Näher an den grundsätzlichen Problemen unserer Zeit, als wir zunächst glauben

Martin Suter – „Elefant“

von Johannes Vesper

Martin Suters
rosa fluoreszierender Elefant
 
Als Kind hatte Schoch schon mal ein Meerschweinchen Jonny gehabt. Lang lang ist´s her. Jetzt schläft er, alkoholkrank und obdachlos, in einer Höhle am Limmatufer in Zürich bzw. kümmert sich um ein kleines, ca. 40 cm langes und 30 cm hohes, leuchtendes Elefantenmädchen. Sabu hat er es genannt. Wie kam er denn daran? Diese Geschichte erzählt Martin Suter.

Der geschiedene Tierarzt Jack Harris aus Neuseeland hatte einem bei einem Zugunfall in Sri Lanka gestorbenen Elefanten routiniert die Eierstöcke entnommen und mit der Kühlbox mit den Ovarien problemlos den Schweizer Zoll in Zürich passiert. Die Fa. Gentecsa in Zürich hatte das Elefantenovar bestellt, um es Miss Playmate, einer nackten/nuden Laborratte zu implantieren, in der sich die elefantische Eizellen entwickeln konnten. Nach der Ausreifung sollten diese genetisch modifiziert werden, indem Luziferin und Mandrillaaffenpigment, das Pigment der roten Hintern dieser Affen, in die Elefanteneizellen integriert werden sollten. Die Technik der Pigmentimplantation in das genetische Material stand zur Verfügung. So sollten patentierbare Tiere geschaffen werden. Das wäre echter Fortschritt. Die Techniken der Samengewinnung bei und der künstlichen Insemination von Elefanten werden souverän geschildert. Schweizerische Zirkusse scheinen mangels Publikumsinteresse an den Nummern in den Manegen aus ökonomischen Gründen ihre Elefanten gentechnischen Firmen als Leihmütter zur Verfügung zu stellen. Als Ergebnis entstand das kleine rosa leuchtende Elefantenmädchen Sabu, welches vom beim Zirkus beschäftigten burmesischen Oozie (Elefantenführern/-flüsterer) dem Obdachlosen Schoch zur Pflege übereignet wird, um es vor dem Kommerz der Gen-Firma zu schützen.
 
Schoch wendet sich mit seiner erkrankten Sabu an die Tierärztin der „Gassenklinik“. Hier suchen die Hündeler (Obdachlose mit Hunden) Hilfe, wenn ihre Schützlinge solche benötigten. Valerie, ca. 40 Jahre alt, auf den 2. Blick attraktiv, hat so einen kleinen leuchten Elefanten noch nie gesehen, läßt sich von seiner Hilfsbedürftigkeit überzeugen und legt los. Sie stellt die Diagnose einer Butterblumenvergiftung, pumpt sofort den Magen aus und gibt Kohle intragastral zur Resorption des Butterblumengiftes. Natürlich erkennt sie die Weltsensation, die das genmanipulierte leuchtende, kleine Elefantenmädchen für die Gentechnik und die entsprechende Zukunftsindustrie haben könnte. Zu Forschungszwecken, als Spielsachen und als Haustiere werden in China schon leuchtende Zwergschweine und andere glowing animals hergestellt. Sabu wird gesund und zusammen mit Schoch in der nicht bewohnten Villa, die Valery ererbt hat, untergebracht. Schoch pflegt sein Elefantenmädchen, fürchtet, sein Leben als Elefantenkuh zu beschließen und dieser Aufgabe nicht gerecht zu werden. Überhaupt: eine Aufgabe wollte er nie. Mit einer Aufgabe wäre er nicht obdachlos. Der Zürcher Diogenes will seine Ruhe und kein Obdach. Aber er akzeptiert die Aufgabe und kümmert sich rührend.
 
Wie die Biologen der gentechnischen Industrie mit Hilfe der größten Gentechnik-Firma aus China versuchen des verlorenen, kleinen Elefäntchens habhaft zu werden, erzählt Martin Suter spannend, informativ und amüsant. Natürlich werden Information aus der alkoholisierten Zürcher Obdachlosenszene verwendet, um Schoch und sein Schoßelefäntchen aufzustöbern. Bei Alkoholikern ist aber Vorsicht geboten: Vielleicht entsprechen rosa leuchtende Elefäntchen ja nur weißen Mäusen der deliranten Trinker.
Mit Crispr/Cas, dem neuen Verfahren zur Veränderung von DNA-Bausteinen im Erbgut, bestehen einfache billige und effiziente genetische Eingriffsmöglichkeiten. Emmanuelle Charpentier und Jennifer A. Doudna entdeckten das CRISPR/Cas-Systems und erhielten im März 2016 dafür den renommierten Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Preis. Beim Patentstreit vor dem US-nationalen Patentamt wird über Hunderte Milliarden Lizenzgebühren gestritten. Der Tierarzt des Zirkus aber liebt Tiere, hält sie jedenfalls nicht für Produkte, hat Angst davor, daß Sabu im Hinblick auf seine Kleinheit und Leuchtfarbe ein gentechnischer Fehler sein könnte, der sich auf kommende Generationen übertrüge.

Lord Ganesha (1746) im Nationalmuseum Neu Delhi
Foto ©  Johannes Vesper  
 
Was mit Valerie, mit Schoch und dem kleinen Elefantenmädchen, mit Ouzie, mit dem Tierarzt und der Villa passiert, wird unter Wechsel der Perspektiven und Zeiten literarisch elegant und spannend dargestellt, und wie das Ganze endet, darf der Rezensent natürlich nicht verraten. Er verrät aber, daß dem Leser ein großes Lesevergnügen bevorsteht, läßt er sich auf diesen nur zunächst abstrus erscheinenden Roman (Satire? Krimi? Gesellschaftsroman?) ein. Wie gehören Geschäfte und Ethik zusammen? Der Elefantenflüsterer hält den rosaroten, kleinen Elefanten jedenfalls für ein heiliges Tier, für einen Gott. Da gibt es Vorgänger in der Mythologie. Indiens meist übergewichtiger, aber noch nicht leuchtender, immerhin aber rosa Elefant und Gott Ganesha wurde zwar nicht gentechnisch hergestellt. Er futtert nur Süßigkeiten. Ist Sabu ein Wunder? Oder nur eine Genmanipulation mit dem Crispr/Cas System? Folge des Urknalls oder Ergebnis der Schöpfung? Zwei der weltweit einflußreichsten Wissenschaftsakademien in den USA fordern, daß genetische Manipulationen auch von menschlichen Embryonen erlaubt sein sollten(Joachim  Müller-Jung, FAZ vom 17.02.17 S. 9). Da strahlen die Genwissenschaftler der Welt. Ja, Martin Suter ist mit diesem Roman näher an den grundsätzlichen Problemen unserer Zeit, als wir zunächst glauben. Sehr empfehlenswert!
 
Martin Suter – „Elefant“
Roman
© 2016 Diogenes Verlag AG Zürich, 352 S., Ganzleinen m. Schutzumschlag - ISBN 978 3 257 06970-9
24.-€ / 32,- sFr
 
Weitere Informationen: www.diogenes.ch