Nordlichter

Ein großer Abend skandinavischer Musik mit Elisabeth Leonskaja und Okko Kamus

von Johannes Vesper

Elisabeth Leonskaja © Foto Elisabeth Leonskaja

Nordlichter:
Nielsen und Grieg mit Elisabeth Leonskaja
im 6. Sinfoniekonzert des Sinfonieorchesters Wuppertal
(154. Konzertsaison)
 
Elisabeth Leonskaja, geb. 1945 in Tiflis (Georgien), gehört seit Jahrzehnten zur Klavierelite der Welt und gewann schon als Studentin des Moskauer Konservatoriums internationale Klavierwettbewerbe. Sie verließ die Sowjetunion 1978 und begann ihre Karriere im Westen mit dem Auftritt bei den Salzburger Festspielen 1979. Mit eigentlich allen führenden Orchestern trat sie als Solistin auf (New Yorker Philharmoniker, Cleveland Orchestra, London Philharmonic Orchestra, Royal Philharmonic Orchestra, BBC Symphony Orchestra London, Berliner Philharmoniker, Gewandhausorchester Leipzig u.a.). Welches Vergnügen, sie mit dem Griegschen Klavierkonzert hier in der Stadthalle zu hören.
 
Edvard Grieg (1843-1907) hatte als 12jähriger angefangen zu komponieren, litt in der Schule unter Lernschwierigkeiten und blieb sitzen. Zeitlebens hatte er trotz seiner Erfolge Lebens- und Versagensangst. Seine Popularität beruhte vor allem auf Bearbeitungen norwegisch-nordischer Volksmusik. Erfolgreich auch als Pianist und Dirigent, reiste er nach Italien und Rom, wo er Liszt sein Klavierkonzert vorstellte, dirigierte in England, Polen Ungarn, Frankreich und natürlich auch in Deutschland , spielte bei der Erstaufführung seines Klavierkonzerts 1879 im Gewandhaus zu Leipzig selbst das Klavier. Er hatte am dortigen Konservatorium Musik studiert, aber von seinen Lehrern nicht viel gehalten. Eine Brustfellentzündung, an der er 1860 in Leipzig erkrankte, mag seine Melancholie gefördert haben, wobei er sich gelegentlich mit Austern, Kaviar, norwegischen Schneehuhn und Wein durchaus aufmuntern konnte. Lungen-TBC war damals noch nicht kausal zu behandeln. Immerhin erholte er sich unter Schrumpfung und Vernarbung seiner linken Lunge zunächst spontan, blieb aber immer kurzatmig und starb mit 64 Jahren an der fortgeschrittenen Erkrankung.
Die Konzertouvertüre „Im Herbst“ veröffentlichte Grieg zunächst als Klavierstück und instrumentierte sie erst später. Das Stück entspricht mit seinen jahreszeitlichen Bildern und Stimmungen ohne beglückende Pianissimi nicht ausgeprägter Programmmusik, wird selten gespielt, endet unter Becken- und Triangelklängen und paßt nicht so richtig in winterlich-sonniges Februarklima. Niels Gade, der große Meister nordischer Musik, war davon zunächst überhaupt nicht angetan. Publikum und Orchester stimmten sich damit zu Beginn des Konzertes ein.
 
