Die Stars: Franz Liszt und Ludwig van Beethoven

Martin Haselböck leitet das 5. Sinfoniekonzert des Sinfonieorchesters Wuppertal

von Johannes Vesper

Foto © Johannes Vesper

Die Stars: Franz Liszt und Ludwig van Beethoven
beim 5. Sinfoniekonzert (154. Saison des Sinfonieorchesters Wuppertal)
 
Von Johannes Vesper
 
Franz Liszt (1811-1886), der bekannteste Musiker des 19. Jahrhunderts, der größte Klaviervirtuose jemals - an seinen Klavierstücken verknoten sich die Pianisten immer noch alle Finger  -, der charmante Liebling aller Frauen (vor allem der des Hochadels), Vater dreier unehelicher Kinder, belesen wie kaum ein anderer, befreundet mit Honoré de Balzac, Heinrich Heine, Victor Hugo, George Sand, um nur einige zu nennen, Schwiegervater von Richard Wagner ein Musiker-Philosoph und Priester, arrogant im Umgang mit Fürsten und Königen, war jetzt immerhin als Komponist in Wuppertal zu hören. Von einer Lisztomanie (Heinrich Heine) der Damen im Publikum, die ehemals um seine Handschuhe und Taschentücher als Devotionalien des Genies kämpften und Armbänder aus von ihm heruntergespielten Klaviersaiten trugen, war in der Stadthalle beim 5. Sinfoniekonzert jetzt nichts zu spüren.
 
Liszts sinfonische Dichtung „Orpheus“ wurde 1853/54 ursprünglich als Vorspiel für „Orpheus und Eurydike“ von Christoph Willibald Gluck geschrieben und später als sinfonische Dichtung herausgegeben. Ob die von Liszt angestrebte „Erneuerung der Musik durch ihre innigere Verbindung mit der Dichtkunst“ gelang? Die Anregung zu diesem Werk stammt nicht von Glucks Oper, sondern von einer etruskischen Vase aus dem Louvre mit dem Bild des antiken Sängers und Dichters Orpheus, dem Liszt sich verwandt fühlte. Zwei Harfen im Orchester erinnern an die Lyra, die Orpheus gespielt haben mag. Zu Beginn eröffnen Horn und Harfe, dann Solo-Geige mit Solo-Cello diese Dichtung. Wechselnde Bilder und Stimmungen entstehen und verschwinden. Sinfonische Entwicklungen und Auseinandersetzungen finden nicht statt. Keine Dissonanzen, keine wilden Tänze. Von dieser Musik wurden wir nicht betört und Orpheus, der ja in der Mythologie am Ende von einer Horde betrunkener Mänaden in Stücke gerissen und samt seiner Leier in den Fluß Hebrus geworfen wurde, hätte musikalisch auch anders dargestellt werden können.
 
Dann die Choralfantasie und Fuge „ad nos, ad salutarem undam“ mit der großen 3manualigen Sauer-Konzert-Orgel der Stadthalle, deren 67 Register in Sinfoniekonzerten zu selten gespielt werden. Das Werk, ursprünglich für Solo-Orgel, war jetzt in der Bearbeitung für Orchester und Orgel von Marcel Dupré (1886-1971) zu hören. Tuba mirabilis, fünffaches Cornet, Schwellwerk , Fernwerk in der Decke der Stadthalle, epochaltypische Streicherstimmen, gewaltiges Orgel-Tutti: alles stand Christian Schmitt zur Verfügung , der sich als einer der charismatischsten Orgelvirtuosen der Zeit auf den großen Orgeln des Kontinents (Philharmonie Köln, Gewandhaus Leipzig, 2/2016 Elbphilharmonie Hamburg, um nur einige zu nennen) auskennt. Es begann forte mit voller Orgel und dunklem, großen Orchesterklang. Unter engem Blickkontakt wirkte der Organist mit vollem Körpereinsatz an den drei Manualen und dem Pedal des Spieltischs nahe dem Dirigenten. Orgelsolo im Piano, dann Blechbläserquartett, Glockenspiel. Das Choralthema vorgetragen von den Celli wird pianissimo aufgenommen vom Fernwerk. Die weichen Übergänge zwischen Orgel und Orchester gelangen trotz der unterschiedlichen Schalllaufzeit von Orgel und Orchester in differenziertester Dynamik. Endlich beginnen die Bratschen mit der Fuge, deren Thema die Violinen aufnehmen bevor es hinab zum Pedalwerk der Orgel und dem Orchesterbaß wandert. Am Ende fängt sich das musikalische Chaos über dem großen Orgelpunkt und endet nach vollem Orgelchoral (Solo) im Orkus der grandiosen Schlußapotheose. Das Publikum applaudiert lange und begeistert. Nach vielen Bravi bedankt sich Christian Schmitt mit einem virtuosen Konzertstück von Marcel Dupres. Warum hört man die Orgel nicht öfter in den Sinfoniekonzerten
 
Aber nicht erst Liszt sondern auch Beethoven (1770-1827) hatte schon Fans. Bei seiner Beerdigung folgten wohl mehr als 30.000 Menschen dem Leichenbegängnis. 1804 wurde die Eroica im Stadtpalais des Fürsten Lobkowitz uraufgeführt, durch dessen Leibrente Beethoven in Wien blieb, sonst wäre er 1. Kapellmeister in Kassel geworden. Das Angebot von Jerome Bonaparte stand. Huldigungsmusik für Napoleon? Oder im Gegenteil: der Trauermarsch als Reaktion auf Napoleons Niederlage in der Seeschlacht von Abukir? Kaum belegbare Anekdoten und Gerüchte. Wollte er sie ihm wirklich widmen? Er hat die Widmung für ihn nach der pompösen Kaiserkrönung jedenfalls ausradiert. In der 1. Partiturausgabe 1809 wurde sie einem unbekannten Helden gewidmet.
 

