Die Magie der Zahlen (1)

Literarische, musikalische und biblische Rechenexempel

von Heinz Rölleke

Prof. Dr. Heinz Rölleke - Foto © Frank Becker
Die Magie der Zahlen
 
Literarische, musikalische und biblische Rechenexempel
Am 18. Januar 2017 war Prof. Dr. Heinz Rölleke, emeritierter Literaturwissenschaftler, Germanist und Volkskundler anläßlich der Feier seines kurz zuvor begangenen 80. Geburtstages (wir berichteten ausführlich) von der Bergischen Universität Wuppertal, seiner ehemaligen alma mater, zu einem Festvortrag eingeladen. Heinz Rölleke wählte eines seiner Lieblingsthemen – die Zahl in Kunst und Literatur mit dem Schwergewicht auf „Von der Vierzig und der Fünf – Was Zahlen in der abendländischen Kunst bedeuten können.“
Wir haben das Vergnügen, Ihnen ab heute den Original-Text seines eloquenten Vortrags (leider nicht im O-Ton) in Fortsetzungen präsentieren zu können. Viel Vergnügen!
           

Zur Einleitung
 
Anfang 1982 wollte der damalige Rektor Rainer Gruenther hier eine Art STUDIUM GENERALE einrichten. Ich hatte seinerzeit die Ehre, den ersten Vortrag vor Kollegen und Studierenden aller Fachbereiche zu halten – und die kamen auch zuhauf, zusätzlich Leitende Mitarbeiter des Wissenschaftsministeriums. Das Thema „Symbolzahlen im Abendland“ war genehmigt worden, weil es mit Recht als fächerübergreifend eingeschätzt wurde: Philosophie, Theologie, alle Philologien, Mathematik, Musikwissenschaft, Kunstgeschichte haben alle mehr oder weniger mit Zahlen zu tun - und außerhalb dieser Wissenschaftsdisziplinen viele Interessierte auch, denn wir alle sind sozusagen täglich mit dem Phänomen „Zahl“ in verschiedenster Hinsicht konfrontiert. Der sehr beifällig aufgenommene Vortrag und die ergiebige anschließende, wirklich fächerübergreifende Diskussion fanden am 27.01.1982, also vor ziemlich genau 35 Jahren statt. Auch das war für mich ein Grund, das Thema heute noch einmal in diesem Rahmen zu präsentieren.
 
Die meisten von uns haben auch insofern mit Zahlen zu tun, als sie auf Glücks- oder Unglückszahlen achten. Ausgeprägt ist das etwa bei Sportlern und ihrer fast fanatischen Vorliebe für bestimmte Rückennummern oder auch bei reichen Chinesen, die für Immobilien mit bestimmten Hausnummern manchmal das Doppelte zahlen. Für solche Zahlengläubigkeit nur ein prominentes Beispiel eines Allround-Künstlers: Richard Wagner.
 
Wagner kannte schon früh die Praktik, Buchstaben und Zahlen miteinander zu verbinden. So zählte er die Buchstaben seines Namens Richard Wagner aus und kam auf 13. Geboren war er 1813; die Quersumme (1+8+1+3) ist 13; sein genaues Geburtsdatum 22.5.13 (2+2+5+1+3) ergibt ebenfalls die Quersumme 13. So vollendete er dann seine Werke bewußt in der Regel an einem 13., und die Bayreuther Festspiele wurden am 13. August 1876 eröffnet. 13 Opern hat er geschrieben, die letzte, der „Parsifal“ hat 13 Sänger, und am 13. Februar 1883 ist Wagner gestorben: Die Quersumme seines Todesdatums ist 26, das Doppelte von 13...
 
Musiker haben mit Mathematikern zu tun – beide studierten jahrhundertelang in einem Fach.
 
Bach errechnete sich mit b=2, a=1, c=3, h=8 = 14 – seine Zahl. Wenn in seinen Kantaten vom „Ich“ die Rede ist, sind die Texte oft in 14 Takte oder Noten umgesetzt; sein letztes Werk „Die Kunst der Fuge“ besteht aus 14 Teilen; 14 Schmuckknöpfe trägt Bachs Weste auf dem repräsentativen Barockportrait.
Ähnlich bedeutsam war ihm die mathematische Identität der Sigle zu seinen Noten Geistlicher Musik (soli Deo gloria) S D G  18+4+7 = 29
mit seinem Namenssigle J.S.B. (Johann Sebastian Bach)   9+18+2 = 29
 
1. Zahlen als Begriffe und Bedeutungsträger
 
Vor allem Mathematiker und Philosophen haben schon seit der frühen Antike zur Numerlogie geforscht, und deren Ergebnisse haben bis heute Bestand, auch wenn sie teilweise im Lauf der Jahrhunderte erweitert oder zeitweise vergessen wurden.
 
