Atemlos

Die 12 Geschworenen - Aufführung der Theatergruppe der Bergischen Universität Wuppertal

von Frank Becker

Atemlos
 
Die 12 Geschworenen
Drama von Reginald Rose
 
Eine Aufführung der Theatergruppe der Bergischen Universität Wuppertal
 
Regie: Simon Spahlinger, Maren Becker, Victoria von Polheim – Bühne: Frank Zobel – Maske: Amelie Ruddek - Souffleur: Johannes Steinlein
Mit: Michelle Middelhoff, Ines Müller, Raphael Hausmann, Niklas Selz, Yvonne Schnickmann, Marc Busch, Nils Schumacher, Frida Stein, Charlotte Jäckle, Lena Menke, Victoria von Polheim, Sinan Recber
 
Aufführungsdauer: 2 Stunden, keine Pause
 
Zwölf zufällig ausgewählte Geschworene müssen als Jury im amerikanischen Strafprozeß bei Kapitalverbrechen einstimmig über Schuld oder Unschuld eines Angeklagten entscheiden. Von ihnen und ihrer Gewissensentscheidung hängt ab, ob z.B. ein des Mordes angeklagter Mensch zum Tode verurteilt auf dem elektrischen Stuhl endet oder sofern Bedenken bestehen,  für nicht schuldig erklärt werden muß. Hier soll ein 18 Jahre alter Puertoricaner seinen Vater im Streit mit einem markanten Messer erstochen haben. Alle Beweise und Zeugenaussagen sprechen gegen ihn.
In Sidney Lumets grandios mit u.a. Henry Fonda, Lee J. Cobb, Jack Klugman und Martin Balsam besetzter Verfilmung von 1957 sind die Geschworenen, wie von Reginald Rose 1954 vorgesehen, Männer unterschiedlichster Charaktereigenschaften und Sozialisation. Die Wuppertaler Uni-Inszenierung bringt sieben Frauen und fünf Männer auf die Bühne des bei der Premiere am vergangenen Freitag bis auf den letzten Platz besetzten Auditoriums im Hörsaal 33. Wer das als Mangel verstanden haben sollte, wurde angenehm enttäuscht – jeder der geforderten zwölf Charaktere wurde von den Darstellern bruchlos übernommen und intensiv ausgelotet. Die erste Klippe war somit gemeistert. Die völlig unnötige Maske allerdings (alle sind toten-weiß geschminkt) wirkt aufgesetzt und verfehlt das Ziel. Hier hätten die wirklichen Gesichter der Damen und Herren ihren Emotionen gewiß mehr Substanz verliehen. Eine zweite Klippe besteht darin, daß das Stück im brodelnden New York am heißesten Tag des Jahres spielt. Die Atmosphäre im verschlossenen Geschworenenzimmer kocht, zunächst der Gewitterschwüle wegen, sehr bald aber auch wegen der aufeinanderprallenden Gemüter. Im Hörsaal aber ist es recht kühl. Da ist Phantasie gefragt (Mantel mitbringen!).
 
Aus dem für 11 Geschworene flott abgehakten „Schuldig“ wird durch den nachdenklichen Einspruch der Geschworenen Nr. 8 (glänzend und besonnen: Frida Stein) ein zähes Ringen um die Wahrheit. Umsichtig von der Geschworenen Nr. 1, die der Jury vorsteht (souverän: Michelle Middelhoff) geleitet, tauchen die Laienrichter erst jetzt in die entscheidenden Details des Tatgeschehens ein, beginnen eine neue Beweisaufnahme.
Zug um Zug und je deutlicher wird, daß die Beweislage mehr als dünn ist, kippen die Meinungen. Die letzten Hardliner, der rücksichtslos harte Geschworene Nr. 3 (impulsiv und explosiv: Raphael Hausmann, der auch ein bewegendes Schlußplädoyer hält) und die vulgäre Geschworene Nr. 10 (Lena Menke), eine widerliche Rassistin, haben den häßlichsten Part der Aufführung zu stemmen - sie tun es mit Bravour. Der unterkühlte Nr. 4 (Niklas Selz), die ausgewogene Nr. 8 (Yonne Schnickmann), der moralische Nr. 6 (Marc Busch), die eher stille Nr. 9 (Charlotte Jäckle) und die bestechend klare Nr. 11 (Victoria von Polheim) bilden die solide Mitte der Jury, an der sich die harten Gegensätze und Meinungen auspendeln.
 
Schuldig oder unschuldig? Die Meinungen fallen wie in einem Domino. Wie das hier in Szene gesetzt ist und binnen weniger Minuten Spannung aufbaut, nimmt enorme Fahrt auf, die in den wie im Fluge vergehenden zwei Stunden der Aufführung nicht nachläßt. Die Schlüsselszenen (Klappmesser, Tatrekonstruktion, Zeugendemontage) werden schlüssig und packend umgesetzt. Ein D-Zug der Emotionen, der schauspielerische Entsprechungen braucht und bekommt, braust durch den atemlosen Saal, nimmt jeden mit und wird schließlich mit berechtigtem Applaus gefeiert.
Diese Leistung der der Theatergruppe der Bergischen Universität Wuppertal kann sich sehen lassen. Zwei Vorstellungen gibt es noch. Mein Rat: gehen Sie hin.


Die 12 Geschworenen, Ensemble - Foto: Universität Wuppertal


Die Theatergruppe wurde 2010 von Studierenden der Geistes- und Kulturwissenschaften sowie ihren Dozenten Dr. Madleen Podeswski und Dr. Stefan Neumann unter dem Namen „Theaterkollektiv Kreative Randgruppe“ ins Leben gerufen. Es folgten Aufführungen von Sophokles‘ „Antigone“ und eine Neuinterpretation von Friedrich Dürrenmatts „Die Physiker“. Anfang 2014 folgte die eigene Kreation „Internetangler" sowie 2015 das Stück „InterEGO“. Seit November 2015 heißt die Theatergruppe „BUnT“ (Bergisches Unitheater).
 
Weitere Termine: 27.01. und 28.01.2017. Ort: Hörsaal 33 in der Bergischen Universität Wuppertal. Einlaß 19: 15 Uhr, Beginn 19:30 Uhr.
Ort: Bergische Universität, Campus Grifflenberg, Hörsaal 33 (Gebäude K, Ebene 11, Raum 24), Gaußstr. 20, 42119 Wuppertal.
 
Zusätzliche Informationen:  https://theateruniwuppertal.wordpress.com