Die grenzenlose Welt des ersten Kaisers

Ernst Baltrusch/Christian Wendt (Hrsg.) - „Der Erste - Augustus und der Beginn einer neuer Epoche“

von Johannes Vesper

Der Erste

Augustus und der Beginn einer neuen Epoche
 
Von Johannes Vesper
 
Wer als informierter Tourist in Rom seinen Spaziergang über das Forum Romanum absolviert, der sieht im ehemaligen Zentrum des römischen Reiches die architektonischen Spuren dieses großen Mannes, des Augustus, des römischen Prinzeps, des Monarchen, des ersten Kaisers der Weltgeschichte: die Curia Julia, in der der römische Senat getagt hat und die Rednerbühne (rostrum) wurden von ihm gebaut bzw. fertig gestellt. Das sind nicht seine einzigen architektonischen Spuren in Rom: Das Marcellustheater mit dem Apollotempel am Circus Flaminius, die Thermen benannt nach seinem Stadtbaumeister Agrippa, die Neuanlage des Campus Martius und vieles andere stammt von Augustus.
 
Mit 19 Jahren besetzte er 43 v.u.Z. nach dem tödlichen Attentat auf Caesar mit einem von ihm aufgestellten Heer erstmalig Rom, die Hauptstadt des Imperiums und kämpfte 12 Jahre mit „Mord, Enteignung und Tyrannei“ gegen seine Konkurrenten und Widersacher. Erst nachdem er seinen Konkurrenten Marc Antonius und dessen Kleopatra in der Schlacht von Actium 31 v.u.Z. vertreiben konnte, kam es in Rom zu innerem Frieden, Wohlstand und  Rechtsstaatlichkeit, zur 45 Jahre dauernden pax Augusta, in der Kultur, Kunst, Dichtung, Wohlstand, Handel und Gewerbe aufblühten und die führenden Politiker Roms die Politik nicht mehr nur als Mord und Totschlag verstanden wie in den republikanischen 100 Jahren zuvor (Gracchen, Marius, Sulla, Pompeius, Crassus. Caesar). Also 12 Jahre Tyrannei, dann 45 Jahre pax Augusta: Welche historische „epochale Schizophrenie“!
 
Augustus beendete die Bürgerkriege der römischen Republik und gründete das Prinzipat, löste mit seiner Alleinherrschaft die antike Demokratie (Republik) ab, die nicht mehr in der Lage war, die Probleme Roms zu lösen. Er selbst vertraute auf die Kraft der vernünftigen Rede, auf seinen ungeheuren Reichtum, mit dem er gelegentlich den Fiskus unterstützte und umgab sich mit bemerkenswerten Beratern für Verwaltung, Justiz, öffentliche Bauten (Varro, Cicero, Agrippa). Mit ihm, dem Adoptivsohn des großen Caesar, dessen Namen er öffentlich trug, begann das römische Kaisertum, welches für ca. 400 Jahre die Geschicke des Imperium Romanum bestimmte. Die Wörter „Kaiser“ und „Zar“ leiten sich von ihm ab. Das augusteische Prinzipat war durch seinen Erfolg legitimiert und wurde von der Bevölkerung (Plebs), dem römischen Adel (Senatoren und Ritter) und der Armee akzeptiert. Verständlich: Die Bürger Roms und Italiens zahlten unter Augustus nur Steuern von 5% auf den Wert freigelassener Sklaven und eine 5%ige Erbschaftssteuer, die damals schon höchst umstritten war. Alle Sektoren des Staates haben von Augustus profitiert. Selbst das Proletariat erhielt kostenlos Getreide. Wurde über Augustus und seine Politik öffentlich diskutiert? Gab es eine öffentliche Meinung? Die bestand damals in Demonstrationen und Gerüchten, die durch Theater, Zirkus und Arenen waberten. Damals fehlten zu Twitter und Facebook nur die technischen Voraussetzungen von Smartphone und Internet. Und war Akzeptanz damals käuflich? Die Frage bleibt offen. Und heute? Was ist heute mit Trump und seiner Wahl?


