Einen Film, der mehr unter die Haut geht, hat man seit langem nicht gesehen.

„Suburra“ von Stefano Sollima

von Renate Wagner

Suburra
(Italien 2015)

Regie: Stefano Sollima
Mit: Pierfrancesco Favino, Elio Germano, Claudio Amendola, Adamo Dionisi, Giulia Gorietti, Alessandro Borghi, Greta Scarano, Elio Germano u.a.
 
Es beginnt mit einem geistlichen Herrn, dessen Gesicht man nie sieht, der auf seinem Betstuhl kniet. Rundum stille, eifrige Geschäftigkeit – der Verdacht, daß man sich im Vatikan befindet, erhärtet sich bald. Daß es bei dem Weißhaarigen um Papa-Ratzi gehen soll, auch. Er will abtreten – vielleicht, wie dieser Film impliziert, weil sein Vatikan viel zu sehr mit den dunklen Geschäften dieser Welt, dieses Italien von heute, vernetzt ist.
Aber das bleibt Nebenhandlung in „Suburra“ von Regisseur Stefano Sollima, der nach dem Roman des Journalisten Carlo Bonini und des Richters Giancarlo De Cataldo (mutige Männer, immerhin) eine der gnadenlosesten „Sittengeschichten“ (wenn man noch so sagt) gedreht hat, an die man sich erinnert. Italien heute – auch wenn die „Subura“ (damals noch mit einem „r“ geschrieben) schon im alten Rom das Verbrecherviertel war, in das sich kein ehrenwerter Mann hinein gewagt hat. So viel ändert sich wohl nicht im Lauf der Geschichte…
 
Der Film erzählt vom Hochmut einer Macht, die aus der Bereitschaft zu absolut skrupelloser Gewaltanwendung erwächst. Und da bleiben sie sich nichts schuldig – der Politiker Filippo Malgradi (Pierfrancesco Favino), dem nach einer Sexnacht die Leiche eines jungen Mädchens im Hotelzimmer bleibt (zu viel Koks, Pech), läßt diese ohne weiteres wegschaffen, ein paar Ketten herum und ab ins Wasser. Wenn der junge Mann, der ihm den „Gefallen“ getan hat, nun kommt und dafür kassieren will, gibt es einen anderen Freund, der diesen beseitigen läßt.
Aber wenn das Opfer nun der Bruder des gewaltigen Chefs des Anacleti-Clans (Adamo Dionisi) war, steht man einer enormen, chaotische Roma-Familie mit Kampfhunden und gar keinen Skrupeln gegenüber, wenn auch der Mafia-Chef cool bemerkt: „Wenn ich Lust habe, nenne ich Euch immer noch Scheiß-Zigeuner.“
Aber Malgradi hat noch andere Verbündete, etwa jenen mächtigen Mafia-Paten „Samurai“ (Claudio Amendola), dessen Gefälligkeiten auch nicht umsonst sind: Im Parlament muß ein Beschluß durchgezogen werden, der der Mafia das Recht sichert, in Ostia eine riesige Vergnügungsmeile einzurichten. Daß der Mafia-Chef („Denk zweimal nach, bevor du dich mit mir anlegst“) nebenbei auch mit dem Vatikan verhandelt, daß ein Politiker, der nicht mehr funktioniert, fallen gelassen und ausgetauscht wird, daß die Leichen zwischendurch nur so kollern… man lernt in den mehr als zwei Stunden dieses Films, sich über nichts mehr zu wundern.
 
Es gibt auch keine „hellen“ Gestalten in dem Film, wenn man auch geneigt ist, sich um die Zukunft der Prostituierten Sabrina (Giulia Gorietti) ein wenig Sorge zu machen, die als Zeugin von Malgradis letalem nächtlichen Abenteuer wohl nicht zu viele Überlebenschancen hat. Wahrscheinlich kann man dem ungemein spannenden, verwinkelten Film von Stefano Sollima nur vorwerfen, daß er auf zu vielen Ebenen läuft, zu viele Figuren einbringt, deren Schicksale sich oft verwirren (aber ein blutiges Ende kann man den meisten voraussagen), denn da ist noch der Gangster, der sich „Nummer 8“ nennt (Alessandro Borghi), mitmischen will, natürlich irgendwann den kürzeren zieht und damit seine Freundin Viola (Greta Scarano) in höchste Gefahr bringt, oder der windige Sex-Provider Sebastiano (Elio Germano), der bei den Roma tief in Schulden steckt und am liebsten aus der ganzen Sache raus wäre… was man ihm nachfühlen kann.
Oft genug haben amerikanische oder auch italienische Filme Verbrechen und Gewalt verherrlicht, mit starken Persönlichkeiten, die etwas ausstrahlten. Hier glänzt nichts, nicht die gnadenlose Korruption der Politiker (man erlebt in einer Szene, wie Malgradi einen Kollegen für das Ostia-Projekt „kauft“), nicht die Skrupellosigkeit der Verbrecher, deren Schäbigkeit gnadenlos gezeichnet wird.
 
Gibt es am Ende so etwas wie ein wenig „Gerechtigkeit“? Da rächen sich die Underdogs, die man immer nur als hilflose Opfer kennen gelernt hat, einfach durch die Skrupellosigkeit, auch zuzuschlagen, die Kampfhunde loszulassen (wie es Sebastiano tut) oder den Abzug zu drücken, wozu sich Viola auf Rachefeldzug entschließt. Man merkt, wie man selbst im Lauf des Films verroht ist und die Schlächtereien kaltblütig betrachtet, da es ja alle die „Bösen“ sind, die sich gegenseitig ausschalten oder ausgeschaltet werden.
Und man merkt noch etwas: Daß man diesem Film jedes Wort glaubt. Das ist nicht Kino, das ist schreckliche Wirklichkeit. Im Italien von heute. Und sicher auch anderswo. Man kann nur aus dem Kino gehen mit der Hoffnung, als „braver“ Durchschnittsmensch nie in diese Welt und dort hoffnungslos unter die Räder zu geraten.
Und, ach ja: einen Film, der mehr unter die Haut geht, hat man seit langem nicht gesehen.
 
 
Renate Wagner