Beckfelds Briefe

An Gerhard Schröder

von Hermann Beckfeld

Hermann Beckfeld - Foto © Dieter Menne
Wenn aus einem Bundeskanzler ein Hausmann und Familienvater wird: Gerhard Schröder hielt 2012 seiner Frau im Niedersachsen-Wahlkampf den Rücken frei. Puddingkochen statt Putin anrufen.  Hermann Beckfeld schrieb damals:
 
Sehr geehrter Herr Schröder,

ein Bekannter hat Sie neulich auf Borkum getroffen, beim Bäcker an der Ecke. Sie, der einst mächtigste Mann im Staate, standen in Jeans und Regenjacke, an jeder Hand ein Kind, vor der Verkaufstheke in der Schlange. Da Ihre Frau 2013 für den Landtag in Niedersachsen kandidiert und bald Tag für Tag, Abend für Abend auf Stimmenfang geht, ahnen wir, daß sich Ihre Rolle im Familienalltag nicht nur aufs Brötchenholen in den Ferien beschränken wird.
Sie waren sieben Jahre lang ein Kanzler mit Ecken und Kanten, eine Ihrer besten Entscheidungen war sicherlich, die USA ohne unsere Soldaten in den Irak-Krieg ziehen zu lassen. Und ich gebe auch gerne zu, daß ich einen Ihrer letzten großen TV-Auftritte als Politiker nicht nur amüsant und überraschend, sondern auch menschlich fand. Da saß in der Elefantenrunde endlich mal einer, der sich nicht an die vorher verabredeten Floskeln hielt. Unsäglich finde ich es dagegen, daß ein Kanzler kurz nach seiner Amtszeit auf der Gehaltsliste von Gazprom steht. Als ich um ein Interview bat, um Sie nach Unabhängigkeit und Moral zu befragen, bekam ich von Ihrem Büro nicht mal eine Antwort. Dasselbe Büro übrigens, das Ihre Wahlkämpfe organisierte und mich im Wahlkampf mit seinen ständigen Anfragen nervte, wann Sie endlich zum Interview ins Pressehaus kommen dürften.   
Was für ein neues Leben. Statt rotem Teppich, Luxus-Buffet und Agenda 2010 nun Flurputzen, Fischstäbchen und Aldi. Ihre Frau hat verraten, daß es für Sie ein „harter, teilweise bitterer Lernprozeß“ war, sich um die Kleinigkeiten des Alltags zu kümmern. Da tun sich eine Menge Fragen auf. Können Sie eigentlich kochen? Studieren Sie die Schnäppchenangebote der Supermärkte? Was für Einschlaf-Geschichten erzählen Sie Victoria und Gregor? Was machen Sie, wenn Sie im Wartezimmer des Kinderarztes sitzen und Ihr Duz-Freund Putin ruft an, um von alten Zeiten zu schwärmen? Ein Bundeskanzler a. D. als Hausmann und Familienvater.
 
Sehr geehrter Herr Schröder,
vielleicht hilft Ihnen beim Rollentausch die Lebensweisheit eines Freundes. Was, hat er mir verraten, gibt es Wichtigeres, als am Bett der kranken Tochter zu wachen und ihre Hand zu halten?
 
Hermann Beckfeld
(05.05.2012)    
 

Mit freundlicher Genehmigung des Autors und des Verlags Henselowsky Boschmann.
„Beckfelds Briefe“ erscheinen jeden Samstag im Wochenendmagazin der Ruhr Nachrichten.