Geht unter die Haut

„Nocturnal Animals“ von Tom Ford

von Renate Wagner

Nocturnal Animals
(USA 2016)

Regie: Tom Ford
Mit: Amy Adams, Jake Gyllenhaal, Michael Shannon, Aaron Taylor-Johnson, Armie Hammer u.a.
 
Die erste Ebene: Eine Ausstellungseröffnung in einer superchicen Galerie in Los Angeles. Eine elegante Chefin: Susan Morrow. Später wird sie zugeben, daß sie alles, was sie ausstellt und verkauft, für absoluten Mist hält. Ein verfahrenes Berufsleben. Ein verfahrenes Privatleben auch, denn der Gatte sieht zwar gut aus, ist aber nie da, und daß er nichts wert ist, weiß der Kinobesucher schon, bevor er ihn mit einer anderen Frau im Hotel sieht, während die Gattin zuhause allein ist.
 
Die zweite Ebene: Auch Susan hat sich das Leben anders, besser, gewissermaßen idealistischer vorgestellt. Man begegnet ihr (Hauptdarstellerin Amy Adams verjüngt sich mühelos um zwei Jahrzehnte) als Studentin, die Künstlerin werden will, und der ihr Kommilitone Edward, der Schriftsteller sein will, sehr gut gefällt. Auch wenn ihre Mutter sie warnt, daß dieser nie den Killer-Ehrgeiz aufbringen wird, Karriere machen zu wollen, reich und berühmt zu werden. Damals ist Susan das ganz recht. Bis sie nach kurzer Ehe, enttäuscht von dem, was sie von ihm zu lesen bekommt, merkt, daß sie auf einen Loser doch keine Lust hat … und ihn auf recht schäbige Art verläßt.
 
Die dritte Ebene erzählt eine ganz andere Geschichte: Eine Familie (Mann und Frau sehen ganz aus wie Susan und Edward, dazu eine halbwüchsige Tochter), die im Auto über die leeren Landstraßen von Texas fahren. Das ist der Roman „Nocturnal Animals“, den Edward doch noch geschrieben hat, und wir sehen nebeneinander Susan zu, wie sie ihn fasziniert und verängstigt liest, und die Handlung, die einen amerikanischen Mythos vom Ausbrechen der brutalen, sadistischen Gewalt erzählt. Denn da kommen Ray Marcus und seine fiesen Genossen, halten den Wagen an, terrorisieren die Familie, bringen schließlich Frau und Tochter um. Der Mann entkommt und kann nur mit Hilfe eines todkranken Sheriffs, der nichts mehr zu verlieren hat, die „Ein Mann sieht Rot“-eigenhändige Rache vollziehen…
 
Drei Ebenen, die sich verstricken, verpfuschtes Leben, das – wie Susan merkt – nicht mehr zu korrigieren ist. Tom Ford, als Modemacher berühmt, hatte bislang erst einen Film gedreht, den allerdings niemand vergessen wird: In „A Single Man“ hat er sein eigenes Homosexuellen-Problem meisterhaft auf die Leinwand gebracht. Dieses Thema spielt nun in diesem seinem zweiten Film (nach dem Roman „Tony & Susan“ von Austin Wright, 1993) gar keine Rolle. Die „Nocturnal Animals“ erzählen von Lebensentwürfen, von verfehltem Leben, und Ford bringt es mit psychologischer Meisterschaft und dem Stil eines Mannes, der etwas von Stil versteht, auf die Leinwand.
Vor allem die immer so vorzügliche Amy Adams darf hier die Wandlung spielen. Von der liebenswert natürlichen Studentin (als wahre Schreckschraube sitzt ihr in einer Szene Laura Linney als hoch gestylte, reiche Mutter gegenüber – eine warnende Ahnung der Zukunft) zur Kunstfigur, in ihrem Unglück erstarrt. Die dann, durch ihre verfehlte zweite Ehe (Armie Hammer ist die Glätte selbst) und das Buch des Ex-Gatten zu Erkenntnissen kommt, zum Wunsch, alles noch einmal ändern zu wollen. Aber so einfach ist das nicht…
Jake Gyllenhaal begegnet einem nur kurz als der (echte) junge Edward Sheffield, die meiste Zeit ist er, mittelalterlich, sein eigener Romanheld Tony Hastings. Der Durchschnittsamerikaner, in dessen Leben eine Katastrophe einbricht und der sich selbst wehren muß, wenn er Rache haben will.
Der als Meisterwerk gehandelte Roman Edwards, der einfach nur ein Stück amerikanischen Brutalitätsmythos’ bietet, lebt von dem grauenvoll widerlichen, sadistischen Ray Marcus (hervorragend: Aaron Taylor-Johnson), den kein Gesetz erwischen kann, und dem klassischen (natürlich todkranken) Sheriff (großartig: Michael Shannon), der angesichts seines baldigen Endes darauf verzichten kann, auf eine Gerechtigkeit zu warten, die vom Gesetz nicht geboten wird, und der Beihilfe zum Rachemord leistet. Während Gyllenhaal auch seinen Romanhelden spielt, sind Isla Fisher (Amy Adams programmatisch überaus ähnlich) und Ellie Bamber die Tochter, zwei Frauen, die vom Terror der Straße gemetzelt werden.
Die körperliche Grausamkeit der Romanhandlung wird von der seelischen Grausamkeit der Rahmenhandlung gekontert: Beides geht gleicherweise unter die Haut. Man wartet auf den nächsten Tom Ford-Film. Bisher hat er nur Besonderes geliefert.
 
 
Renate Wagner