Das Forum Romanum - Foto © Johannes Vesper
 
Kultur und Kunst blühten unter Augustus. Horaz, Vergil und Ovid verbreiteten seinen Ruhm. Dabei war Augustus alles andere als liberal. Ovid wurde wegen seiner freizügigen „Liebeskunst“ ohne Prozeß nach Tomi (Constanza) an das Schwarze Meer verbannt. Vielleicht kannte er aber auch Einzelheiten des Ehebruchs der jüngeren Julia, der Enkelin des Augustus, oder hatte selbst ein Verhältnis mit ihr? Julia wurde nach ihrer Affäre ihrerseits auf eine kleine Insel verbannt. Denn Augustus war streng sittlich und kämpfte mit seinen Ehegesetzen gegen die Unmoral von Römerinnen und Römern an. Das Privatleben seiner Römer hielt er für regulierungsbedürftig: Von den Ausgaben für Gastmähler bis zur Sitzordnung im Theater wurde alles geregelt. Mit seinen Luxusgesetzen setzte Augustus das Werk Caesars fort. Der sagenhafte Luxus im alten Rom wurde wie heute über sagenhafte Schulden finanziert. Augustus glaubte mit seinen Sittengesetzen gegensteuern zu können. Im Theater wurden Männer und Frauen getrennt und verarmte Ritter wie Unverheiratete bekamen nur die billigen Plätze. Ehe und Scheidung waren keine Privatangelegenheiten. Ehepflicht für Männer und Frauen (auch für Witwen) wurden beschlossen. Nicht Verheiratete durften nicht erben. Sie hatten aber noch 100 Tage nach Eröffnung des Testaments Zeit die Ehe zu schließen. Nur seinen Soldaten hatte er verboten zu heiraten. Das hätte die Kampfmoral gemindert. Hat diese Regulierung der Sitten genutzt? Der Akzeptanz des Prinzeps hat sie jedenfalls nicht geschadet.
 
Wie hielt er es mit den Frauen bzw. mit seiner Frau Livia, deren schöner Porträtkopf heute z.B. in Bochum (Sammlungen der Ruhr Universität) angesehen werden kann? Er nannte sie ausdrücklich femina sed princeps (Frau aber Prinzeps), erwähnte sie andererseits nicht in seinem geistigen Vermächtnis der res gestae. Sie wurde aber als Begründerin der Dynastie und Mutter des Vaterlandes verehrt und trug so ihrerseits zu Akzeptanz und Stabilisierung des Prinzipats bei.
 
Wie das riesige römische Reich zu Zeiten Augustus von den Bleigruben bei Brilon im Sauerland, von Haltern im Münsterland bis nach Ägypten, von den Säulen des Herakles bei Gibraltar bis nach Palästina ohne Flugzeug, Eisenbahn oder E-Mail regiert werden konnte, bleibt ein Rätsel. Vergil und Ovid sprachen unter Propaganda-Gesichtspunkten von der Grenzenlosigkeit des römischen Reiches, was doch stark übertrieben ist. Nur ca. ¼ der Oikumene, also der gesamten bewohnten Welt der Antike, wurde von den Römern zur Zeit des Augustus kontrolliert. Er selbst hat allerdings geschrieben, er habe ein Heer bis nach Napata (heutiger Sudan) geschickt und hätte wohl gerne die gesamte damals bekannte Welt von den Kelten bis hin zu den Indern beherrscht. Und dazu gehörte natürlich die Seeherrschaft, die Herrschaft über das Mittelmeer. Augustus begründete eine stehende römische Flotte und gab sich propagandistisch nicht nur als Herrscher über den Erdkreis sondern darüber hinaus auch als Herrscher der Meere, was auch Kaiser Wilhelm II angestrebt hat. Und was damals die Meere waren, ist aktuell das Weltall. Läßt sich der Streit um seine Beherrschung heute bis in die Antike zurückverfolgen?


Die Napata-Pyramiden im Sudan - Foto © Johannes Vesper
 
Augustus starb im Jahr 14 u.Z., und in seinem Testament fand sich auf ca. 10 Normalseiten (17.000 Zeichen) sein von ihm selbst verfaßtes politisches Vermächtnis: die res gestae divi Augustin. Er wünschte, daß dieser Text auf zwei Bronzepfeiler eingraviert werde, die vor seinem Mausoleum aufgestellt werden sollten und wurden. Sein Bericht über die eigenen Taten, über die „Taten des göttlichen Augustus, mit denen er den Erdkreis der Herrschaft des römischen Volkes unterwarf sowie über die Aufwendungen, die er für das Staatswesen und das römische Volk erbracht hat“ wurde darüber hinaus in allen römischen Provinzen öffentlich gemacht. Nicht nur sein Mausoleum hat er gebaut sondern auch noch die offizielle Historie über sich selbst geschrieben und nach seinem Tod publiziert: genial.
 
Anläßlich des 2000jährigen Jubiläums dieses bedeutenden Monarchen und Prinzeps wurden in Berlin mit einer Ringvorlesung vieler Fachleute die unterschiedlichsten Aspekte seiner Herrschaft, seiner Person, seiner Außen- und Innenpolitik, seiner Nachwirkung auf Mittelalter, auf den italienischen Faschismus und auf die moderne Filmindustrie schlaglichtartig dargestellt und in dem hier besprochenen Band publiziert. Auf den 167 Seiten des großformatigen Bandes finden sich viele wunderbare, lebendige Bilder und Fotografien zum Thema. Das umfangreiche Literaturverzeichnis lädt zu weiterem Studium ein.
 
Ernst Baltrusch / Christian Wendt (Hrsg.) - Der Erste - Augustus und der Beginn einer neuer Epoche 
© 2016 Philipp von Zabern Verlag / Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 168 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag, Fadenheftung, 24 x 30 cm, mit 17 s/w u. 109 farbigen Abbildungen  -  ISBN: 978-3-8053-5033-4
34,95 €
 
Weitere Informationen:  www.wbg-verlage.de/

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