Aufforderung zum Nachdenken

Scala Wien: Eine italienische Nacht - Komödie nach Ödön von Horváth

von Renate Wagner

Foto © Scala

Wien - Scala:

Eine italienische Nacht
 - oder Ich stelle den Antrag, daß wir uns nicht stören lassen!

Komödie nach Ödön von Horváth
Premiere: 14. Jänner 2017
 
Ödön von Horvath hatte im Grunde nur ein Thema: seine Zeit, ihren politischen Umriß und die armen Menschenkinder, die sich darin umtaten. In den Zwanziger Jahren hat er damit experimentiert, 1931 schrieb er „Italienische Nacht“, gefolgt von jenem Quartett von Stücken (Geschichten aus dem Wiener Wald / Glaube Liebe Hoffnung / Kasimir und Karoline / Die Unbekannte aus der Seine), die ihn für alle Zeiten berühmt und für das Repertoire der deutschsprachigen Bühnen unentbehrlich machten. „Italienische Nacht“ zählt noch nicht zu den großen Würfen und wird entsprechend selten gespielt. Immerhin ist Bruno Max in seinem Theater Scala damit zweierlei höchst bemerkenswert gelungen – er holte das Publikum in die Handlung und die Handlung zu uns her.
 
Max selbst hat mit Hilfe von Marcus Ganser Bühne und Zuschauerraum eingeebnet und in einen großen Wirtshausgarten verwandelt, wo das Publikum rundum an den Tischen sitzt und gewissermaßen Teil der Handlung ist. Vor allem aber hat er die Handlung von 1930 erstaunlich gelungen in unsere Gegenwart versetzt, wofür ein bald gezogenes Handy den Ton anschlägt. Aber was soll daran unglaubhaft sein, daß sich in einer kleinen Stadt die regierenden „roten“ Potentaten, die längst fette Bürger sind, von rechtsradikalen Krawallmachern belästigt, aber noch nicht wirklich geängstigt fühlen? Nur daß eine rebellierende Jugend sich als Marxisten geriert, ist nicht ganz so glaubwürdig – aber was sagt es andererseits, wenn man das Bild von Che Guevara auf dem T-Shirt trägt? Mit einem Wort: Es hat sich an den Konstellationen gar nicht so viel geändert, und das malt Bruno Max als Regisseur so genußreich wie überzeugend aus, wobei er die Komödie nie ans Kabarett verkauft.
 
Horvath hat hier schon zwei junge Paare auf die Bühne gestellt, aber sie sind eher theoretische Ideenträger, noch nicht lebendige, ergreifende Menschen wie in „Kasimir und Karoline“ (und das ist dann auch die Schwäche des Stücks): Da ist der junge, radikale Kommunist und das ihn liebende Mädchen, das sich von ihn so weit benützten läßt, mit einem Nazi anzubandeln, um die Absichten der „Feinde“ auszuspionieren. Und da ist der „Künstler“, der sich gerne als „links“ bezeichnet, aber damit im Grunde nichts am Hut hat – und seine Freundin, die von Politik nichts wissen will.
Am stärksten ist Horvath der joviale Ortspolitiker Amtsrat Ammetsberger gelungen, vollmundig, populistisch, mit großer Geste als Leithammel seiner lächerlichen kleinen Herde, absolut widerlich zu seiner Ehefrau, bereit, den Schwanz einzuziehen, wenn es echt gefährlich wird (Haue von den Rechten kriegen, das ist nicht drin), aber gleich wieder in Pose, wenn die Gefahr vorbei ist – natürlich aufgrund seiner genialen Aktionen.
 
Die vielen aktuellen Anspielungen dieses Theaterabends gehen weit über Horvath hinaus, und das gibt Bruno Max auch zu, indem er dem Stück, das er als „nach Horvath“ deklariert, auch noch einen anderen Titel gibt: Aus der simplen „Italienischen Nacht“ des Originals wurde „Eine Italienische Nacht – oder Ich stelle den Antrag, daß wir uns nicht stören lassen!“, ein sehr österreichisches Statement. Wo die Handlung noch simpel verläuft, taucht Bruno Max sie (auch mit Hilfe von Musik) in dichte Stimmung, lacht immer wieder über den Zeitgeist (etwa, wenn eine der Partei-Damen immer politisch korrekt darauf besteht, daß alles gendergerecht auch „weiblich“ formuliert wird), bedient die Komödie (etwa auch in dem Kärntner Tonfall des Nazi-Chefs) und zeigt trotzdem ganz genau, wo es langgeht.
 
In Georg Kusztrich hat die Scala wie bekannt einen außerordentlichen Schauspieler, der auch als Stadtrat wieder messerscharf und mit akkurater Genauigkeit in jeder Reaktion brilliert. Es ist nicht amüsant, sondern im Grunde tragisch, wie Christina Saginth als seine Frau unter seiner seelischen Brutalität leidet, wobei Horvath ihr am Ende den theatergerechten Clou erlaubt, den Gatten gegen die Nazis zu verteidigen: Ganz richtig auch, wie der aufbrausende Leopold Selinger als „Kameradschaftsführer“ ganz kleinlaut wird, wenn er frontal angegriffen wird – noch dazu von einer Frau.
Marion Rottenhofer (die schier unermüdlich tanzt), Christoph Prückner und Bernie Feit sind köstliche Variationen (aber keine aufgelegten Karikaturen!) von kleinen Lokalpolitikern, und ganz, ganz prächtig zeichnet Karl Maria Kinsky einen Wirt, der sich keine politische Überzeugung leisten kann – wer zahlt, ist willkommen, ob links, rechts oder wo immer angesiedelt.
Wolfgang Fahrner spielt den politisch rabiaten Martin, Thomas Marchart den geschmeidigen Karl, der die Politik letztlich so ernst nicht nehmen kann, Claudia Waldherr ist die aufopfernde Gefährtin mit gesunden Instinkten und Jacqueline Rehak die Kellnerin, die von Politik nur ihre Ruhe haben will. Ein kleines Mädchen (Alina Ilhan) wurde aus unerfindlichen Gründen in die Handlung hineingeschrieben, und eine Handvoll junger Männer ist erfolgreich darin, als Nazis nicht nur lächerlich, sondern auch ein wenig bedrohlich zu sein.
 
Es sind hundert pausenlose Minuten, die nicht der Gefahr erliegen, politisches Kabarett zu machen. Was Horvath noch eher versuchsweise als Beschreibung einer politischen Situation formulierte, wird hier durch einen dichten Theaterabend zu einer Aufforderung zum Nachdenken.
 
Renate Wagner