Beckfelds Briefe

An Steve Jobs

von Hermann Beckfeld

Hermann Beckfeld - Foto © Dieter Menne
Lieber Steve Jobs,
 
ich mag es kaum glauben, aber es ist schon wieder etwas über fünf Jahre her, daß Apple die üblichen bunten Links auf Mac, iPod, iPhone und iPad von der Homepage verbannte und dorthin stattdessen ein Schwarz-Weiß-Porträt von Ihnen stellte mit dem Zusatz „Steve Jobs, 1955–2011“. 
Eine puristische Todesnachricht; vielleicht, weil Sie es so vorgeschrieben, so gelebt haben. An diesem 5. Oktober 2011 gab es kein „One more thing“, auch kein „One last thing“ mehr; diese Zugaben, die zu Ihren bombastischen Präsentations-Shows gehörten wie der Apfel zu Ihren Produkten, wie der schwarze Rollkragenpullover, die Jeans und Turnschuhe zu Ihnen als Person.
Bevor ich anfing, diesen Brief zu schreiben, habe ich noch einmal Ihre Rede gelesen, die Sie 2005 kurz nach einer schweren Operation an der Uni Stanford gehalten haben. Sie überraschten mit drei ganz persönlichen Geschichten, philosophierten über das Leben und den Tod. Was für klare Sätze, und doch eine provokante Weisheit: „… der Tod ist höchstwahrscheinlich die beste Erfindung des Lebens. Er bewirkt den Wandel. Er entrümpelt das Alte, um Platz zu machen für das Neue.“
Sie haben den Studenten, Sie haben uns in dieser Rede die Richtung gewiesen; eingebrannt in meine Erinnerung hat sich ein Foto, von dem Sie erzählten. Es stand auf der Rückseite der letzten Ausgabe Ihres Lieblingsmagazins und zeigte eine Landstraße im Morgengrauen, „so eine Straße, auf der man sich wiederfinden konnte, wenn man so abenteuerlustig war, per Anhalter zu reisen“. Unter dem Foto stand: „Bleibt hungrig, bleibt verrückt.“
„The Whole Earth Catalog“ war Ihre Bibel, die Bibel einer ganzen Generation, als es noch keine PCs. gab. Alles wurde mit Schreibmaschinen, Scheren und Polaroid-Kameras produziert. Für Sie war das Magazin „so etwas wie Google als Taschenbuch, als Google noch nicht existierte. Es war idealistisch, voller feiner Details und großartiger Ideen“.
Das Magazin war Ihr Navi, die Landstraße so häufig Ihr Lebens-, Ihr Fluchtweg; Ihr Neuanfang, immer und immer wieder, von Geburt an. Ihre mittellose Mutter gab Sie sofort zur Adoption frei. Die ersten Kandidaten sagten plötzlich ab, sie wollten doch lieber eine Tochter. Das nächste Paar mußte sich über Nacht entscheiden und dann monatelang warten, bis Ihre leibliche Mutter die Adoptionspapiere unterschrieb, weil Ihre neuen Eltern nicht wie gefordert einen College-Abschluß hatten. Dafür versprachen sie, ihren Jungen auf die Hochschule zu schicken.
Sie haben das Studium abgebrochen, sammelten Flaschen, um mit dem Pfand Essen zu kaufen. Sie schliefen bei Freunden auf dem Boden, halfen bei der Apfelernte, folgten der strengen Ernährungsweise der Frutarier; deshalb gaben Sie Ihrem Unternehmen den Namen Apple.
Der Rest ist Geschichte, eine einzigartige Erfolgsgeschichte. Von der Garagenfirma und dem Apple-Mitbegründer bis zu bekanntesten Marke der Welt. Vom Apple I für 666,66 Dollar mit dem Prototyp im selbstgebastelten Holzgehäuse, vom Macintosh bis zum iPod, iPad und iPhone. Vom Rausschmiß aus dem eigenem Konzern bis zur Rückkehr, als Apple Ihre nächste Firma NeXT aufkaufte. Mit 23 waren Sie Millionär, mit 24 besaßen Sie 10 Millionen, mit 25 mehr als 100 Millionen, und zum Schluß gehörten Ihnen 8,3 Milliarden Dollar … „und es war mir egal, weil ich es nicht für Geld gemacht habe. Der einzige Weg, Großartiges zu leisten, ist, wenn ihr liebt, was ihr tut“, sagten Sie den Studenten.
Sie waren der größte Innovator Ihrer Zeit, ein Mann, der die Welt verbessern wollte; ein Visionär voller Leidenschaft und genialer Kreativität, einer der größten amerikanischen Erfinder, der moderne Thomas Edison, ein Leitbild fürs Lebensgefühl einer ganzen Generation – und Sie waren dennoch nicht unumstritten. Kollegen fühlten sich tyrannisiert, kritisierten Ihren Egoismus, Ihre grenzenlose Eitel- und Selbstherrlichkeit, einen, der sich im PR-Video eins machte mit Einstein, Picasso, Gandhi und Muhammad Ali; Sie galten als herrisch, sprunghaft, launisch und cholerisch.
 
Lieber Steve Jobs,
ich finde, Ihre Rede in Stanford sollte in Schulen und Universitäten, für Unternehmer und Politiker Pflichtlektüre werden. So wie Ihre zehn Tips für den Erfolg, von „Lebe kein limitiertes leben“, „Sei leidenschaftlich“ und „Verkaufe keinen Müll“ bis zu Punkt 10. Er steht unter dem Foto der Landstraße im Morgengrauen, des Wegs, den jeder von uns finden muß. „Bleibt hungrig, bleibt verrückt.“
 
Hochachtungsvoll
Hermann Beckfeld
 


Mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Ruhr Nachrichten.
„Beckfelds Briefe“ erscheinen jeden Samstag im Wochenendmagazin dieser Zeitung.