Media in res: Schon die antike Mathematik arbeitete mit faszinierenden Zahlenbegriffen. Vollkommene Zahlen sind solche, deren Teiler addiert diese selbst ergeben: 6 ist teilbar durch 1, 2 und 3 (addiert = 6); daßelbe gilt für 28 und 496 und darüber hinaus für offenbar unzählige andere, denn man sucht immer noch weiter nach solch wunderlichen Zahlen. Logisch, daß man damals und bis heute in der Mathematik Zahlen, deren addierte Teiler das Doppelte ihrer selbst ergeben, doppelt vollkommene Zahlen nennt: 120 (Teileraddition ergibt 240) und dann neben vielen weiteren in höheren Bereichen die 672, bei deren Nennung jeder Germanist aufhorcht, denn eines der berühmtesten deutschsprachigen Kunstmärchen trägt mit verdecktem Bezug auf den Charakter gerade dieser Zahl den Titel „Das Märchen der 672. Nacht“, Hugo von Hofmannsthal hat es verfaßt. Sodann gibt es noch befreundete Zahlen; deren Teileradditionen die jeweils andere ergeben: 220 zu 284 (die Teileraddition von 220 ergibt 284, die von 284 ergibt 220). Und hier kommen schon neben der Mathematik die Philosophie und die Theologie ins Spiel. Der Mathematiker und Geheimbündler Pythagoras hat auf die Frage, wie er einen Freund definiere, lakonisch mit „220“ geantwortet...
 
In der Genesis versucht Jakob seinen erzürnten Bruder Esau zu versöhnen und bietet ihm als Sühnegabe 200 Ziegen und 20 Böcke – das ergibt summiert natürlich genau die Freundschaftszahl (in Ihren Bibelkommentaren wird hier allerdings lediglich auf den Geschlechterproporz, je 10 Ziegen auf 1 Bock, verwiesen). Vielleicht hat Jakob damit gerechnet, daß sein Bruder die Symbolik dieser Zahl versteht, das Angebot annimmt und daß Esau sich dann entsprechend mit 284 Tieren würde revanchieren müssen. Doch dazu kommt es in der Erzählung der Genesis nicht.
 
Wo wir schon bei der Bibel sind: Aus ihr, aus apokryphen und patristischen Texten entnahm man u.a. die Bedeutungen für die Zahlen 3 und 4.
 
Drei ist im AT wie im NT die Zahl des Göttlichen: Das 3. Wort der hebräischen Bibel ist „Gott“, Vater-Sohn-Heiliger Geist bilden die Trinität (Pendants finden sich etwa in den drei Gottheiten Shiva – Brahma – Vishnu [bei den Indern] oder Zeus – Poseidon – Hades [bei Griechen und Römern], Wotan – Donar – Ziu [bei den Germanen] ferner bei Etruskern oder ähnlich in alten Märchen, wo die Drei das ganz Vollkommene, das schier Göttliche bezeichnet).
 
Vier ist die Zahl des Irdischen: 4 Himmelsrichtungen, 4 Temperamente, 4 Elemente, 4 Mondphasen usw.; diesen Viererphänomenen entsprechen im AT die vier Paradiesströme, im NT die vier Evangelisten.
 
Tun sich 3 und 4 zusammen, ergibt sich die 7. Das Göttliche (3) wendet sich in der Schöpfung dem Irdischen (4) zu: 3 + 4; am 7. Tag ist alles vollendet. Im Pater noster richten sich die ersten drei Bitten an Gott, die letzten vier (beginnend mit „unser tägliches Brot“) betreffen den irdischen Menschen; in den 10 Geboten ist dasselbe Strukturprinzip: Gebote 1-3 beziehen sich auf Gott, 4 bis 10 auf den Menschen (beginnend mit „Du sollst Vater und Mutter ehren“). Das prägt sich noch in den kleinsten Formen aus, so z. B. in der alten Gebetsabschlußformel „Gloria patri et filio et spiritui sancto – sicut erat in pricipio et nunc er semper et in saecula saeculorum“ (drei Begriffe der Trinität für das Göttliche und Ewige, vier für das Irdische und die Zeit: Anfang (Präteritum) – jetzt (aktuelles Präsens) – immer (generelles Präsens) – ferne Zeiten (Futur). So spricht man alsbald von drei göttlichen und vier Kardinaltugenden – den 7 Tugenden stehen 7 Laster gegenüber, und die alles umfassenden Gaben des Heiligen Geistes sind Sieben. Das ist nicht zufällig auch die Zahl der Pilgerkirchen in Rom oder der in ganz Europa verbreiteten sogenannten Fußfälle an Passionsprozessionswegen, die später auf 14 (die sog. Kreuzwegstionen) verdoppelt wurde.
 