Für seine Klavierwerke schätzte Grieg vor allem die kleine Form (lyrische Stücke) und so blieb das Klavierkonzert von 1868 sein einziges. Nordische Melodik mischt sich hier mit drängendem, lebendigem Rhythmus. Das Klavierkonzert in a-moll steht in der Tradition der großen romantischen Klavierkonzerte des 19. Jahrhunderts und erinnert musikalisch an das Schumannsche, technisch an die Tradition Liszts. Elisabeth Leonskaja spielte alle Kostbarkeiten der Partitur souverän, feinfühlig aber auch zupackend und temperamentvoll voll aus, vom gut aufgelegten Orchester routiniert begleitet. Paukenwirbel-Crescendo und fallende Akkordkaskaden des Konzertflügels über 6 Oktaven gleich zu Beginn faszinierten das Publikum, welches, gebannt von der Musikalität der stets Impulse gebenden Pianistin, dem lyrischen Pianissimo und virtuosem Stürmen in der Tiefe Flügels lauschte. Im 2. Satz beginnen gedämpfte Streicher leise, wechseln geheimnisvolle Arpeggien des Klaviers mit vollgriffigen Akkorden, klingt silberhell die Flöte zum begleitenden Streichertremolo, bevor der Satz in seelenvollem Pianissimo endet. Nach dem virtuosen und rhythmisch komplizierten letzten Satz gibt es viel Beifall und Bravo für die große Dame des Klaviers, die sich dafür mit dem herrlichen Prélude in cis-moll von Sergej Rachmaninow bedankt.
 
Nach der Pause „Das Unauslöschliche“, die 4. Sinfonie von Carl Nielsen (1864-1931). Er stammt wie H.C. Andersen aus Odense/Fyn, lernte vom Vater Violine, spielte später Trompete und begann seine musikalische Karriere als Trompeter beim dänischen Militär. Nach dem Musikstudium am Kopenhagener Konservatorium u.a. bei Gade verdiente er sein Brot als 2. Geiger im dänischen Hoforchester, welches er als Hofkapellmeister übernahm, bevor er die die Konzerte der Kopenhagener „Musikforeningen“ leitete. Geboren ein Jahr später als Richard Strauß, gilt er als einer der bedeutendsten skandinavischen Komponisten nach Grieg. Alles andere als dänisch-romantisch, pflegte er seine eigene musikalische Sprache, läßt sich mit seinen Disharmonien, seiner Polytonalität, mit den herben Klangflächen des großen Orchesters keiner Musikrichtung richtig zuordnen und wurde in Deutschland und Österreich zunächst nie gebührend wahrgenommen. Auch seine Streichquartette gelten als schwierig und vertrackt. Verdienstvoll, daß heute Abend seine 4. Sinfonie gespielt wird, die am selben Ort vor einigen Jahren schon einmal zu hören war. Komponiert 1914-16 als ein Manifest für den Lebenswillen in Zeiten des katastrophalen und blutigen 1. Weltkriegs mit ca. 20 Millionen Toten, beginnt sie mit elementarer Wucht, mit Aufjaulen des gesamten Orchesters, spiegelt nicht die nordisch-romantische Seele und bietet bei weitem keinen pathetisch-naturmystischen Orchesterklang wie Sibelius . „ Musik besitzt die Macht, den elementaren Willen zum Leben ganz auszudrücken. Musik ist Leben, und wie dieses unauslöschlich“, schrieb Nielsen im Vorwort zu dieser Sinfonie Nr. 4.
Der 2. Satz schließt ohne Pause an (Poco allegretto) und beruhigt alle Beteiligten erst einmal wieder. Der 3. Satz beginnt mit einem Fortissimo-Unisono der Violinen gegen kräftige Pizzicati der tieferen Streicher und entwickelt sich nach stimmungsvollem Violinsolo (Milhalj Kekenj) über geteilten Celli zu einem versöhnlich pastoralen Choral. Dann aber übernehmen die Pauken, oben rechts und links positioniert, mit Paukenglissando, wütend-wüstem akrobatischem Paukenduell und zuletzt vierfachem Fortissimo (Martin Schacht und Daniel Häker in Hochform!). Da liegt die Assoziation des bedrohlichen Weltkrieges nahe, wenn gleich biographisch auch die Ehekrise des Komponisten zu diesem kriegerisch anmutenden Chaos beigetragen haben mag. Versöhnlich endet dieses Finale in strahlendem E-Dur.
Unter dem umsichtigen Dirigat Okko Kamus (Mitglied der königlichen Schwedischen Musikakademie und Gastdirigent namhafter skandinavischer Orchester) erlebte das Publikum einen großen Abend skandinavischer Musik.