Waechter, Robert Gernhardt, F.W. Bernstein und in der Folge etwa Greser und Lenz steht Mainhattan unter Verdacht, Deutschlands Karikatur-Hauptstadt zu sein.
Aber der Blick des Autors reicht weit, weit über Main und Taunus hinaus.
Japan und Indien werden ins Auge gefaßt. Amerika fokussiert Platthaus, indem er etwa Charles Addams oder Art Spiegelman, der auch die Buchschlaufe und das Cover des wunderbar ausgestatteten Buches gestaltet hat, eingehender bespricht.
Selbst für Leserinnen und Leser, die sich schon mit der Karikatur, oder der „Komischen Kunst“, beschäftigt haben, und erst recht für solche, die einfach Lust haben, durch die Brille von Cartoonisten auf die Geschichte und Geschichten zu schauen, ist Platthaus‘ Essaysammlung das ideale Weihnachtsgeschenk. Auch oder gerade weil diese Brille keine Schutzbrille ist.
 
André POLOczek
 
Andreas Platthaus – „Das geht ins Auge, Geschichten der Karikatur“
Originalausgabe, numeriert und limitiert.
© 2016 Die Andere Bibliothek, 480 Seiten, gebunden, Fadenheftung, Lesebändchen
Buchgestalter: Art Spiegelman (Umschlag) und Katrin Jacobsen, mit 51 Karikaturen aus einem Zeitraum von 2000 Jahren - ISBN: 9783847703815
42,- €
Weitere Informationen:  www.die-andere-bibliothek.de