Historische Stadthalle Wuppertal, Großer Saal - Foto © Lars Langemeier

Martin Haselböck Dirigent, Organist, Komponist stammt aus einer bekannten Musikerfamilie. In Wien ist er beheimatet und als Dirigent und Organist zwischen New York, Los Angeles, Moskau und im März in der neuen Elbphilharmonie Hamburgs unterwegs. Jetzt dirigierte er das Sinfonieorchester Wuppertal im „schönsten Konzertsaal der Welt“, wie man kürzlich lesen konnte. Mit seinem Wiener Akademieorchester führte er die Eroica schon in originaler Besetzung (insgesamt 30 Orchestermitglieder) in dem relativ kleinen Saal der Uraufführung (Palais Lobkowitz) auf und bekam dabei eine authentische Vorstellung des Originalklangs. In der Stadthalle wurde jetzt aber mit vollem Orchester gespielt.
 
An die längste Sinfonie (ca. 50 Min), die bis dahin komponiert wurde, mußte sich das Wiener Publikum erst gewöhnen. Ein Wiener Konzertbesucher soll Geld geboten haben, damit man mit dieser Musik aufhöre. Das war jetzt in der Stadthalle nicht notwendig. Fünf Minuten schneller als gewohnt hastete man durch das Werk, was die Streicher doch erheblich forderte. Der 1. Satz beginnt mit zwei scharfen Orchesterschlägen. Also Schluß mit lustig. Keine fürstliche U-Musik des 18. Jahrhunderts mehr. Rokoko ist vorbei. Das Dreiklangthema, vorgetragen von der Cello-Baßgruppe, bricht schon im 5. Takt aus der Tonart aus. Immer wieder Tutti-Schläge, synkopisch oder auch nicht, das Ganze im ¾ Takt. Tänzerisch lebendig beginnt mit der Eroica musikalisch die große Sinfonik des 19. Jahrhunderts. Ziemlich flott gehen die Violinen auch den Trauermarsch des 2. Satzes in c-moll an. Die tiefen Celli und Kontrabässe stiften trotz Pianissimo mit ihren Sechzehnteln jeweils auf Taktzeit 1 unheilvolle Unruhe. Trostreich übernimmt die konzertante Oboe das melancholische Thema. Im bewegten Mittelteil wird es mit dem großen und strengen Fugato und Orgelpunkt ernst und ernster. Der 3. Satz ist kein Menuett mehr, sondern ein sehr schnelles Scherzo. Das Hörnerterzett gelingt makellos, sauber, voll und herrlich. In der Eroica gibt es erstmalig ein drittes Horn im Orchester (aber noch keine Posaunen und kein Kontrafagott)! Strukturiert von pointierten Crescendi der Pauken, läuft der Satz ab wie ein Uhrwerk
Zwischen den Sätzen kam es wieder wie schon in voran gegangenen Konzerten zu zartem, unsicherem Applaus. Anscheinend bemüht man sich nicht erfolglos um neues Publikum.
 
Das Pizzicato mit Nachschlag zu Beginn des 4. Satz wird abgelöst von Variationen des Themas und Basses. Kontrapunktische Durchführung, Themenumkehrungen, Harmoniewechsel, türkischer Marsch mit vollem Orchester, Tempo- und Rhythmuswechsel: wunderbar konzertante, heute etwas eilige Melodik. In der Vergrößerung kurz vor Schluß finden dann auch mal die seelenvollen Holzbläser hörbar Raum und Zeit für ihre gesanglichen Themen. Das Publikum ist zufrieden und spendet reichen Applaus.
 
Johannes Vesper
 
Hinweise: Unter Julia Jones, der neuen Generalmusikdirektorin, wird es jetzt eine neue Konzertreihe des Sinfonieorchesters Wuppertal geben: die Kammerorchesterkonzerte. Bis zu 25 Musiker werden jeweils spielen, zum 1. Mal am Freitag, dem 17.02.2017, 19:30 Uhr, in der Immanuelskirche (Sternstr. 73, 42275 Wuppertal) und am Samstag, dem 18.02.17 um 17:00 Uhr in der Friedhofskirche (Hochstr. 15, 42105 Wuppertal). Programm: Joseph Haydn: Sinfonie Nr. 49 f-Moll, Christoph Graupner: Konzert für Viola d`amore (Momchil Terziyski), Viola (Jens Brockmann) und Orchester (Leitung: Julia Jones).
 
Das 6. Sinfoniekonzert mit Elisabeth Leonskaja(Klavier) unter Leitung von Okko Kamu findet am 12. und 13. Februar 2017 statt. Programm: Edvard Grieg: Konzertouvertüre „Im Herbst“, Klavierkonzert q-Moll op.16 und Carl Nielsen: Sinfonie Nr. 4 (Das Unauslöschliche)