Auch das Ergebnis aus 3 mal 4 läßt entsprechende Symbolbezüge erkennen: 12 Stämme Israels, 12 Apostel.
 
Soviel zu den begrifflichen und symbolischen Grundlagen, wie sie im Wesentlichen aus der antiken Mathematik, der Mythologie und aus alten Heiligen Schriften überkommen sind.
 
Eine Zahl aus dem NT leitet zu ihrer Bedeutung und Verwendung in der europäischen Kunst über: Im Johannes-Evangelium fährt der Apostel Simon auf Geheiß des Auferstandenen hinaus und fängt 153 Fische. Die Exegeten haben sich über den Sinn dieser Zahl seit 2000 Jahren den Kopf zerbrochen. Mir scheint einer von den Dutzenden von Lösungsversuchen besonders pragmatisch und überzeugend: Der Zahlenwert für griechisch „Simon“ ist 77 (wenn man Alpha = 1, Omega = 24 setzt usw.), der für „Ichthys“, den Fisch, um den es geht, ist 76; die Addition „Simon“ fängt „Fisch“ ergibt 153, und da Jesus seinen Jünger zum Menschenfischer, nach alter Auffassung zum Papst, bestimmt hat (der bis heute den Fischerring als Siegel trägt), wurde die 153 zu einer dem Papsttum zugeordneten Symbolzahl für Heidenbekehrung, ist aber auch konstitutiv für das Rosenkranzgebet, das seit dem Mittelalter, kirchenamtlich seit 1409, durch 153 „Ave Maria“ gebildet wird.
 
2. Drei Beispiele aus Bildender Kunst, Musik und Literatur
 
Conrad von Soest plaziert (im Jahr 1403) auf seinem Passionsbild des Bad Wildunger Altars haargenau 153 Personen unter dem Kreuz Christi: Alle Welt ist zur Erlösung gerufen.
Johann Sebastian Bach bedient sich Anfang des 18. Jahrhunderts dieser Zahl in einigen Kantaten und Oratorien, wenn im Text von der Bekehrung und Erlösung der Menschen die Rede ist: 153 Noten oder Takte.
Hartmann von Aue erzählt um 1190 in seiner Büßerlegende „Gregorius“ von dem zum Papst berufenen Sünder: Den Schlüssel zu seiner Bußkette findet man in einem Fischmagen. Er war ein Inzestkind, und die Mutter hatte ihn 34 Jahre zuvor mit einer Aussteuer von 20 Goldtalern auf dem Meer ausgesetzt. Fischer retten das Kind, überbringen es dem Abt, der ihnen 3 Taler zur Belohnung schenkt. Als der 17jährige Gregorius das Kloster verläßt, reicht ihm der Abt sein durch Zinsen vermehrtes Vermögen, nämlich genau 150 Goldtaler. Zählt man die 3 früher an die Fischer gezahlten dazu, so steht der Jüngling in der Aura der Papstzahl 153. Das für uns Heutige Sensationelle an diesem Befund ist, daß Hartmann die Zahl „153“ nie ausdrücklich nennt. Er scheint also Hörer/Leser vorauszusetzen, die über Hunderte von Versen mitrechnen. Da mag es wenige gegeben haben; also hat er's wohl - wie so viele mittelalterliche Künstler - fürs Auge Gottes gemacht; denn sich mit Heilsbezug rechnende Zahlen mußten nach mittelalterlicher Auffassung dem Schöpfer, der gemäß dem AT omnia in numero disposuit, wie ein kunstvolles Gebet gefallen.
 
Doch nun zu den im Vortragsthema genannten Zahlen.
 
Folgen Sie Heinz Rölleke am kommenden Freitag zur Zahl „5“.

 Redaktion: Frank Becker